Versicherungsbote: Die fortschreitende Automatisierung der Automobilindustrie fordert Regelungen zu Haftungsfragen: zum Beispiel die Frage, ob Versicherungen und/oder Hersteller haften. Derzeit werden Modelle in Erwägung gezogen, die auf einem solidarischen Prinzip basieren. Diskutiert wird beispielsweise ein Haftungsfonds, der von Versicherern und Autofirmen gemeinsam finanziert wird. Kann das funktionieren?

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Carsten Laschet: Nach derzeitigem Stand ist die Kfz-Haftpflichtversicherung auch dann eintrittspflichtig, wenn ein Schaden durch ein fehlerhaft arbeitendes Fahrassistenzsystem herbeigeführt wird. Diesbezüglich wollen auch die Versicherer keine Einschränkung vornehmen, wie den Darlegungen des Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) zu entnehmen ist. Eine andere Frage ist es, ob und bei wem durch den Kfz-Haftpflichtversicherer Regress genommen werden kann.

Nach heutiger Rechtslage gehen die rechtlichen Rahmenbedingungen vom sog. „Driver-Only-Prinzip“ aus, wonach die alleinige Verantwortung für die Steuerung des Fahrzeuges beim Fahrzeugführer liegt (zu den Einzelheiten weiter unten). Die Automatisierung des Fahrens hingegen nimmt dem Fahrer zunehmend die Verantwortung ab und verlagert diese auf den Hersteller des Kraftfahrzeuges. Damit rückt der Hersteller zunehmend in den Fokus der Versicherer, was mögliche Regressansprüche anbelangt, etwa im Rahmen der Produkthaftung.

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass Hersteller und Versicherer Lösungswege für das Autonome Fahren zu finden versuchen. Das klassische versicherungsrechtliche Risiko – Steuerung eines PKW durch einen Menschen – wird sich durch zunehmende Automatisierung verändern und damit auch auf den Hersteller und dessen Versicherungsschutzmodelle verlagern. Insofern kann eine Lösung nur gemeinsam zwischen Versicherungswirtschaft und Herstellern erarbeitet werden. Auch der Gesetzgeber wird Fragen zu beantworten haben, beispielsweise ob das Modell des Direktanspruchs auch für Versicherungen von Herstellern denkbar wird.

Wer ist im Falle eines Schadens verantwortlich, wenn das System eines selbstfahrenden Autos die Steuerung übernommen hat? Der Hersteller, der Fahrer, der Halter oder der Softwarehersteller? Wer haftet?

Laschet: Dies ist zunächst nach teilautomatisiertem, hochautomatisiertem und vollautomatisiertem Fahren zu differenzieren, weil die Haftung je nach Grad der Automatisierung unterschiedlich ist. Nur beim vollautomatisierten Fahren – welches aber straßenverkehrsrechtlich noch nicht zugelassen ist – kann dem Fahrer jegliche Handlungsverantwortung abgenommen werden. Ansonsten gilt derzeitig folgendes weiter:

Das Straßenverkehrsgesetz (StVG) regelt die Halterhaftung (§ 7 StVG) sowie die Fahrerhaftung (§ 18 StVG) – und diese haben Vorrang. Daneben kommen die deliktische Haftung nach BGB (§ 823 Abs. 1 BGB) und die Produkthaftung (§ 1 Abs. 1 ProdHaftG; 15 Abs. 2 ProdHaftG, § 823 BGB). Die Fahrerhaftung und die Gefährdungshaftung des Halters bleiben danach derzeit im Vordergrund und eine haftungsrechtliche Entlastung ist denkbar, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wurde. Da diese nur bei Eingriffen von außen anzunehmen ist, sind Fehler in Assistenzsystemen darunter nicht anzusiedeln.

"Fahrer steht Nachweis offen, dass ihn kein Verschulden trifft"

Neben dem Halter haftet der Fahrzeugführer nach § 18 Abs. 1 StVG. Dem Fahrer steht gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG der Nachweis offen, dass ihn kein Verschulden an dem Unfall trifft. Im Rahmen des automatisierten Fahrens wäre zu thematisieren, welche Maßnahmen vom Fahrer ergriffen werden müssen bzw. welche Sorgfaltsanforderungen an ihn zu stellen sind, um Assistenzsysteme zu kontrollieren, zu bedienen und zu warten. Also wiederum eine Regelung zu besagter Schnittstelle „Mensch-Maschine“.

Also muss der Fahrer nachweisen, dass er trotz größter Sorgfalt keine Chance hatte, eine Fehlfunktion des Assistenzsystems zu verhindern?

