Lassen Sie mich mit einer Geschichte beginnen: Ein Firmenkunde lud mich einst zur Feier seines 50igsten Geburtstags ein. Es war ein recht großer Empfang für Familie, Freunde und Geschäftspartner. Er hatte seine 13 Filialbetriebe bei mir versichert und so stellte ich mich in die lange Warteschlange der Gratulanten. Unsere Geschäftsbeziehung war noch recht jung und ohne einen privaten Bezug. Als ich an der Reihe war, ihm zu gratulieren, sagte er zu mir, „Herr Burdack, sie sitzen bitte bei mir am Familientisch“.

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Thomas BurdackThomas Burdack... ist Gründer vom ID Campus in Lübeck.ID CampusIch war zunächst irritiert und fand keine Erklärung für diese „Platzanweisung“, saßen doch hier Mutter, Ehefrau, Tochter und drei weitere Herren, die ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte. Als dann die circa 100 Gäste in dem noblen Lübecker Restaurant Platz genommen hatten, klopfte er an das Glas und begann seine Rede mit den Worten, „Liebe Gäste, sie wundern sich vielleicht, warum diese vier Herren hier am Familientisch sitzen? Es ist mein Anwalt, mein Steuerberater, mein Banker und mein Versicherungsmakler. Ohne diese vier Experten könnte ich mein Unternehmen nicht führen...“ An diesem Tag – ich war gerade 30 Jahre alt – erhielt ich von meinem Firmenkunden den „Ritterschlag“. Er sagte vor allen Gästen, wer ich für ihn war. Nicht der Versicherungsverkäufer, sondern einer von vier unverzichtbaren Experten, die für die Entwicklung und Sicherheit seines Unternehmens wichtig und mitverantwortlich waren.

Es ist immer die Haltung und Einstellung, die entscheidend ist, wie eine Positionierung auf die Wunschkunden wirkt. Wer als Verkäufer denkt, wird als Verkäufer wahrgenommen. Wer als Risikocoach und -manager denkt und handelt, hat eine andere Mission und verändert seine Rolle und sein Handeln. Dieses Erlebnis war für meine weitere berufliche Entwicklung sehr prägend.

Ich änderte fortan meine Akquisitionsstrategie, entwickelte Mehrwertkonzepte und kreierte für mich und meine Mitarbeiter ein Beratungs- und Betreuungskonzept, dass Unternehmer überzeugte und sich im Vorgehen anderer Marktteilnehmer angenehm absetzte. Nicht der Preis war mein Instrument, sondern die wahrnehmbare Qualität einer umfassenden Risikoanalyse mit einem Beratungsprozess, der Antworten auf diese fünf Fragen gibt:

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  1. Welche Werte sind schützenswert?
  2. Welchen Risiken und Gefahren sind diese Werte ausgesetzt?
  3. Welche Instrumente des Werterhalts oder Schutzes gibt es?
  4. Auf welche Versicherungen lassen sich diese Risiken abwälzen?
  5. Ist der Versicherungsschutz wirtschaftlich sinnvoll?

Die produktive Arbeitszeit des Klein- und Mittelständlers ist sein wertvollstes Gut

Echte Unternehmer befassen sich nicht selbst mit zeitraubenden Steuer-, Rechts-, Finanz- und Versicherungsthemen oder suchen selbst im Internet nach Lösungen. Die ständige Erreichbarkeit dieser vier externen Berater führt ihn schnell und kompetent durch das Labyrinth artfremder Betriebsthemen.

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So kann er sich voll und ganz auf seine Kernkompetenzen fokussieren. Wer als Vermittler dieses Rollenverständnis nicht hat, kommt aus seinem Verkäuferanzug nicht heraus und behält in dieser Klientel das lädierte Image des Versicherungsvertreters. Mein Appell: Vollziehen Sie den Wandel vom Verkäufer von Versicherungen zum Risikocoach und Einkäufer von Risiko-Lösungen.

Versicherungsnehmer, die über den Preis kommen, gehen auch wieder über den Preis

Der Fokus auf den günstigsten Beitrag kann für den Vermittler zum Bumerang werden, wenn er gleichzeitig dauerhafte und exklusive Beziehungen zu seinen Kunden aufbauen und pflegen will. Jeder Vermittler ist austauschbar, wenn die Entscheidungsgrundlage des Kunden allein der Preis ist. Wer den besten Preis seiner Produkte nach vorn stellt, lernt nicht, dass er selbst das einzigartige Produkt ist.

