Der 24. Vorlesungstag an der Universität Leipzig, veranstaltet vom Institut für Versicherungswissenschaften, stand unter keinem so guten Stern. Die Deutsche Bahn streikte, die Lufthansa ebenfalls, was die Anreise für einige Gäste erschwerte oder gar unmöglich machte. Zudem war der gastgebende Professor Dr. Fred Wagner erkrankt, so dass er einen Teil der Vorträge vom Krankenbett aus moderierte und kommentierte.

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Trotzdem fand sich noch eine stattliche Zahl an Interessierten im Hörsaal ein, um den Vorträgen und Diskussionen zu lauschen. Auch der Referent zum Thema „Vernetzte, flexible und bedarfsorientierte Versicherungsprodukte: Gestaltungsmöglichkeiten und Herausforderungen“ kam von der Auswechselbank, wenn auch als gleichwertiger Ersatz: Neven Rebic, der verschiedene Vorstandspositionen bei der Generali Deutschland und ihren Töchtern hält, sprang für einen Kollegen ein, der nicht anreisen konnte. Im Vortrag wurde deutlich, dass sich die Generali längst nicht mehr als „reiner“ Versicherer versteht - sondern als Dienstleister, der den Kunden bzw. die Kundin mit verschiedensten Services im Alltag begleiten will.

“Sind wir bereit für die Zukunft?“

Zu Beginn seines Vortrags stellte Rebic die Frage: "Sind wir als Versicherer - und als Branche - bereit für die Zukunft?“ Und er machte deutlich, dass dies mehr als eine Floskel ist. Denn die Versicherer bewegen sich in einem Umfeld, das von schnellen - und manchmal völlig unerwarteten - Veränderungen und Erschütterungen geprägt ist. Die Corona-Pandemie zum Beispiel hatte große Auswirkungen auf die Mobilität und damit auch auf die Versicherungspraxis - die Branche musste sich darauf einstellen, Services auch ohne persönlichen Kontakt bereitzustellen. Und die Rekordinflation führte dazu, dass aus einer jahrelangen Niedrigzinsphase , deren Folgen wiederkehrend diskutiert wurde, plötzlich eine Hochzinsphase wurde. „Als ich mich ins Bett gelegt habe, hatten wir negative Zinsen, aufgewacht bin ich mit drei Prozent Zinsen“ erläuterte Rebic die rasanten Veränderungen quasi über Nacht. Die Konsequenz daraus: Die Versicherer bewegen sich in einem Marktumfeld mit hoher Volatilität, das eine hohe Flexibilität erfordere.

Doch zugleich machte Rebic deutlich, dass darin nicht nur Risiken, sondern auch Chancen liegen. Er fragte: Was sind die Optionen und wo sind die Potentiale? Dabei skizzierte er die Ausgangssituation aus Sicht der Versicherer etwas genauer. Unter der Frage „Was kommt auf uns zu?“ skizzierte er die sich wandelnde Zielgruppe der Versicherer in Deutschland - sowie, auf der anderen Seite, die neuen technischen Möglichkeiten.

Die Zielgruppe zeigt sich dabei durchaus vielfältig. Zum einen die „Generation Z“, eine junge und technikaffine Zielgruppe mit ihren Bedürfnissen. Aber auch die „Silver Society“, in Anlehnung an den demografischen Wandel: Die Gesellschaft wird immer älter, weltweit und auch in Deutschland steigt der Anteil der über 60-Jährigen. Zudem gibt es Trends, die auch den Bedürfnissen der Zielgruppen resultieren: zum einen der Trend zu Sustainability, also mehr Nachhaltigkeit, das Bedürfnis für Mental Health (psychische Gesundheit) sowie der Drang, sich selbst zu optimieren und zu verbessern, was Rebic mit dem Stichwort „Super Self“ einfing. Das Bedürfnis, gesund zu altern und ein langes Leben zu haben, wird heute unter dem Begriff „Longevity“ zusammengefasst.

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Auf der anderen Seite stehen die neuen technischen Möglichkeiten. Open Insurance ermöglicht es den Versicherern, über offene Schnittstellen mehr und genauere Daten von den Kundinnen und Kunden zu sammeln, die sich für Services nutzen lassen. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Automation erlaubt eine neue Ansprache und die Automatisierung von Prozessen. „Das bietet uns als Versicherer große Potentiale“, schlussfolgert Rebic.

Wann wird eine Erfindung zur Innovation?

Die Versicherer bewegen sich dabei selbst in einem Spannungsfeld, wie Rebic weiter ausführte: einem Spannungsfeld zwischen „Business“, „Feasibility“ und „Costumer Needs“. Vereinfacht gesagt geht es um die Frage, wie aus (neuen und alten) Kundenbedürfnissen ein Geschäftsmodell entwickelt werden kann und welche Möglichkeiten dabei erfolgreich umgesetzt werden können - und welche nicht. Hier greift von außen die „Legislation“ ein, der Gesetzgeber mit seinen Aufsichtsbehörden, die das Handeln einschränken. Wobei Rebic die Legislative keineswegs nur als Hemmschuh verstanden wissen wollte. Manchmal brauche es einen Anstoß von außen, um Veränderungen herbeizuführen, wie der Vorstand am Beispiel der Home-Office-Regelungen zu Corona-Zeiten verdeutlichte. So hätten viele Unternehmen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Homeoffice erst ermöglicht, weil der Gesetzgeber entsprechende Regelungen erlassen habe, um die Infektionsgefahr zu reduzieren.

