Seit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Anfang März gemeinsam das sogenannte Rentenpaket II vorgestellt haben, war mehrfach abzusehen, dass vor allem die FDP mit dem Kompromiss unzufrieden ist. Anfang April forderte Lindner ein höheres Renteneintrittsalter und gab zu bedenken, dass andernfalls die Rente langfristig nicht finanzierbar sei. Wenige Tage später legte er nach: und antwortete bei einem Bürgergespräch auf die Frage, ob die Rente sicher sei: „nein“. Die umlagefinanzierte Rente sei „auf Dauer nicht stabil“, es müsse Anreize geben, länger zu arbeiten. Und auch Christian Dürr, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, sah Nachbesserungsbedarf. “Wir sollten im Zusammenhang mit dieser Reform auch gleichzeitig eine Flexibilisierung des Renteneintritts beschließen, dass Menschen freiwillig länger arbeiten“, sagte der Ökonom der BILD-Zeitung.

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Doch jene Rentenreform, die die FDP gemeinsam mit SPD und Grünen auf den Weg gebracht hat, sah genau dies nicht vor: eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters ist ebensowenig vorgesehen wie zusätzliche Anreize für längeres Arbeiten. Es ist ein Minimalkonsens, der sich stark vereinfacht auf zwei Grundsätze beschränkt. Das Rentenniveau soll bis mindestens 2039 bei 48 Prozent festgeschrieben werden - also das Verhältnis einer Durchschnittsrente nach 45 Beitragsjahren zu dem durchschnittlichen Einkommen der Beschäftigten. Und ein Kapitalstock soll gebildet werden, um zukünftige Beitragszahler zu entlasten: aktienbasiert und auf Pump. Letzteres war ein Kernanliegen der Liberalen, wenn auch das jetzige Modell weit entfernt ist von der ursprünglichen Idee der Aktienrente, bei der jeder Bürger bzw. jede Bürgerin individuell einen Teil des Einkommens als Kapitalstock anspart. Viele Experten sind sich einig, dass die jetzige Reform nicht ausreicht, um die Rentenversicherung in Zeiten einer stark alternden Gesellschaft dauerhaft zu stabilisieren. Bis zum Jahr 2035 muss der Rentenbeitrag nach Berechnungen der Bundesregierung auf über 22 Prozent steigen, um den Status Quo zu sichern - eine Mehrbelastung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Rentenreform vorübergehend gestoppt

Dies ist die Ausgangssituation, in die am Dienstag die Meldung platzte, dass das Bundesfinanzministerium die Rentenreform gestoppt und ihre Zustimmung dazu im Bundeskabinett verweigert habe. Nach Widerspruch des Finanzministeriums sei das Vorhaben am Montag nicht auf die Tagesordnung der Kabinettssitzung gesetzt worden, die am heutigen Mittwoch stattfinden soll, so berichteten „Reuters“ und die BILD-Zeitung. Ein Regierungssprecher hat den Vorgang mittlerweile bestätigt. „Lindner probt Aufstand gegen Scholz“, so war der Artikel in Deutschlands größter Boulevard-Zeitung überschrieben. Von einer Provokation Lindners ist darin die Rede. Die BILD berichtet von einem Krisengipfel mit Bundeskanzler Olaf Scholz, Christian Lindner (FDP) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). In der Bundesregierung sollen die Nerven blank gelegen haben. Treibende Kraft hinter der Blockade soll laut BILD Lindners Staatssekretär Steffen Saebisch sein.

Was war der Grund für die Blockade von Lindners Ministerium? Die BILD spekuliert, dass er auf diese Weise noch Änderungen am Rentenpaket habe durchsetzen wollen. Was insofern verwundert, weil Christian Lindner das Rentenpaket wesentlich mit ausgehandelt hat. Das Bundesfinanzministerium selbst preist das Rentenpaket II auf seiner hauseigenen Webseite als „Meilenstein“. Entsprechend brüskiert zeigten sich die Regierungspartner von der Notgrätsche des FDP-Ministers. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, zitiert das „Handelsblatt“ einen Politiker aus Regierungskreisen, der nicht namentlich genannt werden will.

Ein weiterer möglicher Grund: Streit um den Bundeshaushalt. Kurz vor seinem Vorstoß hatte Christian Lindner berichtet, dass die Mehrzahl der Bundesministerien ihre Haushaltsentwürfe für das Jahr 2025 beim Finanzministerium eingereicht hätten. Zwar hätten sich diese mehrheitlich an seinen Finanzvorgaben orientiert. „Es gibt aber einzelne Ressorts, die exorbitante Wunschzettel eingereicht haben. Weihnachten, Ostern und Geburtstag zusammen, gewissermaßen“, sagte Lindner Anfang Mai. Wiederholt war in Medien spekuliert worden, ob der Streit um den Bundeshaushalt die Ampel-Koalition zum Platzen bringen könnte. Lindner will sparen und beharrt auf Einhaltung der Schuldenbremse - Teile der SPD und die Grünen wollen die Bremse lockern und mehr staatliches Geld investieren. In der ARD-Talkshow Miosga am 07. Mai war ein möglicher Bruch der Bundesregierung ein Schwerpunktthema. „Zerbricht die Ampel am Geld, Herr Lindner?“ war die Sendung überschrieben, zu der Lindner als Gast geladen war.

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Nach dem Krisengespräch am gestrigen Dienstag im Kanzleramt gibt Bundeskanzler Olaf Scholz Entwarnung. „Das Rentenpaket kommt, und es kommt im Mai“, zitiert die Deutsche Presse-Agentur den Kanzler. Zugleich verneinte er, dass es sich einen Krisengipfel allein aufgrund dieser Blockade gehandelt habe. Das sei ein lange verabredetes Gespräch zum Bundeshaushalt und zur Dynamisierung der Wirtschaft gewesen, bei dem dann auch über das Thema Rente gesprochen worden sei, sagte Scholz. Weniger harmonisch klingt das Statement aus dem Bundesfinanzministerium. „Aufgrund hoher Anmeldungen für den Haushalt 2025 müssen aktuelle Vorhaben neu in den Gesamtkontext eingeordnet werden“, hieß es in einem Statement. Was viele offene Baustellen vermuten lässt. Nach Informationen des „Handelsblatts“ hatte unter anderem Bundesarbeitsminister Heil 7,6 Milliarden Euro mehr gefordert, als das Finanzministerium ihm zugestehen wollte - auch wegen der Rente?

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