Grund des Rechtstreits mal wieder: Die Beratung zu geschlossenen Fonds

Erneut macht ein Rechtsstreit deutlich: Aufklärungspflichten sind fundamental für die Anlageberatung. Und erneut verdeutlicht sich auch: Geschlossene Fonds haben ihre Tücke. Denn wie schon mehrfach in der Vergangenheit ist die Anlageberatung zu geschlossenen Schiffsfonds Gegenstand auch jenes jüngsten Verfahrens, das nun zu einem Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs (Az: III ZR 498/16) führte.

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Jedoch weist die Streitsache auch einen Unterschied zu den bisherigen Rechtsstreitigkeiten auf und fördert Neues zutage. Zumeist nämlich betrafen Urteile der Vergangenheit zu Beratungspflichten bei geschlossenen Fonds das Verschweigen des Totalverlust-Risikos (der Versicherungsbote berichtete) oder das Verschweigen des nachgelagerten Haftungsrisikos. Anlegern droht bei diesen Geldanlagen nicht nur der Totalverlust der Gelder, sondern sie können im Nachhinein sogar weiterhin für Verpflichtungen haftbar gemacht werden. Im jüngsten Fall aber machte es sich der Kläger mit einer schweren Sache leicht.

"Papierkram" ohne Lektüre-Genuss

Um was ging es bei diesem jüngsten Rechtsstreit vor dem Bundesgerichtshof? Ein Mann wollte lukrativ sein Geld anlegen. Beraten beziehungsweise eher „nicht-beraten“ ließ sich der Kläger hierbei von seinem Anlageberater, der als freier Handelsvertreter für die Bank des Mannes tätig war. Für die Beratung suchte der Mann selber den Berater auf. Es kam zu einem Anlageberatungsvertrag gemäß Paragraph 280 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – dem Berater erwuchs also die gesetzliche Pflicht, anleger- und objektgerecht über die gewünschten Geldanlagen aufzuklären.

Letztendlich beteiligte sich der Mann in 2006 und 2007 an insgesamt drei geschlossenen Schiffsfonds: Die Beteiligungen an zwei Tankschiffsfonds sowie eine unter der Bezeichnung "Twinfonds" gelabelte Beteiligung an Motorschiffen wurden abgeschlossen. Hierfür investierte der Mann eine Summe von insgesamt 75.000 Euro. Im Vorfeld der Investitionen aber spielte sich folgende Szene ab: Als der Berater zu den ausgewählten Fonds die Emissionsprospekte überreichen wollte, wies der Kläger die aufklärenden Schriften als „zu schweren“ und „zu dicken“ Papierkram zurück – und zeichnete dennoch das Geschäft. Über Risiken und Bedingungen des Anlagegeschäfts wurde er hingegen nicht aufgeklärt, auch nicht anhand eines Beratungsgesprächs.

Die Geldanlagen entwickelten sich freilich nicht wie gedacht oder erhofft. Das führte letztendlich zur Klage des Mannes gegen die Bank, und zwar wegen fehlerhafter Beratung. Erkämpfen vor Gericht wollte sich der enttäuschte Anleger die Rückabwicklung der Beteiligungen, einen Schadenersatz sowie eine "Freistellung" von weiteren finanziellen Nachteilen.

Zwei Instanzen gaben dem Anleger recht

In erster Instanz führte der Klageweg zum Landgericht Hannover, dieses gab im Wesentlichen der Klage des Mannes statt (Az: 11 O 344/14). Das wiederum wollte die beklagte Bank nicht hinnehmen und ging vor dem Oberlandesgericht (OLG) Celle erfolglos in Berufung (Az: 11 U 209/15). Aufgrund des erneuten Misserfolgs zog die Bank schlussendlich vor den Bundesgerichtshof, um Revision gegen das Berufungsurteil einzulegen. Mit Teilerfolg: Der Bundesgerichtshof hob nun mit Urteil vom 07. Februar 2019 das Berufungsurteil des Oberlandesgerichts auf und wies die Verhandlungen an das Oberlandesgericht zurück. Der Rechtsstreit ist demnach noch nicht abgeschlossen.

Trotz Aufhebung des Urteils wurden aber wichtige Entscheidungsgründe des Oberlandesgerichts Celle durch den Bundesgerichtshof bestätigt, die im Sinne des Anlegers waren. Und diese betrafen eine grundlegende Frage: Kann die Zurückweisung der Prospekte als Verzicht auf Beratung interpretiert werden und demnach die Bank von Schadenersatzansprüchen des Mannes entbinden? Dem ist jedoch nicht so, wie die Urteilsbegründung des Bundesgerichtshofs sehr deutlich herausstellt. Im Gegenteil!

