Waren die Corona-Maßnahmen der letzten Jahre angemessen? Und hat die Bundesregierung ausreichend Daten, um die Wirksamkeit überhaupt überprüfen zu können? Mit diesen Fragen war ein Experten-Gremium betraut, das im September letzten Jahres gemeinsam von der Bundesregierung und dem Bundestag eingesetzt worden war. Vor wenigen Tagen stellte das Gremium seinen Abschlussbericht vor. Und bemängelte unter anderem die fehlenden Daten, die eine Evaluierung der erhobenen Maßnahmen schwierig bis unmöglich machen.

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Doch Ziel des Expertengremiums war es auch, Handlungs-Empfehlungen zu geben, wie künftig auf Corona und andere Pandemien reagiert werden kann. Und hier kommt das Thema Versicherung ins Spiel. Explizit wird eine Versicherungspflicht für Branchen vorgeschlagen, die besonders von Pandemie-Folgen und den daraus folgenden Betriebsschließungen betroffen sind. Auf den Sachverhalt machte zuerst procontra-online.de aufmerksam.

“Verdienstausfälle entschädigungslos hinzunehmen“

Ausgangspunkt der vorgeschlagenen Versicherungspflicht ist die Aussage, dass Gewerbetreibende auf keinerlei Entschädigung hoffen können, wenn sie ihren Betrieb oder ihre Firma pandemiebedingt dicht machten mussten. Hierbei bezieht sich das Expertengremium auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG).

„Die im IfSG enthaltenen punktuellen Entschädigungsregelungen gehen davon aus, dass Verdienstausfälle in Folge eines Erwerbstätigkeitsverbots, einer Betriebsschließung oder einer Absonderung im Regelfall entschädigungslos hinzunehmen sind“, heißt es hierzu im Abschlussbericht. Und weiter: „Daher ist zu überlegen, ob im Hinblick auf zukünftige Pandemien das IfSG um Regelungen für den Ausgleich entstandener Vermögensschäden ergänzt werden sollte.“

Denkbar sei hier eine „versicherungsrechtliche Lösung“, die „Betriebsinhabern, Gaststättenbetreibern etc. aufgibt, sich gegen die Risiken einer Pandemie zu versichern“, heißt es weiter im Bericht. Bedeutet im Klartext eine verpflichtende Lösung. Die Sachverständigen greifen damit eine Forderung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) auf: auch der Lobbyverband hat eine Versicherungspflicht gefordert, an der sich Staat und private Versicherer in Form eines Fonds beteiligen.

Explizit werden im Abschlussbericht Parallelen zur Debatte um Elementarschäden gezogen: folglich die Frage, ob sich Hausbesitzer verpflichtend gegen Hochwasser-Risiken und andere Naturgefahren absichern müssen. Eine solche Versicherungspflicht bestand bis zum Jahr 1993 in Baden-Württemberg. Das zeigte Wirkung, denn fast 94 Prozent der Immobilien sind dort gegen Hochwasser und Co. versichert. Im Bundesschnitt genießt nicht einmal jede zweite Immobilie Versicherungsschutz.

Nun schreibt das Gremium: „Erwogen werden könnte insoweit eine an die frühere Baden-Württembergische Gebäudepflichtversicherung angelehnte Versicherungspflicht, die auf den Ausgleich von Substanzschäden oder von durch Betriebsausfälle hervorgerufenen Schäden gerichtet wäre.“

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Hohe Zusatzkosten speziell für kriselnde Branchen?

Ob alle Gewerbetreibenden einen solchen Schutz abschließen sollen oder nur jene Berufszweige, die besonders von Lockdowns bedroht sind, geht aus dem Bericht nicht eindeutig hervor. Im letzten Fall wären speziell Branchen durch zusätzliche Kosten betroffen, die derzeit ohnehin mit Personalnot, teils geringen Erträgen und hohen geschäftlichen Risiken zu kämpfen haben: etwa die Gastro- und Veranstaltungsbranche. Im Gaststätten-Gewerbe kämpft derzeit jedes sechste Unternehmen um sein Überleben, so eine Studie der Wirtschaftsauskunftei Cif. So sei die Zahl der finanzschwachen und damit insolvenzgefährdeten Gastro-Unternehmen von Januar 2020 bis Januar 2022 um fast ein Drittel auf 16,2 Prozent gestiegen.

