Wie kann die gesetzliche Rentenversicherung angesichts einer alternden Gesellschaft zukunftsfest gemacht werden? Und welche Rolle kann hierbei die kapitalgedeckte Altersvorsorge spielen? Mit dieser Frage hat sich der unabhängige Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen in einem Gutachten auseinandergesetzt. Er versammelt 32 namhafte Ökonomen, wovon viele eher dem liberalen Spektrum zugerechnet werden: etwa den Vorsitzenden Marcel Thum, Direktor des ifo-Instituts Dresden oder Lars P. Feld, Leiter des Walter Eucken Instituts Freiburg.

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60 Prozent des Bundeshaushaltes für Rentenversicherung

In dem Gutachten wird der Bundesregierung stark vereinfacht empfohlen, eine kapitalgedeckte Rente aufzubauen. Und zwar dringend, weil sonst der Staat immer höhere Zuschüsse ins Rentensystem pumpen müsse, um Beiträge und Renten zu sichern. Stichwort: Doppelte Haltelinie. Bis 2025 soll das Sicherungsniveau der gesetzlichen Rente nicht unter 48 Prozent absinken und gleichzeitig der Beitragssatz nicht über 20 Prozent ansteigen.

„Simulationsrechnungen zeigen, dass im Jahre 2050 nahezu 60% des Bundeshaushalts für Überweisungen an die Rentenkassen aufgewendet werden müssen“, heißt es im Bericht. Schon für die laufende Legislaturperiode werde ein deutlicher Anstieg des Beitragssatzes erwartet, der aber voraussichtlich unter 20 Prozent bleiben werde. Der Rentenversicherungsbericht vom Dezember 2021 weist einen Anstieg von derzeit 18,6 Prozent auf 19,5 Prozent im Jahr 2024 und weiter auf 19,7 Prozent im Jahr 2025 aus. Die doppelte Haltelinie werde folglich nicht zu halten sein.

“Auskömmliche Alterseinkünfte lassen sich auch dadurch absichern, dass breiten Teilen der Bevölkerung zusätzliche Erträge aus Elementen der Kapitaldeckung zufließen – wie das mit der Riester-Rente ursprünglich geplant war“, argumentiert der Beirat weiter. Und das ziele auf eine Reform der privaten Altersvorsorge. Eine solche Reform strebe auch der Koalitionsvertrag an. So solle die Riester-Rente, bisher vielfach als zu kompliziert wahrgenommen, durch ein standardisiertes, einfaches Altersvorsorgeprodukt ersetzt werden. Auch ist ein Kapitalstock von zehn Milliarden Euro bei der gesetzlichen Rentenversicherung vorgesehen: ein erster Schritt, um das Umlagesystem zu ergänzen. „Das gegenwärtige Umlagesystem würde sich langfristig umso geringerem Druck zur Anpassung ausgesetzt sehen, je stärker nachhaltig renditeträchtige, kapitalgestützte Elemente Einkünfte im Alter generieren“, so der Bericht.

Staatliche Intervention muss begründet werden

Wenn der Staat interveniert, um eine kapitalgedeckte Altersvorsorge zu begünstigen, stellen sich aus Sicht des Beirats drei Probleme, die der Staat lösen muss. Vielen Bürgerinnen und Bürgern fehle es an Kenntnissen zu Finanzmärkten und Anlageformen. Hier könne der Staat intervenieren, indem er Informationen bereit stelle und Produktstandards setze, um die Orientierung im komplexen und vielschichtigen Anlagemarkt zu erleichtern.

Ein zweites Problem sind Liquiditätsbeschränkungen. Stark vereinfacht: Anlagen am Kapitalmarkt werden nicht -ähnlich wie eine Immobilie- als Sicherheit für Kredite akzeptiert. Der fehlende Kreditmarkt kann zu Verzerrungen und Unterinvestitionen führen, etwa für Anleger mit wenig Geld und Sicherheiten. Hier kann der Staat einspringen, indem er zum Beispiel einen Staatsfonds bereitstellt und die dafür benötigten Mittel später über Steuern zurückholt.

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Der dritte Grund für einen regulierenden Eingriff ist die Überwindung eines Samariter-Dilemmas. Viele könnten die Möglichkeiten zur Vorsorge aus freien Stücken ungenutzt lassen. Denn der Staat fängt sie ja sowieso im Alter auf, etwa über Grundsicherung. Es gibt einen Druck auf die Politik, die Menschen im Alter abzusichern. Deshalb seien die Anreize, selbst privat vorzusorgen, ineffizient niedrig. Die Lösung: eine Altersvorsorge- bzw. Sparpflicht für Bürgerinnen und Bürger, sodass gerade Gruppen mit niedrigen Einkommen zur Vorsorge gesetzlich verpflichtet werden.