Berater muss von sich aus mündlich aufklären

Grundlegend gilt laut Gericht: Eine rechtzeitige, richtige und sorgfältige sowie verständliche und vollständige Beratung hätte mündlich stattfinden müssen. So hätte der Mann insbesondere über Eigenschaften und Risiken der Geldanlage aufgeklärt werden müssen. Hierbei ist der Berater in der Pflicht, über das Gespräch alle wesentlichen Risiken von sich aus anzusprechen. Erst, wenn über alle wesentlichen Risiken aufgeklärt ist, darf auf die Prospekte verwiesen werden – zum Beispiel durch den Hinweis, dass weitere wichtige Informationen in dem Prospekt enthalten sind und über ein Gespräch nicht abgedeckt werden können.

Keinesfalls ausreichend im Sinne der gesetzlichen Anforderungen ist hingegen jenes Angebot, das die beklagte Bank in Berufung und auch in Revision für sich geltend machen wollte: Das Angebot an den Anleger nach Zurückweisung der Prospekte, er könne bei Bedarf zu Risiken und Eigenschaften des Anlage-Produkts nachfragen. Aus Sicht des Bundesgerichtshofs zieht nämlich erst die Aufklärung über Eigenschaften und Risiken der Fonds nötige Fragen nach sich. So legt die Urteilsbegründung dar: "Ohne Kenntnis der Prospekte war der Kläger ersichtlich nicht in der Lage, sinnvolle Nachfragen zu stellen".

Andererseits aber ist es dennoch grundsätzlich möglich, einzig anhand der Emissionsprospekte aufzuklären. Hierfür darf der Kunde jedoch die Prospekte gerade nicht zurückweisen, denn es gelten strenge Voraussetzungen: Die mündliche Beratungspflicht entfällt erst dann, wenn der Berater davon ausgehen darf, dass der Kunde die Prospekte gelesen und zudem verstanden hat. Bei Zurückweisung der Prospekte durch den Anleger ist ein solcher Fall aber gerade nicht gegeben.

Anleger darf Prospekt als "schwer verständlich empfunden" verweigern

Mehr noch: Im Falle einer Zurückweisung der Prospekte muss, statt des Beratungsverzichts, zunächst sogar vermutet werden: Der Anleger möchte zwar über die Risiken seiner Geldanlage aufgeklärt werden, verweigert aber „die zeitraubende Lektüre eines unter Umständen als schwer verständlich empfundenen Prospekts“. Schon deswegen hätte der Berater sich in der Pflicht sehen müssen, mündlich sowie verständlich aufzuklären.

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Mit Blick auf solche Urteilsgründe muss auch bedacht werden: In der Vergangenheit dienten zu umfangreiche und schwer verständliche Emissionsprospekte oft dem bewussten Verbergen von Anleger-Risiken anstatt der Aufklärung. Diese Tatsache erzwang von gesetzgebenden Instanzen auf Bundes- und EU-Ebene mehrfach ein Gegensteuern beim Anlegerschutz und fand seinen deutlichen Nachhall in der so genannten "PRIIPs-Verordnung" sowie in bestimmten Vorgaben der Finanzmarktrichtlinien MiFID I und MiFID II. Mündliche Beratungs- und auch neue Dokumentationspflichten unter diesem Gesichtspunkt stellen sicher, dass auch jene Kunden eine angemessene Beratung zu den Risiken einer Geldanlage bekommen, die von den Textinformationen der Prospekte überfordert sind.

Verschwiegenes Anleger-Risiko: Vertriebskostenquote über 15 Prozent

Ein wichtiger Punkt der Verhandlungen betraf die Frage, ob der Anleger die Investition getätigt hätte, wäre er angemessen über die Höhe der Vertriebskosten aufgeklärt worden. Und das hat seinen Grund: Insbesondere hohe Vertriebsprovisionen werden als Risiko für einen Anleger bewertet und beeinflussen die Werthaltigkeit einer Kapitalanlage „maßgeblich nachteilig“, wie der Bundesgerichtshof ausführt. Denn Beträge, die in die Provisionen fließen, stehen dem eigentlichen Anlageobjekt nicht zur Verfügung und können demnach auch keine Erträge erwirtschaften – je höher die Provision im Verhältnis zum investierten Kapital, desto größer der Nachteil für den Kunden.

Banken stehen generell in der gesetzlichen Pflicht, über die konkrete Höhe von Provisionen aufzuklären. Ab einer bestimmten Schwelle steht aber auch der Anlageberater in der Aufklärungspflicht. Laut ständiger Rechtsprechung liegt die Schwelle, ab der ein Anlageberater von sich aus und ohne Aufforderung über die Höhe der Provision aufklären muss, bei 15 Prozent des angelegten Eigenkapitals eines Anlegers. Wichtig: Auch der Ausgabeaufschlag (das Agio) muss zur Berechnung dieses Schwellenwertes berücksichtigt werden. Übersteigen demnach die Provisionen oder übersteigt die Summe aus Provisionen plus Agio 15 Prozent des angelegten Kapitals, muss über die konkrete Höhe der Vertriebskosten durch den Berater aufgeklärt werden – und zwar auch ohne explizite Nachfrage.