Laschet: In der verkehrsunfallrechtlichen Praxis ist es schon heute oft problematisch herauszufinden, inwieweit ein Schaden durch die Verkehrsteilnehmer jeweils verursacht worden ist. Hier könnte zur Bewertung der „Beiträge zum Unfall“ zugunsten eines Verkehrsteilnehmers sprechen, dass ein durch automatisierte Systeme herbeigeführtes Ereignis für diesen unabwendbar war. Allerdings gilt dies dann wiederum für alle Unfallbeteiligten. Nach heutiger Rechtslage allerdings stellt § 17 Abs. 3 StVG klar, dass ein unabwendbares Ereignis nicht vorliegt, wenn das Ereignis auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeuges oder auf einem Versagen seiner Vorrichtungen beruht. Damit steht derzeit fest, dass auch derjenige, der sich auf ein Assistenzsystem verlässt, nicht von der Haftung frei wird.

An Relevanz gewinnen wird im Bereich des automatisierten Fahrens naturgemäß der Bereich der Produkthaftung. In haftungsrechtlichem Sinne wirft das Produkthaftungsrecht im Zusammenhang mit dem automatisierten Fahren gleichwohl eine Reihe von Detailproblemen auf, die letztlich nur nach dem verbraucherschützenden Sinn und Zweck des Produkthaftungsrechts gelöst werden können. Je mehr die Verkehrsteilnehmer sich auf die Technik verlassen können, sollen und dürfen, desto mehr Verantwortung werden die Hersteller auf sich ziehen. Da werden auch keine Warnhinweise auf die Letztverantwortung des Fahrers helfen können.

Rechtsanwalt Christian Solmecke erklärtRechtsanwalt Christian Solmecke erklärtHaftungsfragen beim autonomen Fahren.WILDE BEUGER SOLMECKE Rechtsanwälte

Christian Solmecke: Im Straßenverkehrsgesetz ist eine verschuldensunabhängige Haftung des Fahrzeughalters geregelt. Der Halter haftet also für alle Schäden, die beim Betrieb seines Fahrzeugs entstanden sind. Das Gleiche gilt zunächst auch für den Betrieb von selbstfahrenden Autos. Bezüglich des Fahrers gilt eine Haftung für vermutetes Verschulden. Das heißt, dass dieser zunächst einmal für die eingetretenen Schäden haftet, es sei denn er kann nachweisen, dass ihn keine Schuld trifft. Der bloße Hinweis auf das Fahren per Fernsteuerung wird hier jedoch vermutlich nicht ausreichen, um die Schuld auszuschließen.

Ist das fair?

Solmecke: Liegt tatsächlich ein Softwarefehler vor, stellt sich die Frage, ob der Hersteller nicht in Regress genommen werden kann. Zum einen kann im Rahmen des gesetzlich geregelten Gewährleistungsanspruchs, der bei Kaufverträgen gilt, ein Schadensersatzanspruch geltend gemacht werden. Schwierig wird es allerdings, wenn die Gewährleistungsansprüche verjährt sind oder möglicherweise sogar ausgeschlossen wurden – etwa beim Kauf eines gebrauchten Fahrzeugs. Hier kommt die verschuldensunabhängige Produkthaftung ins Spiel. Ist ein Produkt schon bei seiner Einführung in den Verkehr fehlerhaft, dann haftet der Hersteller für den entstandenen Schaden.

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Eine Produkthaftung des Herstellers kommt außerdem in den Fällen in Betracht, in denen ein sogenannter Instruktionsfehler vorlag. Hersteller, die den Verbraucher nicht richtig über den bestimmungsgemäßen Gebrauch und die möglichen Gefahren informieren, haften unter Umständen auch, wenn das Produkt an sich fehlerfrei war.

Gesetze und Haftungsrecht sollten sich nicht nach den Schlagzeilen eines Tages richten.

Die hybriden Modelle ändern sich so schnell. Versicherer versichern hingegen weiterhin statisch – in einer zunehmend dynamischen Umwelt. Viele Autopilot-Feature und Updates ändern ständig wesentliche Grundlagen. In der Konsequenz kann der gewählte Versicherungstarif buchstäblich über Nacht nicht mehr zum Produkt passen. Haben Sie eine Lösung parat? Welche? Wie können alle Seiten rechtlich abgesichert werden?

