Die Teilzeitklausel ist eine Produktinnovation in der Berufsunfähigkeitsversicherung, zwei Gesellschaften bieten sie bisher an: die Condor Leben und die Württembergische. Sie soll eine Antwort darauf geben, dass Versicherte plötzlich einen weit höheren Grad an Berufsunfähigkeit nachweisen müssen, wenn sie vorübergehend von Vollzeit in Teilzeit wechseln. Denn wer seine Arbeitszeit aus familiären Gründen reduziert, dem drohen in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) massive Nachteile:

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Der Versicherer wird nun anhand der neuen Arbeitszeit prüfen, ob eine Berufsunfähigkeit vorliegt, so dass die Hürden deutlich steigen. Branchenüblich ist, dass der zuletzt ausgeübte Beruf zu mindestens 50 Prozent nicht mehr ausgeübt werden kann, so wie er ohne gesundheitlichen Schaden ausgestaltet war. Stark vereinfacht: Während ein in Vollzeit Erwerbstätiger schon als berufsunfähig gilt, wenn er nicht länger als vier Stunden am Tag arbeiten kann, greift der Schutz bei einer Teilzeitkraft erst, wenn er weniger als zwei Stunden in seinem Job arbeitsfähig ist. Gerade für Frauen ist diese „Teilzeitfalle“ ein Problem, weil sie besonders oft für Kinder oder die Pflege Angehöriger ihre Arbeitszeit reduzieren (der Versicherungsbote berichtete).

Kunde wird bessergestellt — Abweichungen von VVG erlaubt

Neben viel Applaus gab es aber auch schnell Kritik an der Klausel. So gab Hendrik Scherer, Geschäftsführer bei PremiumCircle Deutschland, in einem Gastbeitrag für die Zeitschrift „Finanzwelt“ zu bedenken, dass die Klausel wohl gegen das Versicherungsvertragsgesetz verstoße. Genauer gegen § 172 VVG: Darin ist definiert, dass sich Berufsunfähigkeit auf den „zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war“ beziehen muss.

Dieser Grundsatz werde durch die Teilzeitklausel verletzt, gab nun Scherer zu bedenken. Denn die Teilzeitklausel bewirke, dass die Berufsunfähigkeit nicht anhand der zuletzt ausgeübten Tätigkeit geprüft werde, wie das VVG dies vorschreibe. Sondern auf ein früheres Tätigkeitsprofil Bezug nehme: nämlich zu jenem Zeitpunkt, als der Betroffene noch in Vollzeit tätig gewesen ist.

Wird geprüft, ob eine Berufsunfähigkeit vorliegt, gelte es zu berücksichtigen, dass eine Reduzierung der Arbeitszeit auch oft mit anderen Aufgaben einhergeht, sich folglich auch die konkrete Ausgestaltung des Berufes ändere, argumentierte Scherer weiter. Auch deshalb gelte es auf die konkrete Ausgestaltung der zuletzt ausgeübten Tätigkeit Bezug zu nehmen, wenn der Versicherer feststellen will, wie Krankheit, Verletzung und Kräfteverfall die Arbeitsfähigkeit im Beruf beeinträchtigen. Auch der Versicherungsbote hat diese Kritik in einem sehr ausführlichen Artikel aufgegriffen.

Zu dieser Kritik hat sich nun Christian Dulitz in einem Interview geäußert, Produktmanager der Condor Leben. Er ist derjenige, der sich die Teilzeitklausel wesentlich mit ausgedacht hat. Er weist die Kritik zurück, mit einem einfachen Argument: Das Versicherungsvertragsgesetz erlaubt Abweichungen, wenn dadurch der Kunde eindeutig besser gestellt wird und keine Nachteile erfährt. Verbesserungen gegenüber der Definition im VVG zum Vorteil des Kunden seien demnach gestattet.

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“Diese Kritik ist aus unserer Sicht unbegründet, denn Paragraf 172 VVG ist nicht "halbzwingend". Das bedeutet, es darf hiervon positiv abgewichen werden. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Versicherungswirtschaft im Sinne der Produktvielfalt keine Fessel für die Definition der Berufsunfähigkeit angelegt werden“, sagte Dulitz im Interview mit fondsprofessionell.de.

Analysehaus Morgen und Morgen gibt Rückendeckung

Rückendeckung für die beiden Versicherer gibt es nun vom Analysehaus Morgen & Morgen, die sich mit Vergleichen und Studien zu Berufsunfähigkeits-Tarifen bereits seit Jahren einen guten Ruf erworben haben. „TEILZEITKLAUSEL IN DER BERUFSUNFÄHIGKEIT – GEFÄLLT UNS!“, ist ein Blog-Artikel auf der Webseite des Hofheimer Unternehmens überschrieben. Auch nach Ansicht der Experten bedeuten die Klauseln demnach keinen Verstoß gegen das Versicherungsvertragsgesetz.

