„BILD gibt den Pleite-Griechen die Drachmen zurück“, titelte Deutschlands größte Boulevardzeitung im März 2010. Für einen populistisch gefärbten Artikel stellte sich der Journalist Paul Ronzheimer mit Drachmen-Scheinen ins Athener Regierungsviertel und behauptete, dass ihm die Griechen die alte Währung aus der Hand gerissen hätten. Die Griechen wollen den Euro nicht mehr, so war die Botschaft – also schmeißt sie aus der Währungsunion!

Doch hätte sich Ronzheimer auf einen deutschen Marktplatz gestellt, das Experiment wäre womöglich nicht anders ausgegangen. Eine Emnid-Umfrage im Auftrag des Focus unter 1.004 Umfrageteilnehmern hatte im September 2011 ergeben, dass sich circa jeder zweite Deutsche die D-Mark zurückwünscht. Nur 48 Prozent der Befragten bezeichneten sich als Euro-Befürworter, der Zuspruch zur Gemeinschaftswährung ist in den letzten Jahren stetig zurückgegangen. Wer die Phrase „D-Mark zurück“ googelt, erhält über 2,5 Millionen Treffer.

Inflation seit Einführung des Euro niedriger als zu Zeiten der D-Mark

Pünktlich zum zehnjährigen Jubiläum der Euro-Einführung im Januar 2002 veröffentlicht das „Statistische Bundesamt“ nun Zahlen, die dem Vorurteil „Euro = Teuro“ entgegenwirken sollen. Die wichtigste Botschaft: Die Teuerung ist seit Einführung des Euro im Jahresschnitt niedriger gewesen als in den Jahren der D-Mark.

So lag die jährliche Preissteigerung seit Einführung des Euro-Bargeldes im Januar 2002 bis zum November 2011 bei durchschnittlich 1,6 Prozent, wie die Statistiker melden. In den zehn Jahren vor der Euro-Einführung stiegen die Preise hingegen sogar um durchschnittlich 2,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Noch höher war die Inflation über die komplette D-Mark-Zeit gerechnet: Von Mitte 1948 bis Ende 2001 betrug die durchschnittliche jährliche Inflation +2,6% und war somit deutlich höher als bislang in der Euro-Bargeldzeit.

„Gefühlte Inflation“: Produkte des täglichen Bedarfs werden teurer

Dass dennoch bei vielen Menschen der Eindruck entsteht, der Euro sei weniger wert als die D-Mark, liegt nach Interpretation des Statistischen Bundesamtes an der sogenannten „gefühlten Inflation“: Teurer wurden vor allem solche Artikel, die von den Verbrauchern häufig gekauft werden und zum täglichen Bedarf gehören. Diese Waren und Dienstleistungen sind wichtig für das „subjektive Preisgefühl“, während langfristige Anschaffungen wie etwa Waschmaschinen und Elektronikartikel weniger das subjektive Preisempfinden beeinflussen. Die Preisentwicklung verlief jedoch gerade so, dass häufig gekaufte Waren teurer wurden, langfristige Anschaffungen sich hingegen verbilligten.

So sind seit dem Jahr 2007 die Preise für Lebensmittel überproportional gestiegen, wofür das Statistische Bundesamt als wichtigste Ursache die wachsende globale Nachfrage nennt. Unter anderem ließ nach Angaben der OECD die Nachfrage nach Biosprit die Getreidepreise in die Höhe klettern.

Auch die Energiepreise schossen in die Höhe. Benzin und Heizöl lagen im November 2011 um 85 Prozent über dem Niveau von Dezember 2001, Strom ist im selben Zeitraum um 66 Prozent teurer geworden. In den knapp zehn Jahren vor der Euro-Einführung war der Anstieg mit 33% hingegen eher moderat. Hinzu kommen zahlreiche Steuer- und Abgabenerhöhungen seit der Euro-Einführung, etwa die Mehrwertsteuererhöhung im Jahr 2007. weiter auf Seite 2…

Euro doch kein Teuro?

Mieten stabil, Elektrogeräte sogar billiger

Ein Rückgang der Teuerung ist seit Einführung des Euro bei den Nettokaltmieten zu verzeichnen. Diese stiegen zwar seit 2001 um circa 12 Prozent an. In den zehn Jahren vor der Euro-Reform mussten die Mieter jedoch sogar einen Preisanstieg von bis zu 40 Prozent verkraften. Das Statistische Bundesamt wertet die Mieten deshalb als preisstabilisierenden Faktor.

Nachhaltige Preissenkungen gab es hingegen bei den sogenannten „langlebigen Gebrauchsgütern“. Fernseher, Computer, Waschmaschinen oder MP3-Player verbilligten sich seit Dezember 2001 um circa 6 Prozent.

Lohnentwicklung hält mit Inflation nicht Schritt

Ob es sich bei der Teuerung tatsächlich nur um eine „gefühlte Inflation“ handelt, ist anhand der Daten zumindest diskutabel: Gerade für Geringverdiener, die sich langlebige Gebrauchsgüter oft gebraucht kaufen, könnte der Preisanstieg bei Lebensmitteln und Energiekosten einen deutlichen Verlust an Kaufkraft bedeuten. Zudem hinkt die Lohnentwicklung in Deutschland der Inflation hinterher: Während die Verbraucherpreise seit Dezember 2011 um 17 Prozent stiegen, erhöhten sich die durchschnittlichen Nettolöhne und -gehälter nur um 11 Prozent. Kritiker verweisen zudem darauf, dass ein rasanter Anstieg des Niedriglohnsektors zu verzeichnen ist und die Lohnentwicklung auseinander driftet. Etwa jeder fünfte Deutsche arbeitet nach Angaben des Statistischen Bundesamtes für weniger als zwei Drittel des durchschnittlichen Stundenlohns.

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