Zudem äußern sich die Befragten, die erst vor kurzem Kontakt mit ihrem Anbieter hatten, erheblich positiver als andere. Dies gilt für jede Interaktion mit einer Versicherung - vom Vertragsabschluss über eine Schadenmeldung bis hin zur Adressänderung. Lag die letzte Interaktion länger als zwei Jahre zurück, ergibt sich ein NPS von minus 33 Prozent; demgegenüber erreicht der Wert bei einem Kontakt in den vergangenen drei Monaten plus 12 Prozent. Dr. Dirk Lubig, Co-Autor der Studie und Partner bei Bain & Company in München sieht hier einen einfachen Hebel zur Steigerung der Kundenloyalität: "Bis heute ist es die Ausnahme, dass ein Kunde wenigstens einmal pro Jahr von seinem Vermittler kontaktiert wird. Intern fehlen häufig noch ganzheitliche Ansätze und Prozesse, sowie ein entsprechendes Monitoring. Dabei stärkt selbst ein kurzer Kontakt nicht nur die Bindung und damit die Loyalität, sondern bietet vielmehr eine ideale Möglichkeit, über neue Produkte oder Veränderungen bei bestehenden Verträgen zu sprechen."

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Die messbare Unzufriedenheit hat erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen: Denn Promotoren erwerben der Bain-Studie zufolge fast 70 Prozent mehr Produkte, bleiben ihrer Versicherung im Durchschnitt eineinhalb Jahre länger treu und empfehlen sie mehr als doppelt so oft weiter wie Kritiker. Im Ergebnis liegen die Prämieneinnahmen bei einem loyalen Kunden fast doppelt so hoch wie bei einem Kritiker.

Der falsch geeichte Kompass: Versicherer schätzen Kundenerwartungen falsch ein

Um dieses noch ungenutzte Ertragspotenzial zu realisieren, müssen die Versicherer die Lücke zwischen den Bedürfnissen der Kunden und dem tatsächlichen Angebot schließen. Viele Versicherte haben ihren Kundenkompass in den vergangenen Jahren auf Basis falscher Hypothesen geeicht und in der Folge die Befriedigung grundlegender Kundenbedürfnisse vernachlässigt. Die Bain-Studie fand heraus, dass der wichtigste Loyalitätstreiber die vom Kunden empfundene Fairness und Sicherheit seines Versicherers ist. Auf Platz zwei rangiert die Beratung und Erfüllung seiner individuellen Bedürfnisse. Erst an dritter Stelle steht das Thema Preise, gefolgt von der Transparenz der Produkte und dem Service. Viele Anbieter haben sich dagegen einseitig auf günstige Tarife und schlanke Strukturen fokussiert.

Dieser "falsch geeichte Kompass" führt dazu, dass die Erwartungen der Kunden unerfüllt bleiben und in der Folge Unzufriedenheit und Wechselwilligkeit wachsen. Bei Anbietern, die diese wahren Kundenbedürfnisse nicht erfüllen, dürfte eine Abstimmung mit den Füßen folgen: Knapp 40 Prozent der Versicherten erklärten, dass sie wechselwillig seien. Vor diesem Hintergrund sagt Versicherungsexperte Henrik Naujoks: "Ähnlich wie bei den Banken ist auch bei den Versicherungen eine Rückkehr zu alten Tugenden und damit traditionellen Werten überfällig. Um die Loyalität ihrer Bestandskunden zu stärken und sie von einem Wechsel abzuhalten, müssen die Versicherer stärker auf Fairness und empathischen Service sowie individuelle Betreuung setzen."

Gleiche Kundenbedürfnisse aber neue Verhaltensmuster: Die Digitalisierung in der Versicherungsbranche ist unausweichlich Die Rückbesinnung auf alte Tugenden ist unerlässlich, auch wenn sich die Versicherungsunternehmen gleichzeitig einem tiefgreifenden Wandel im Kundenverhalten gegenübersehen. Im Rahmen der Bain-Studie erklären rund 60 Prozent der Kunden, dass das Internet für sie künftig der wichtigste Kanal bei einer Interaktion sei. Das gilt für die Information ebenso wie für den Abschluss, die Schadenmeldung und die Verwaltung persönlicher Daten. Das Vordringen digitaler Plattformen reduziert aber keineswegs das Bedürfnis nach individueller Betreuung, denn fast drei Viertel der befragten Versicherungskunden halten die persönliche Betreuung nach wie vor für wichtig, oder sogar sehr wichtig.

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Für die Versicherer haben diese Umfrageergebnisse weitreichende Konsequenzen. Henrik Naujoks erklärt: "Noch sehen viele Anbieter das Internet - neben dem Ausschließlichkeitsvertrieb, Maklern und Banken - als einen weiteren Vertriebskanal. Doch die Kunden differenzieren nicht mehr länger zwischen den einzelnen Kanälen, sondern erwarten ein einheitliches Angebot und Serviceerlebnis. Die Unternehmen müssen daher mit Hochdruck die noch bestehenden Grenzen zwischen Online- und Offline-Welt überwinden und eine sogenannte Omni-Channel-Fähigkeit ihres Angebots und ihrer Beratung sicherstellen."

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