Sie kommen schnell. Und schnell sind sie leider oft auch wieder vergessen – katastrophale Naturereignisse. Das Extremwetterereignis „Bernd“ hat 2021 zu massiven Schadensbildern und unermesslichem Leid geführt. Ein Jahr danach haben Reportagen, Augenzeugenberichte und Dokumentationen zu diesem Themenkomplex die Medienlandschaft bestimmt. Doch wie lange hält die Aufmerksamkeit an? Wie kann man sich zukünftig an solche Ereignisse erinnern? Und wie ernsthaft wird gehandelt, um das Ausmaß von Katastrophen in Zukunft zu begrenzen?

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In unseren PERC-Analysen (Post-Event-Review-Capability) untersucht das Zurich Flood Resilience Program regelmäßig schwere Hochwasserkatastrophen auf der ganzen Welt. Die Experten analysieren, was zum Ausmaß der Katastrophe geführt hat – und geben Empfehlungen, wie solchen Naturereignissen in Zukunft besser begegnet werden und sich die Gesellschaft darauf einstellen kann. Der Schlüssel liegt in einer konsequenten und regelmäßigen Vorbereitung auf eine mögliche Krisensituation – und der richtigen Kommunikation.

Diese Katastrophe wurde oft als eine „nie dagewesenes“ und als „völlig unerwartetes“ „Jahrhundertereignis“ bezeichnet. Ein leichtfertiges und falsches Framing, das eine verfehlte Präventionspolitik verharmlost und gleichzeitig den falschen Eindruck erweckt, eine solche Katastrophe würde sich de facto nur einmal in einhundert Jahren ereignen können. Ein sogenanntes „HQ100“, also ein Hochwasserereignis, das mit der Wahrscheinlichkeit von 1/100 jedes Jahr erreicht wird, bedeutet aber statistisch, dass es 100 Mal in 10.000 Jahren stattfindet. Bereits in früheren Jahren gab es Starkregenereignisse; im Jahr 1910 hat es nachweisbar sogar höhere Pegelstände in den von „Bernd“ stark betroffenen Regionen gegeben. Dass es weiterhin Naturereignisse – auch schweren Ausmaßes – geben wird, steht außer Frage. Hier muss die Aufklärung durch Politik und Medien anhand von wissenschaftlichen Analysen präziser erfolgen.

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Hochwasserschutz und Bebauung

Neben der politischen Rolle in Bezug auf funktionierende Frühwarnsysteme und einem effizienten Katastrophenmanagement ist ein konsequenter Hochwasserrisikoschutz eine der tragenden Säulen in der Prävention. Aktuelle Hochwassergefahren und Risikokarten sind unzureichend, um Ereignisse wie die Überschwemmungen von 2021 zu erfassen. Historische Erfahrungen müssen daher in Bebauungs- und Flächennutzungsplänen Einfluss finden. Es ist notwendig, dass die jeweiligen Pläne für die betroffenen Regionen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen bereits jetzt aktualisiert werden. Zusätzlich muss die Versiegelung von Flächen reduziert werden, sodass ein schnelleres und umfassenderes Abfließen des Wassers ermöglicht wird.

Katastrophe als Innovationstreiber

Echte Chancen zur Transformation bietet diesbezüglich der Wiederaufbau. Es muss vermieden werden, dass durch den Aufbau an gewohnter Stelle sowie weitere Bebauung in bekannten Überschwemmungsgebieten erneut konkrete Risiken leichtfertig in Kauf genommen und bewusst auf die Versichertengemeinschaft abgewälzt werden. Vielmehr ist eine neue Planung im Rahmen eines übergreifenden und transparenten Hochwasserschutzplans angeraten. Eine nationale, fachübergreifende Kommission zu Naturgefahren kann helfen, das Gemeinschaftsinteresse vor Einzelinteressen zu stellen. Natürlich können sich Entscheidungsprozesse dadurch verzögern. Doch der zukünftige Nutzen eines integrierten Hochwasserkonzeptes ist auf lange Sicht ein Sicherheitsgewinn für alle.

In diesem Zuge kann der Wiederaufbau als Innovationstreiber dienen. So bietet sich hier ein Fenster, um neue nachhaltige Technologien und Baustoffe einzusetzen, die auch im Katastrophenfall weniger umweltschädigend sind. Die Kontamination von unter dem Wasserdruck geborstenen Öltanks sollte hier ein mahnendes Zeichen sein. Dazu wird eine klare Energievision benötigt: Wie sieht das feste Ziel aus, an dem die betroffenen Regionen bis beispielsweise 2030 stehen möchten und können?

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Prävention gelingt auch durch individuellen Hochwasserschutz. Hier sind auch die Versicherer gefragt, bei der Schadenregulierung und zukünftigen Risikoberatung passende Lösungen anzubieten.

Katastrophenbewusstsein schulen

Der beste Hochwasserschutz stößt irgendwann an seine Grenzen. Menschen, die sich entscheiden, in hochwassergefährdeten Bereichen zu wohnen, müssen „mit dem Wasser leben“ und bereit sein, die entsprechenden Risiken zu tragen. Dazu gehört, dass die Risiken bekannt sind und ins gesellschaftliche Bewusstsein für solche Ereignisse rücken. Die Hochwassergefahr sollte sichtbar und Teil des täglichen Lebens sein. Jährliche Hochwassergedenktage oder historische Hochwassermarkierungen sind einfache und wirkungsvolle Möglichkeiten, dieses gemeinschaftliche Wissen zu pflegen. Alle Haushalte in Überschwemmungsgebieten sollten zudem regelmäßig über ihre Gefährdung informiert werden. Dies kann die jeweilige Gemeinde übernehmen. Aber auch Versicherungsberatern kommt hier eine wichtige Rolle zu, auf die Risikosituation und die Möglichkeiten zur individuellen Absicherung aufmerksam zu machen. Denn neben der Schaffung eines gesamtgesellschaftlichen Risikobewusstseins steht auch jeder Einzelne in der Pflicht, für sich und seine Angehörigen Verantwortung zu übernehmen.

Doch nur, wenn eine Vielzahl dieser präventiven Komponenten zusammenspielen, können wir in Zukunft besser auf Katastrophen reagieren. Denn eines ist sicher: Wenn wir uns nicht vorbereiten, bereiten wir uns aufs Scheitern vor.

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Zur Entwicklung eines gesamtgesellschaftlichen Katastrophenbewusstseins zählt auch, dass der Umgang mit Extremwetterereignissen schon im Grundschulalter geschärft wird. Dies kann mit praktischen Aufgaben passieren – beispielsweise, wie man eine Evakuierungstasche packt. Es erfordert außerdem lebenslange Weiterbildung mit praktischen Übungen einschließlich Evakuierungs- und Verhaltensübungen. Dies schließt im Übrigen auch den Umgang mit und die Akzeptanz von Alarmen, insbesondere Fehlalarmen ein.

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