BGH sieht private Betriebsschließungs-Versicherer nicht in Leistungspflicht

Der Vorschlag des Expertengremiums ist indirekt auch als Antwort auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) zu verstehen, das für Hoteliers und Gastronomen enttäuschend ausfiel. Viele Betriebe hatten sich mit einer privaten Betriebsschließungs-Police gegen ein längeres Aus aufgrund von Infektionskrankheiten abgesichert und zahlten hierfür hohe Prämien. Aber bis auf wenige Ausnahmen wie die HDI und Signal Iduna sahen sich die Versicherer nicht in der Leistungspflicht, wenn Firmen aufgrund von Corona-Allgemeinverfügungen dicht machen mussten. Die Begründung: COVID-19 werde als versicherte Krankheit im Vertragswerk nicht genannt. Was logisch ist bei einem Virus, das weniger als zwei Jahre bekannt ist.

Dass die Versicherer nicht voll für Corona-Schließungen zahlen wollten, führte zu erbitterten Rechtsstreiten. Doch der BGH urteilte im Sinne der Versicherungsbranche. Dabei ging es stark vereinfacht um die Frage, ob der aufgeführte Katalog an meldepflichtigen Krankheiten in den Vertragsbedingungen abschließend ist - oder um neue Infektionen erweitert werden muss, da sich die Verträge auch explizit auf das Infektionsschutzgesetz bezogen. Und dieses Gesetz wird ständig erweitert, wenn neue Krankheiten auftreten. Auch zur Überraschung vieler Branchenbeobachter urteilte der BGH, dass der Krankheitskatalog in den Bedingungswerken abschließend ist, Corona folglich nicht versichert (Urteil vom 26.01.2022, IV ZR 144/21).

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Ohnehin haben die Versicherer mittlerweile ihr Bedingungswerk überarbeitet und schließen nun Pandemie-Risiken standardmäßig vom Versicherungsschutz aus. Entsprechend hatte die Versicherungswirtschaft bereits ab 2020 wiederholt eine Pflichtversicherung gegen Pandemie-Schäden gefordert. An dem entsprechenden Fonds sollen sich private Versicherer und Staat gemeinsam beteiligen.

Misstrauen der Betroffenen gegenüber privaten Versicherern

Doch die Versicherer stoßen ausgerechnet auf den Widerstand jener, die diese Prämien künftig zahlen sollen. Unternehmer- und Gastroverbände lehnen eine Versicherungspflicht gegen Pandemie-Risiken ab. "Das Vertrauen in die Versicherer ist massiv ins Wanken geraten“, sagte Marc Tenbieg, geschäftsführender Vorstand des Deutschen Mittelstands-Bunds (DMB), im März 2021 der "WirtschaftsWoche".

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Es besteht die Sorge, dass Versicherer auch künftig nicht zahlen werden: selbst, wenn eine Pflichtversicherung für betroffene Branchen gelten sollte. Ähnlich äußerte sich der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW). Dort hieß es, dass die unnötigen Kosten einer Pflichtversicherung „keinem Mittelständler helfen, sondern nur der Versicherungswirtschaft.“ Doch dem Corona-Gremium der Bundesregierung ist auch das Risiko bewusst, die Versicherungsbranche könnte sich mit Klauseln um die Leistungspflicht winden. Und so heißt es im Bericht, dass auch ein Kontrahierungszwang zu erwägen sei. Die Möglichkeit, mittels Klauseln Ausschlüsse zu formulieren, wäre folglich eingeschränkt.

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