Neukunden bekommt man, wenn man den besitzenden Versicherer oder Vermittler bei Fehlern ertappt; denn das beschädigt das Vertrauen des Kunden zu seinem Betreuer. Und wie man weiß, ist Vertrauensbruch der größte Treiber für Trennungen. Nicht Preisvergleiche, sondern die systematische Risikoanalyse anhand der echten Firmenwerte ist der Hebel für Neugeschäft. Welcher Versicherer lässt denn einen attraktiven Firmenkunden bei guter Schadenquote gehen? Natürlich steigt dieser auf ein Konkurrenzangebot ein und senkt den Beitrag notgedrungen ab. Wie oft erleben Vermittler, dass sie über einen Produkt- und Preisvergleich glänzen und trotzdem scheitern, weil das Vertrauen, die Gewohnheiten und die lange Beziehung zum Versicherer oder Vermittler doch schwerer wiegen.

So wie die Anamnese dem Arzt ein genormtes Vorgehen zur Erstellung der Diagnose abverlangt, so sollte auch der Versicherungsvermittler strukturiert vorgehen. Das ist derzeit noch für die meisten Vermittler und deren Organisationen eine (zu) große Herausforderung. Obwohl die IDD hier ein wichtiger Treiber ist, gelingt es den Vertriebsorganisationen und den IT-Entwicklern nicht, die Wünsche, Bedürfnisse und Ziele ihrer Gewerbekunden nach einheitlichem Vorgehen (digital) zu erfassen und zu analysieren, um gleiche Lösungen zu erhalten. Hier macht der Arbeitskreis Beratungsprozesse einen sehr wichtigen Job. Es lohnt sich, die dort erstellten Arbeitsblätter und Beratungsmaterialien – insbesondere für die Gewerbeberatung – zu nutzen.

DIN 77235: Licht am Horizont

Standards für eine fachversierte Gewerbekundenberatung sind in der Praxis eher selten anzutreffen. Aber es gibt Licht am Horizont. So wurde kürzlich die DIN 77235 publiziert. Namhafte Experten aus Verbänden und von Versicherern haben diese Norm entwickelt. Anwender der DIN 77235 ermitteln den Status der Risikosituation von Selbstständigen, Freiberuflern, Gewerbetreibenden und KMU. Beratungssoftware wird diesen Analyseprozess unterstützen. Ein wichtiger Schritt weg vom Produktverkauf hin zu einer ganzheitlichen lösungs- und zielorientierten Gewerbeberatung mit besten Verkaufserfolgen.

Für den klassischen Vermittler bietet das Privatkundengeschäft keine lukrativen Zukunftsaussichten. Das bestätigen heute namhafte Experten, Trendforscher und internationale Unternehmensberatungen. Darauf muss sich der Vermittler einstellen und Lösungen suchen.

Klein- und mittelständische Unternehmen sind laut einer Gothaer-Studie in ihrer gewerblichen Absicherung unterversorgt. Dementsprechend bietet dieser noch nicht gesättigte Markt enormes Vertriebspotenzial. Mit einem durchschnittlich zu erzielendem Prämienvolumen von 8.000 Euro je Gewerbekunde ist diese Kundengruppe äußerst lukrativ, bietet nachhaltige Umsätze und viele Cross-Selling-Möglichkeiten.

ABER: Wer Firmen nur mit seinem geprüften Privatkundenwissen berät, handelt grob fahrlässig. Die Bereitschaft zur Investition in Weiterbildung gehört unabdingbar zum Mindset der Vermittler, die sich auf diese Kundengruppe fokussieren wollen.

Über den Autor:
Thomas Burdack (69), ist Gründer vom ID Campus (www.idcampus.de) in Lübeck. 20 Jahre hat er Versicherungsvermittlungsbetriebe aufgebaut und erfolgreich geführt. Anschließend war er als Bezirksdirektor tätig und leitete die Abteilungen Agenturentwicklung und Aus- und Weiterbildung bei einem öffentlichen Versicherer.

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Hinweis:
Der Text erschien zuerst im Versicherungsbote Fachmagazin 02/2021.

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