Riester-Rente: Weniger als die Hälfte der Anspruchsberechtigten riestert

Bezüglich einer Altersvorsorgepflicht verweist der Beirat auf die Erfahrungen der Riester-Rente. Das Fehlen einer verpflichtenden Teilnahme habe dazu geführt, dass weniger als die Hälfte der in Frage kommenden Anleger tatsächlich einen Vertrag abgeschlossen haben. Gegner einer Pflicht wenden wiederum ein, man solle Anleger nicht in einen Vertrag zwingen, der am Ende eine deutlich schlechtere Entwicklung als alternative Anlageprodukte aufweist, in die Anleger freiwillig investieren könnten.

Potentielles Vorbild für eine verpflichtende Altersvorsorge ist Schweden. Dort müssen Arbeitnehmer nicht nur verpflichtend ins Umlagesystem einzahlen (derzeit 16 Prozent), sondern zusätzlich in Kapitalmarktfonds. Dabei stehen den Anlegern unterschiedliche Fonds zur Auswahl. Als Standard gibt es einen staatlichen Aktienfonds, der von den meisten Anlegern gewählt wird. Er hat vergleichsweise niedrige Kosten und konnte in den letzten Jahren eine hohe Rendite erzielen.

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Altersvorsorge-Pflicht ohne Beitragsgarantie

Für eine verpflichtende Altersvorsorge empfiehlt der Beirat ein Abrücken von der gesetzlichen Beitragsgarantie: das also zu Rentenbeginn bzw. zu Ablauf des Vertrages alle Beiträge zur Verfügung stehen müssen. Riester sieht diese Garantie aktuell noch vor. Denn Garantien müssen mit -vermeintlich sicheren- Anleihen abgesichert werden. „Das Eintreten für die Beitragsgarantie verkennt auch die langfristige Perspektive bei der Vermögensbildung für das Rentenalter. Hierbei handelt es sich um Investitionsphasen von mehreren Jahrzehnten, für die die empirische Kapitalmarktforschung für die Vergangenheit zwar mitunter große Schwankungen, aber fast durchgehend höhere Renditen bei Investitionen in Aktien über diejenigen in Staatsanleihen und andere Schuldverschreibungen dokumentiert“, heißt es im Gutachten.

Sicherheit ließe sich erreichen, indem die Ersparnisse einige Jahre vor Renteneintritt schrittweise in sichere Staatsanleihen und Schuldverschreibungen umgeschichtet würden.

Pflicht zur lebenslangen Rente

Eine weitere wichtige Frage sei, wie das angesparte Kapital ausgezahlt werden solle. Stark vereinfacht hebt der Beirat auf den Unterschied zwischen Einmalzahlung und lebenslanger Rente ab. Bei Auszahlung der Summe sei das Risiko der Langlebigkeit nicht abgesichert, weil das Geld sofort ausgegeben werden könne. Eine Rente sei für Menschen mit hoher Lebenserwartung attraktiv. Hier gebe es das Problem der adversen Selektion: „Falls der oder die einzelne besser über die eigene Lebenserwartung informiert ist als die Versicherer, werden sich letztere bei der Kalkulation an Personen mit besonders hoher Lebenserwartung orientieren. Für einen großen Teil der Bevölkerung sind die Bedingungen für die Annuitäten unattraktiv“, so der Bericht. Wer eine geringe Rest-Lebenserwartung hat, lässt sich das Geld auszahlen. Wer eine hohe Lebenserwartung hat, entscheidet sich eher für die Rente.

Lösung sei eine Rentenpflicht für alle. Wobei es den Anlegern offen bleiben soll, ob die Altersvorsorge von einem staatlichen oder privaten Anbieter betreut und verwaltet wird. Ähnlich wird es derzeit in Schweden gehandhabt. Die monatlichen Raten müssten aber auch an die Lebenserwartung angepasst werden, wenn Wahlfreiheit bestünde. Soll heißen: Frauen, die statistisch länger leben, erhalten weniger Rente.

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Und wo soll das Geld für den Kapitalstock der Altersvorsorge herkommen? Das Problem: Die Kassen sind leer. Deshalb schlägt das Gremium eine Finanzierung auf Pump vor. Es sei zu prüfen, ob das kapitalgedeckte System durch eine mit den Fiskalregeln kompatible öffentliche Schuldenfinanzierung ausgebaut werden sollte. "Im Rahmen der Schuldenbremse muss sichergestellt sein, dass aus haushalterischer Perspektive eine finanzielle Transaktion vorliegt. Der Verschuldung müsste also ein Erwerb von Vermögensansprüchen gegenüberstehen; sie kann nicht zur Finanzierung von Auszahlungen herangezogen werden", heißt es.

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