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Abschläge auf das Agio reduzieren die Aufklärungspflicht-Schwelle

Vor Gericht war nun unstreitig für beide Parteien: Bei zwei Fonds wurde nicht über die Höhe der Provisionen aufgeklärt, obwohl Vertriebskosten die Schwelle zur Aufklärungspflicht überschritten. Das betraf die Tankschifffonds: Für Provision und Agio wurden hier einmal 20,15 Prozent und einmal 20,2 Prozent des angelegten Eigenkapitals von dem klagenden Mann gefordert, weswegen der Berater hätte zwingend und von sich aus die Höhe der Provision ansprechen müssen. Bei dem dritten und damit dem Twindfonds jedoch klärte der Berater auf, obwohl die Provision die Schwelle zur Aufklärungspflicht gar nicht überschritt. Für die Beratungspraxis ist hierbei ein Rechenfehler des Oberlandesgerichts Celle bedeutsam, den der Bundesgerichtshof zugunsten der Revision geltend machte.

Zeigt doch die Korrektur dieses Fehlers: Auch Abschläge und Rabatte auf das Agio fließen in die Berechnung der Aufklärungspflicht-Schwelle ein, und zwar zugunsten des Beraters. Der Bundesgerichtshof wertete den Sachverhalt als wichtig genug, ihn in den Tenor des Urteils aufzunehmen. Denn das Oberlandesgericht hatte auch für jenen dritten Twinfonds eine Aufklärungspflicht gesehen, allerdings nicht bei Berechnung der Vertriebskosten bedacht: Ausschlaggebend ist nicht ein im Prospekt genanntes, sondern das tatsächliche Agio.

Laut Prospekt sollten fünf Prozent des Kapitals als Agio für den betroffenen Fonds eingebracht werden. Dieser Wert floss in die Berechnungen des Oberlandesgerichts ein. Hinzu kam eine Provisionsquote (Verhältnis der Vertriebsprovision zum investierten Einlagekapital) für diesen Fonds von 12,5 Prozent. Jedoch wurde dem Anleger die Hälfte des Agios erstattet – er brachte real nur 2,5 Prozent Agio für den Twinfonds ein. Das Oberlandesgericht errechnete folglich eine falsche Vertriebskostenquote – denn unter Einbeziehung des realen Werts standen genau 15 Prozent des Kapitals für Vertriebskosten zu Buche. Erst mit Überschreitung der 15-Prozent-Schwelle jedoch greift die Aufklärungspflicht.

Revision erfolgreich: OLG überging Beweis eines möglichen Beratungsverzichts

Dennoch war nicht dieser Rechenfehler des Oberlandesgerichts Celle für den Erfolg der Revision maßgebend. Zumal sich der Fehler ja nur auf jenen Twinfonds bezog und hier der Berater sogar ohne Pflicht über die konkrete Höhe der Provision aufklärte. Hingegen klärte der Berater nicht über die wesentlich höheren Vertriebskosten der Tankschifffonds auf, obwohl er für diese in der Aufklärungspflicht gestanden hätte. Hier verletzte der Berater seine Aufklärungs- und Informationspflichten. Folglich war ein anderer Fakt ausschlaggebend für die Aufhebung des Urteils: Das Berufungsgericht hatte einen wichtigen Beweis übergangen, der durch die Bank geltend gemacht werden sollte.

Um was geht es? Die Bank wollte einen Tatsachenvortrag des Klägers für das Urteil geltend machen, laut dem der Mann selbst aussagte, er hätte auch ohne Kenntnis der Vertriebsprovisionen die Investitionen getätigt. Das Oberlandesgericht Celle hielt diesen Beweis jedoch für unbeachtlich. Laut Bundesgerichtshof jedoch ist die Behauptung des Mannes beachtlich genug, um zwingend in die Erwägung des Urteils einbezogen zu werden. Folglich wird das Urteil an das Oberlandesgericht zurückgewiesen.

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Denn zwar sind hohe Vertriebskosten nur ein Risiko unter mehreren Risiken, zu denen ein Anlageberater aufklären muss. Deswegen ist der Sachverhalt verschwiegener Provisionen auch nicht für sich, sondern nur im Kontext weiterer Anhaltspunkte des konkreten Falls bedeutsam. Jedoch: Diese weiteren Anhaltspunkte könnten in Verbindung mit dem übergangenen Beweis dennoch zu dem Schluss führen, der Anleger hätte eine Beratung im Sinne der rechtlichen Vorgaben gar nicht gewünscht. Deuten doch zum Beispiel dokumentierte Anlageziele des Klägers wie Steuerersparnisse darauf hin: Dem Kläger kam es eventuell doch nicht darauf an, die Umstände seines Investments durch ausreichende Beratung zu ergründen.

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