Den europäischen Versicherern droht in Großbritannien neuer Ärger im Streit um Betriebsschließungs-Policen. Auch auf der Insel stellen sich die Assekuranzen quer, wenn sie Hoteliers und Gastronomie-Betriebe für Corona-Schließungen entschädigen sollen. Nun hat die britische Aufsichtsbehörde Financial Conduct Authority (FCA) modellhaft 16 Versicherer ausgewählt, gegen die sie wegen der Nichtzahlung bei Betriebsunterbrechungs- und Betriebsschließungspolicen klagen wird. Das berichten am Montag die Financial Times und der Branchendienst „Versicherungsmonitor“.

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Vertragscheck für mehr Rechtsklarheit

Konkret hat die FCA am Montag auf ihrer Webseite angekündigt, sie werde eine Klage vor dem Zivilgericht High Court of Justice (EWHC) erheben. Ziel sei es, 17 umstrittene Vertragsklauseln zu prüfen, die Auszahlungen an Tausende von Inhabern von Betriebsunterbrechungs-Versicherungen verhindert haben. In einem Musterprozeß soll so geklärt werden, wann die Versicherer doch zahlen müssen - und wann nicht. Hierbei gilt es zu bedenken, dass die britische Aufsichtsbehörde auch Verbraucherschutz-Aufgaben wahrnimmt. Der High Court ist unter anderem für vertragsrechtliche Fragen zuständig.

Auch in Großbritannien bangen Hoteliers und Gastwirte um ihre Existenz. Premierminister Boris Johnson hat den Lockdown in England zwar etwas später in Kraft gesetzt als andere europäische Staaten: am 23. März. Zu spät aus Sicht vieler Beobachter, denn da hatte sich das Virus bereits stark verbreitet. Bereits drei Tage vorher mussten alle Pubs, Restaurants und Cafes in England schließen.

Die Coronakrise hat England besonders hart getroffen: Laut der John-Hopkins-Universität zählt das Land zum 2. Juni 277.736 Corona-Erkrankte und 39.127 Tote, die auf das Virus zurückgeführt werden. Zum Vergleich: Deutschland hat aktuell "nur" 8.557 Todesfälle zu beklagen, auch weil es deutlich mehr Intensivbetten und Beatmungsgeräte gibt als im chronisch unterfinanzierten britischen Gesundheitssystem. Entsprechend sind die Einschränkungen auf der Insel noch strenger als hierzulande. Erst am 18. Juni sollen die Gastronomiebetriebe wieder öffnen dürfen: unter Einhaltung strenger Hygiene- und Abstandsregeln.

Versicherer wollen für Pandemie-Risiken nicht zahlen

Doch auch auf der Insel stellte sich das Gros der Betriebsschließungs-Versicherer quer und will Unternehmer mit einer solchen Police nicht entschädigen. Das Argument, stark vereinfacht: Globale Ereignisse wie Pandemien seien nicht versichert, auch keine vorsorglichen Schließungen durch die Regierung. Es müsse schon ein konkreter Corona-Fall im Unternehmen aufgetreten sein und eine individuelle Anordnung für den jeweiligen Betrieb ergangen, um Anrecht auf eine Schadenszahlung zu haben. Argumente, die auch in Deutschland wohlbekannt sind (der Versicherungsbote berichtete).

Bemerkenswert ist, dass die FCA selbst einen Testfall initiierte, um die Ansprüche der betroffenen Versicherungsnehmer zu klären. Anlass seien viele wütende und verärgerte Reaktionen von Betroffenen gewesen, wie die FCA auf ihrer Webseite berichtet: Den notleidenden Gastronomen und Hoteliers sollen zermürbende Rechtsstreite über mehrere Jahre hinweg erspart bleiben. Über 1.200 Einreichungen von Versicherungsnehmern und -Maklern habe man allein bis zum 20. Mai erhalten.

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"Wir haben uns an 56 Versicherer gewandt und über 500 relevante Policen von 40 Versicherern überprüft. Dabei haben wir eine Stichprobe von 17 Grundsatzformulierungen ermittelt, die die Mehrzahl der wichtigsten Streitfragen erfassen", schreibt die Aufsichtsbehörde.

keine Vorverurteilung der Versicherer

In der Liste jener Versicherer, die nun in die Stichprobe einbezogen werden, finden sich durchaus prominente Namen. Die britische Tochter der Allianz ist ebenso vertreten wie jene der Axa und der Zurich. Andere prominente Konzerne sind unter anderem Hiscox Insurance, Liberty Mutual aus den USA oder der australische Versicherer QBE mit ihren britischen Ablegern. Man habe die Versicherer nicht nach ihrer Größe ausgesucht, sondern nach der Repräsentativität der Bedingungsklauseln, berichtet die FCA auf ihrer Webseite.

Leitlinien sollen mehr Klarheit bringen

Die britische Finanzaufsicht macht aber deutlich, dass sie die betroffenen Versicherungskonzerne keineswegs vorverurteilen will. Auch die Versicherer könnten profitieren, wenn sie größere Rechtsklarheit haben, positioniert sich die FCA. Und fordert jene Assekuranzen, deren Verträge nicht direkt in die Stichprobe einbezogen werden, auf zu prüfen, ob die fragwürdigen Betriebsschließungs-Klauseln im eigenen Vertragswerk zu finden sind. Aufgrund ihres repräsentativen Charakters könne der Testfall Leitlinien für die Interpretation vieler anderer Bedingungswerke liefern.

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"Die gerichtlichen Maßnahmen, die wir nun ergreifen, zielen darauf ab, allen an diesen Betriebsschließungs-Streitigkeiten beteiligten Versicherungsnehmern und Versicherern Klarheit und Sicherheit zu bieten", sagt Christopher Woolard, Interims-Chef der britischen Versicherungsaufsicht. "Wir sind der Meinung, dass dies auch der schnellste Weg zu mehr Klarheit ist. Durch die Abdeckung mehrerer Policen und Versicherer wird die Stichprobe dem gesamten Markt von größtem Nutzen sein.“

Die Fälle sollen in der zweiten Juli-Hälfte vom Gericht angehört werden. Die FCA wolle die Argumente der Versicherungsnehmer im öffentlichen Interesse zu ihrem besten Vorteil vorbringen, schreibt die Aufsichtsbehörde auf ihrer Webseite. Zugleich macht Woolard deutlich, wann Versicherte nicht mit einer Zahlung rechnen dürfen: Bei jenen Verträgen, die nur Sachschäden abdecken, aber keine Krankheiten und Infektionen. Beispiele für die 17 fragwürdigen Klauseln sind auf der Webseite der Finanzaufsicht veröffentlicht worden.

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