Laschet: Aus meiner Sicht – und das ist durch obige Ausführungen gestützt – ist es im Wesentlichen kein rechtliches Risiko, mit dem sich Versicherte und Versicherer im KFZ-Bereich konfrontiert sehen. Vielmehr riskieren die Hersteller, zunehmend Verantwortung durch Automation zu übernehmen. Daneben bleibt aber die Frage offen, ob es dauerhaft angemessen ist, die Halter eines PKW's Versicherungsprämien leisten zu lassen, welche ursprünglich dazu gedacht waren, ein völlig anderes Risiko abzudecken. Das betrifft dann sehr wohl auch die versicherungsrechtliche Risikogemeinschaft in diesem Bereich. Technik aber hat sich stets gewandelt und das Recht als solches hat auch funktionierende Reaktionsmechanismen. Man kann schon manchmal verwundert sein, wie gut klassische und zum Teil sehr alte gesetzliche Regelungen den Gerichten die Möglichkeit geben, aktuelle Entwicklungen zu bescheiden. Und dann erst kommen die Versicherer maßgeblich ins Spiel. Insofern teile ich die Annahme der Statik nicht ganz.

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Eigentlich sollte man Modelle wie Tesla doch befördern, stellen die Automobilhersteller solche Unfälle wie der des verunglückten Autofahrers doch dann als eine enorme Seltenheit dar, wenngleich mit weitreichenderen Folgen. Damit könnten auch die Prämieneinnahmen der Versicherungen im Bereich KFZ zurückgehen, oder?

Laschet: Im Hinblick auf den angesprochenen Tesla-Vorfall tritt ein Phänomen zutage, das uns bereits aus dem Flug- und Bahnverkehr bekannt ist. Technische Fehler werden in der Presse wesentlich höher „bestraft“ als menschliches Versagen. Dabei sprechen die absoluten Zahlen für die Technik. Das Problem ist nur, dass es dem Großteil der Menschen derzeit im Grundsatz widerstrebt, die Kontrolle abzugeben. Dieses Problem ist im Straßenverkehr noch weitaus größer als etwa im Flugverkehr, denn dort besteht als Passagier fast keine andere Wahl, als dem (Auto-) Piloten die Kontrolle zu übergeben. Im Straßenverkehr hingegen muss der Fahrer den Autopiloten zunächst selbst aktivieren und den Verkehr dann sehenden Auges passiv verfolgen. Vor diesem Hintergrund verlangt die neuste Tesla-Technik im Übrigen, dass der Fahrer selbst stets die Hände am Lenkrad behält, um notfalls eingreifen zu können.

Rechtsanwalt Carsten Laschet ist geschäftsführender Partner der Sozietät Friedrich Graf von Westphalen in Köln.Rechtsanwalt Carsten Laschet ist geschäftsführender Partner der Sozietät Friedrich Graf von Westphalen in Köln.Seine Schwerpunkte liegen u.a. im Versicherungs- und Produkthaftungsrecht. In Letzterem wird er seit Jahren als einer von wenigen „Best-Lawyers“ ausgezeichnet.Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB | Rechtsanwälte

Im Ergebnis aber stimme ich Ihnen zu, dass mit fortschreitender Automation das versicherungsrechtliche Risiko im KFZ-Bereich minimiert werden kann, was in der Folge zu reduzierten Versicherungsprämien führen kann. Ob die Automation aber tatsächlich - so wie erhofft - das Risiko von Unfällen ausschließt oder lediglich minimiert, wird sich noch zeigen. Denn die zunehmende Automation erfordert ein hohes Maß an Vernetzung und Digitalisierung, was letztlich auch das Risiko für Großschäden erhöht. Ein einziger Hacker-Angriff könnte eine Massenkarambolage und zu Schäden in Millionenhöhe führen. In welchen versicherungsrechtlichen Bereichen diese Risikoverlagerungen und –erhöhungen dann im finanziellen Ergebnis aufschlagen werden, ist heute noch nicht abzusehen.

Bisher gehen über 90 Prozent aller Autounfälle auf menschliches Versagen zurück. Wenn sich das ändert, was muss sich dann rechtlich ändern?

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Laschet: Das Recht ist auf Innovationen gut vorbereitet. Es bleibt zu beobachten, ob tatsächlich Anpassungen erforderlich sind. Haftungsrechtlich ist es immer eine Gefahr, zu kleinteilig alles regeln zu wollen, weil dann kleinteilig auch Vieles vergessen wird. Eine Gefahr im Übrigen, der heutzutage der medial beobachtete Gesetzgeber immer häufiger erliegt. Gesetze und Haftungsrecht sollten sich nicht nach den Schlagzeilen eines Tages richten.

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