Seit dem 1. November 2018 können sich Verbraucher zusammentun, um mit einer sogenannten Musterfeststellungsklage gemeinsam gegen Unternehmen vorzugehen. Bedingung ist, dass sie sich der Klage eines Verbraucherverbandes anschließen, der beim Bundesjustizministerium registriert ist. Genau eine solche Klage strengt nun die Verbraucherzentrale Sachsen gegen die Stadt- und Kreissparkasse Leipzig an. Die Vorwürfe wiegen schwer: es geht um systematisch zu niedrig berechnete Zinsen, willkürlich geänderte Klauseln — und viel Geld, dass den Kunden mutmaßlich vorenthalten wurde.

Anzeige

“S Prämiensparen flexibel“: Variabler Zins rapide abgesenkt

Die Klage betrifft langfristige Sparverträge des Modells „S Prämiensparen flexibel“, wie die Verbraucherzentrale Sachsen auf ihrer Webseite berichtet. In den 90ern bis Anfang der 2000er Jahre abgeschlossen, sahen sie einen variablen Zins und einen gestaffelten Bonus zum Jahresabschluss vor.

Anfangs waren das durchaus lukrative Verträge, die einen Jahreszins von bis zu fünf Prozent versprachen. Die Sparkassen aber passten den Zinssatz immer wieder nach unten an, bis faktisch nichts mehr übrig war. Zuletzt betrug er magere 0,001 Prozent per annum.

Stark vereinfacht handelt es sich um folgenden Streitpunkt: Die Verträge enthielten eine recht vage und ungenau formulierte Klausel, wie der Zins angepasst wird. Üblich waren Formulierungen wie: “Die Spareinlage wird variabel, zur Zeit mit 3 Prozent verzinst.“ Die Sparkassen wollten Korrekturen des Zinses dann einfach per schriftlichem Aushang in ihren Filialen bekanntgeben.

Aus Sicht des BGH benachteiligt diese Klausel aber den Sparer. Der Kunde könne nicht nachvollziehen, wie und unter welchen Bedingungen die Zinsen nach Vertragsabschluss angepasst werden. Es bestehe die Gefahr, dass die Sparkassen den Zins willkürlich zum Nachteil des Kunden abändern (u.a. BGH-Urteil vom 17.02.2004, AZ: XI ZR 140/03 sowie BGH-Urteil vom 14.03.2017, XI ZR 508/15).

"Wir haben tausende Verträge geprüft!"

Die Verbraucherzentrale Sachsen bemängelt nun, dass die Sparkassen als Reaktion auf die Urteile mehrere Vorgaben des BGH nicht beachtet haben, ja geradezu rechtswidrig verletzten. Die Zinsen wurden demnach zu Unrecht stärker gekürzt als erlaubt.

"Wir haben landesweit rund 3000 Verträge geprüft und festgestellt, dass im Schnitt 2500 Euro zu wenig ausgezahlt wurden", sagte eine Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur. Bei der Sparkasse Leipzig seien es 3400 Euro. Die angeblichen Fehlberechnungen variieren dabei von Vertrag zu Vertrag sehr stark: von 200 Euro bis hin zu 36.000 Euro.

Der Vorgang hat einiges an Sprengkraft. Während sich die Verbraucherzentrale Sachsen aktuell allein mit dem Thema beschäftigt, ist das Problem wohl nicht auf regionale Institute beschränkt. "Wir haben Anfragen aus Hessen, Bayern, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt", erklärte Pressesprecherin Christina Siebenhüner bereits im Februar dem Magazin "MDR Umschau". Möglicherweise sind auch ähnliche Verträge anderer Banken betroffen sowie Riester-Policen mit variablem Zins.

Streitpunkt Referenzzins

Konkret wirft die Verbraucherzentrale den Sparkassen mehrere Fehler bei den Zinskürzungen vor. Die Einschnitte hätten sich an einem Referenzzins orientiert, der kurzfristige Spareinlagen einrechnete: Geldanlagen also, die in Zeiten niedriger Zinsen kaum etwas abwerfen. "Hierdurch werden fallende Zinsen schneller an die Sparer weitergegeben", berichtet Rechtsanwalt Kai Malte Lippke auf anwalt.de, der gemeinsam mit der Verbraucherzentrale die Sparverträge prüfte. Dies sei bei langfristigen Sparverträgen aber unzulässig. Sie müssten sich vielmehr an einer Zeitreihe der Bundesbank orientieren, die ebenfalls für langjährige Anlagen gelte und Pfandbriefe mit zehnjähriger Laufzeit erfasse (WX 4260).