Dabei gilt es zu bedenken, dass die Klausel der Württembergischen nicht identisch mit dem Vertragstext der Condor ist, sondern Zeitpunkt und Tätigkeit weit stärker einschränkt. Beide Klauseln gegenübergestellt:

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Württembergische: „Wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit von Vollzeit auf Teilzeit reduziert, gilt in den nächsten 12 Monaten Folgendes: Wenn Sie einen Antrag auf Berufsunfähigkeit stellen, legen wir die berufliche Tätigkeit in Art und Umfang vor Reduzierung der Arbeitszeit zugrunde.

Condor:: „Reduziert die versicherte Person während der Versicherungsdauer ihre vertraglich oder gesetzlich fixierte wöchentliche Arbeitszeit, bleibt für die Beurteilung einer Berufsunfähigkeit die während der Versicherungsdauer höchste vertraglich oder gesetzlich fixierte wöchentliche Arbeitszeit maßgebend (Teilzeitklausel). Nachweise über die jeweiligen Arbeitszeiten sind uns vorzulegen. Entsprechendes gilt, wenn die Arbeitszeitreduktion vom Arbeitgeber angeordnet wird (z. B. Kurzarbeit).

Zu der Württembergischen schreibt Morgen & Morgen: „Die Klausel der Württembergischen ist dabei zeitlich sehr begrenzt und auf den gleichen Beruf bezogen, der nun in Teilzeit ausgeübt wird. Intransparenz kann man diesen zwei Sätzen nicht vorwerfen. In diesen zwölf Monaten wird der gleiche Beruf so geprüft, als ob er in Vollzeit ausgeführt worden wäre. Klar formuliert und eindeutig zum Wohle des in Teilzeit arbeitenden Versicherungsnehmers“.

Im Zweifel für den Versicherungsnehmer?

Die Klausel der Condor ist da schon etwas schwieriger einzuschätzen, denn sie gehe „zeitlich deutlich darüber hinaus und ist nicht auf den gleichen Beruf bezogen“, schreiben die Analysten. „Trotzdem bleibt der zuletzt ausgeübte Beruf als zu prüfend ausschlaggebend. Einzig die zeitliche Komponente der einzelnen Tätigkeiten wird mit einem Faktor entsprechend zur Vollzeitstelle belegt“. Auch hier sei die Klausel klar und eindeutig zum Wohle des in Teilzeit arbeitenden Versicherungsnehmers formuliert. Fazit Morgen & Morgen: Daumen nach oben.

Die Analysten verteidigten den Hamburger Versicherer zugleich gegen die Kritik, es sei unklar, welche Nachweise vorgelegt werden müssen, damit der Anspruch auf BU-Rente entsprechend einer früheren Arbeitszeit geprüft werden kann. Ein Nachweis der früheren Arbeitszeit sei über einen Arbeitsvertrag, der die damalige Vollzeitstelle belege, leicht zu erbringen.

Auch eine gerichtliche Auseinandersetzung mit der Condor müssten die Versicherungsnehmer nicht fürchten. Sollten Zweifel bei der Auslegung der Teilzeitklausel aufkommen, „so springt der Gesetzgeber dem Versicherungsnehmer eindeutig zur Seite, indem er in § 305 c Abs. 2 BGB regelt: Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders“, schreibt Morgen & Morgen.

Entsprechend empfiehlt Morgen & Morgen die Teilzeitklausel der Branche indirekt zur Nachahmung. "Unser Umfeld verändert sich. Menschen wünschen sich mehr Flexibilität. Aufgrund verschiedener individueller Umstände werden Teilzeitarbeitsmodelle immer attraktiver. Die Teilzeitklausel könnte aktueller nicht sein und ist somit eine durchaus sehr interessante Idee", schreiben die Hessen. Und weil sie selbst ein BU-Rating betreiben, ist zu erwarten, dass eine solche Klausel auch mittelfristig bei der Analyse von Tarifen berücksichtigt werden könnte.

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Umsonst zu haben ist die Teilzeitklausel übrigens nicht: Sie kostet Aufpreis, wie Condor-Produktmanager Dulitz im Interview mit fondsprofessionell.de verriet. Wie viel Aufpreis die Kunden einplanen müssen und wie dieses Extra kalkuliert ist, wollte er nicht verraten: auch, um sich von anderen Versicherern nicht in die Karten schauen zu lassen.

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