Lebensversicherer dürfen auch dann den Versicherungsnehmern die Überschussbeteiligung bei kapitalbildenden Policen kürzen, wenn sie ordentlich Gewinn erzielen - aber diesen über einen Gewinnabführungsvertrag an den Mutterkonzern weiterleiten. Hierbei handle es sich nicht um einen Verstoß gegen die Ausschüttungssperre laut Versicherungsvertragsgesetz. Dies bestätigt der Bundesgerichtshof (BGH) mit einem aktuellen Urteil (Urteil vom 20.01.2021 – IV ZR 318/19).

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Versicherer kürzt Überschussbeteiligung um 45 Prozent

Im konkreten Rechtsstreit hatte der Kläger 1987 eine kapitalbildende Lebensversicherung mit jährlich abnehmender Kapitalleistung abgeschlossen. Ablaufdatum war der 1. November 2014. Der Versicherer zahlte dem Kläger einen Betrag von 102.395,39 Euro aus. An den Bewertungsreserven wurde er mit 6.388 Euro beteiligt (Sockelbeitrag). Ein volatiler Anteil war nicht ausgewiesen.

Das verwunderte den enttäuschten Kunden. Noch mit einer Standmitteilung vom Herbst 2010 hatte der Versicherer in Aussicht gestellt, dass der Mann mit 11.310,04 Euro an den Bewertungsreserven beteiligt werde. Nun hatte sich die Summe um knapp 45 Prozent reduziert.

Der Versicherer erklärte auf Nachfrage, dass die Beteiligung aufgrund des Lebensversicherungsreformgesetzes (LVRG) begrenzt werden müsse. Man habe einen Sicherungsbedarf errechnet und einbehalten. Mit anderen Worten: Angeblich erwirtschaftete man nicht genug, um alle Garantien der Kundinnen und Kunden langfristig bedienen zu können.

Der Hintergrund: Seit 2014 dürfen die Lebensversicherer auch die Beteiligung der Kunden an Überschüssen und Bewertungsreserven zurechtstutzen, wenn sie nachweisen können, dass die Garantiezusagen nicht sicher sind. Dies ermöglicht es ihnen, ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2005 auszuhebeln, wonach Kunden angemessen zu beteiligen sind: Schon deshalb, weil die Überschüsse aus Kundengeldern gebildet werden. Mit dieser Reform wollte die Bundesregierung die Lebensversicherer in Zeiten dauerhaft niedriger Zinsen entlasten. Doch wie die Gesellschaften den Rotstift ansetzen, sei völlig intransparent, so hatte nach Inkrafttreten des LVRG bereits der Bund der Versicherten (BdV) kritisiert.

Lebensversicherer hatte Gewinne an Konzernmutter abgeführt

Der enttäuschte Sparer wollte sich mit der Antwort seines Versicherers nicht zufrieden geben. Er fand heraus, dass der Anbieter im Ablaufjahr des Vertrages hohe Gewinne erwirtschaftet hatte. Ein Teil davon wurde über einen Gewinnabführungsvertrag an die Konzernmutter weitergegeben. Dies war auch der Grund, weshalb der Mann letztendlich vor Gericht zog: Er fühlte sich betrogen. Ein Sicherungsbedarf bestehe nicht, weil die Gesellschaft ja erfolgreich wirtschafte - aber eben Gelder weiterreiche.

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Der Mann zog vor Gericht und machte geltend, dass der Versicherer gegen die Ausschüttungssperre verstoßen habe. Denn es ist den Anbietern verboten, Bilanzgewinne an die Aktionäre auszuschütten, solange sie ihren Kundinnen und Kunden den Überschuss streichen. Der Kläger forderte, dass der Versicherer ihn gemäß § 153 Abs. 3 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) zur Hälfte an den Bewertungsreserven beteiligen müsse.

BGH: Überschussbeteiligung darf trotz Gewinnabführung gekürzt werden

Vor dem Bundesgerichtshof erlitt der enttäuschte Sparer aber eine Niederlage. Bereits das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) hatte die Klage abgewiesen, nachdem die Richter ein Sachverständigen-Gutachten eingeholt hatten.

Konkret führte der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes aus, dass es sich bei der Gewinnabführung an eine Muttergesellschaft nicht um einen Bilanzgewinn handle. Das sei schon begrifflich nicht der Fall. Entsprechend habe ein Gewinnabführungsvertrag keinen Einfluss darauf, welchen Sicherungsbedarf ein Versicherer geltend machen kann, um die Überschussbeteiligung kürzen zu dürfen. Ein Verstoß gegen die Ausschüttungssperre liege nicht vor.

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Wird eine Gewinnabführung an die Konzernmutter berechnet, sei dies „von einem bilanziellen Gewinn oder Verlust genauso unabhängig wie von der Höhe der Bewertungsreserven“, führt der BGH aus. Auch aus der Gesetzgebungsgeschichte lasse sich nicht herleiten, dass der Gesetzgeber den abzuführenden Gewinn im Rahmen eines Gewinnabführungsvertrages bei der Ermittlung des Sicherungsbedarfs berücksichtigt wissen wollte.

Mutterkonzern hat Pflicht zu Verlustausgleich

Die Richter wiesen auf einen weiteren wichtigen Unterschied hin: Der Anspruch der Muttergesellschaft auf Gewinnabführung korrespondiere "zwingend mit ihrer Verlustausgleichspflicht gegenüber der Tochtergesellschaft", heißt es im Urteilstext. Heißt stark vereinfacht: Gerät die Konzerntochter in finanzielle Schwierigkeiten, muss die Konzernmutter einspringen und Geld nachschießen, um Ansprüche von Kunden und Gläubigern auszugleichen. Dem entgegen sind Aktionäre "nach Leistung ihrer Einlage (§ 54 Abs. 1 AktG) nicht zu Nachschüssen oder einem Verlustausgleich der Aktiengesellschaft verpflichtet". Erhalten die Anleger Rendite, s0 komme es zu einem endgültigen Abfluss der finanziellen Mittel: Folglich steht das Geld dann nicht mehr zur Verfügung, um den Konzern im Sinne der Sparer zu stabilisieren.

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Für die Kundinnen und Kunden ist das Urteil keine gute Nachricht: und geeignet, das Vertrauen in die Altersvorsorge weiter zu beschädigen. Gibt ein Lebensversicherer per Gewinnabführungsvertrag hohe Summen an die Konzernmutter weiter, darf der Versicherer die Überschussbeteiligung dennoch kürzen, sofern er einen Sicherungsbedarf nachweisen kann. Trotzdem - oder gerade deswegen.

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