Fehler Numero zwei: Die Differenz zwischen dem Vertragszins und den für Kürzungen relevanten Referenzzins dürfe nicht zu groß sein, sondern muss über die gesamte Vertragslaufzeit in etwa beibehalten werden. Wenn der Vertragszins also in den 90er Jahren vier Prozent betrug und der Referenzzins fünf Prozent, müssen diese 80 Prozent des Referenzzzinses in etwa auch für den Rest der Vertragslaufzeit weitergegeben werden. Hier stellten die Prüfer teils enorme Unterschiede fest. Auch müsse die Anpassung regelmäßig erfolgen und nicht erst, wenn bestimmte Schwellenwerte erreicht seien.

Anzeige

Die Sparkasse Leipzig sieht sich hingegen im Recht. "Wir gehen davon aus, dass wir eine transparente, sachgerechte und den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügende Zinsanpassungsklausel umgesetzt und angewandt haben, die deshalb auch wirksam ist", sagte Sprecher Frank Steinmeyer dem MDR. Die Klage sei nicht nur für die Sparkasse Leipzig, sondern für die gesamte Sparkassenorganisation und auch die Kreditwirtschaft von großer Bedeutung. "Wir werden deshalb die jetzt notwendige juristische Klärung der genannten Streitpunkte in enger Abstimmung mit den Verbänden vorantreiben", so Steinmeyer.

Schlichtung gescheitert

Aufgrund der großen Zahl an Betroffenen strengt der Verbraucherverband nun eine Musterfeststellungsklage an. Seit 2018 existiert dieses Instrument im deutschen Recht: Vereine können demnach klagewillige Verbraucher sammeln, um unter vereinfachten Bedingungen einen Sachverhalt juristisch klären zu lassen. Bedingung ist aber, dass sich die Verbraucher in ein Klageregister des Bundesjustizministeriums eintragen lassen. Binnen zwei Monaten müssen sich mindestens 50 Klagewillige finden, damit sie nicht schon im Vorfeld scheitert.

Ein weiterer Grund für die Musterfeststellungsklage: Bereits im Vorfeld ist der Versuch gescheitert, den Sachverhalt über eine Schlichtungsstelle der Sparkassen zu regeln. Zwar hätten die Sparer prinzipiell Recht bekommen, berichtet die Verbraucherzentrale gegenüber MDR. Aber die Institute wollten nur 13 Prozent der geforderten Summe zahlen. Auch beharrten sie darauf, dass einige Forderungen bereits verjährt seien. Die Verbraucherzentrale Sachsen rät davon ab, sich auf den Vergleich einzulassen.

Anzeige

Die Klage wurde am 27. Mai 2019 beim Oberlandesgericht (OLG) Dresden eingereicht. Zulässig ist sie bereits. “Der Senat hat die Klage geprüft und an das Bundesamt für Justiz zur Veröffentlichung weitergegeben“, berichtet OLG-Sprecherin Gesine Teews dem MDR.

Drohender Rechtsstreit im Nachgang

Die Musterfeststellungsklage nach deutschem Recht hat aber einen entscheidenden Fehler, zumindest aus Sicht der klagenden Verbraucher. Selbst wenn sich die Verbände im Namen der Verbraucher gegen einen Konzern durchsetzen, bedeutet dies nicht automatisch, dass die Verbraucher Schadensersatz erhalten. Im Gegenteil: danach muss jeder Verbraucher individuell einzeln klagen, wenn auch unter vereinfachten Bedingungen. Obwohl die Musterfeststellungsklage kostenfrei und verjährungshemmend ist, so drohen danach Anwaltskosten, die der Betroffene zunächst selbst vorschießen muss.

Der Vorteil aus Sicht der Geschädigten: Nach einer Musterfeststellungsklage sind geringere Verfahrenskosten zu erwarten, da keine Gutachten und Zeugen mehr nötig sind, sofern sie schon erhoben wurden. Doch der Gesetzgeber hat, anders als in den USA, hohe Hürden gesetzt. Ist der Eintrag ins Klageregister auch kostenfrei, so doch nicht ganz unkompliziert. Das zeigt auch die Webseite der Verbraucherzentrale Sachsen:

Anzeige

Damit der Anschluss an die Klage gelinge, "soll die Eintragung ins Klageregister möglichst aller Teilnehmer rechtssicher erfolgen", heißt es bei der Verbraucherorganisation. "Da die Eintragung ins Klageregister nicht ganz einfach ist, bietet die Verbraucherzentrale Sachsen umfassende Beratung und Begleitung für betroffene Sparer an". Zum Nulltarif erfolgt das nicht. Die Berechnung des vermeintlichen Fehlbetrages kostet bereits 85 Euro, die Beratung fürs Klageregister weitere 40.

Seite 1/2/

Anzeige