Aber wann wird eine „Erfindung“ zur „Innovation“? „Wenn wir es schaffen Innovation so zu bauen, dass sie einen Kundennutzen hat bzw. wenn wir es schaffen, ein Geschäftsmodell damit zu verbinden“, erläuterte Rebic. Und er machte deutlich, dass dies ein kontinuierlicher Prozess sei. Zunächst gelte es, die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden zu erforschen („Explore Costumer Needs“), daraus Ideen für Produkte und Services zu entwickeln („Ideate“) und diese immer wieder zu testen und die Annahmen zu ändern. Dies veranschaulichte er anhand eines Kreislauf-Modells, denn mit dem Testen ist der Prozess keineswegs abgeschlossen: Die Kundenbedürfnisse müssen immer wieder neu evaluiert und die Annahmen dazu korrigiert und verändert werden. „Testen, testen, testen, die Annahmen ändern!“, schrieb Rebic die Anwesenden ins Stammbuch. Dabei gelte es, auch andere Branchen zu beobachten und zu schauen, was dort passiert. Ein Anbieter wie Air BNB habe zum Beispiel einen Nerv getroffen, weil er es mit seinem Geschäftsmodell geschafft habe, auch im Urlaub „Heimgefühl“ zu vermitteln, wenn statt eines Hotelzimmers eine Wohnung vermietet wird.

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Gesundheitsversicherung statt Krankenversicherung

Im folgenden veranschaulichte Rebic anhand von Beispielen aus dem eigenen Haus, wie die Generali versucht, mit vernetzten und bedarfsorientierten Produkten unterschiedliche Kunden mit unterschiedlichen Bedarfen zu erreichen. Ein Beispiel war die App „Generali Mobile Health“. Die App ermöglicht es Nutzerinnen und Nutzern, per Video-Sprechstunde Kontakt zu einer Ärztin oder einem Arzt herzustellen, um sich beraten zu lassen. Auch können Symptome abgeklärt werden, Arzttermine vereinbart, eine qualifizierte Zweitmeinung eingeholt etc. „Wir wollen nicht mehr von einem Krankheitsversicherer sprechen, sondern von einer Gesundheitsversicherung“, erklärte der Generali-Manager. Und verwies darauf, dass es die Konnektivität -die Vernetzung vielfältiger Daten- es den Versicherern erlaube, präventiv die Gesundheit zu unterstützen.

Eine ähnliche Funktion erfüllt die App „Generali Vital Signs & Care“. Diese „App für dein Wohlbefinden“ erlaubt es, das eigene Gesicht mit dem Smartphone zu scannen und daraus Vitalwerte abzuleiten, etwa die Herzfrequenz, Atemfrequenz oder die Sauerstoffsättigung. Auch dies sei ein Beispiel, wo die Generali Unterstützung biete, die über den „klassischen“ Versicherungsschutz hinausgehen - im Sinne eines Gesundheitsdienstleisters.

Generali BU Simulator: Beratung als emotionales Erlebnis

Ein weiteres Tool ist auch deshalb interessant, weil es sich nicht nur an den Endkunden richtet - sondern auch an Maklerinnen und Makler. Die Dialog, deren Produkte von rund 19.000 Maklerinnen und Maklern vertrieben werden, testet derzeit einen „Generali BU Simulator“. Dieser kommt im Beratungsgespräch zum Einsatz und soll es erlauben, „den Kunden in der Beratung emotional anders abzuholen“, wie Rebic ausführte. Dabei wird in einer Art Vorher-nachher-Szenario simuliert, mit der den Kundinnen und Kunden die Folge einer Berufsunfähigkeit vor Augen geführt wird - im wortwörtlichen Sinne, denn dabei kommen auch VR-Brillen zum Einsatz.

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“Wir müssen testen, testen, testen!“, wiederholte Rebic am Ende seines Vortrages unter der Überschrift „What are your solutions?“. Der Test neuer Produkte und Angebote sei kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, um einen Mehrwert für den Kunden und das Unternehmen zu erzielen. Das schließe auch ein, dass ein Produkt mal die Testphase nicht überlebe, wie er am Beispiel des „Vitality“-Projektes verdeutlichte. Mit diesem 2015 angeschobenen Projekt wollte die Generali eine Art „Pay as you live“-Versicherung, bei der sich die Prämie und Benefits auch am eigenen Gesundheitsverhalten orientieren, in Deutschland etablieren - und scheiterte auch am Widerstand von Verbraucherverbänden.

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