Versicherungsbote: Wie bewerten Sie die aktuelle Bedrohung durch Altersarmut in Deutschland? Müssen die Bundesbürger Altersarmut fürchten — und was kann dagegen getan werden?

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Matthias W. Birkwald: In den Talkshows hört man immer, dass nur 2,7 Prozent der Rentnerinnen und Rentner arm seien, weil sie in der „Grundsicherung im Alter“, der Rentnersozialhilfe, sind. Das sind aber nicht die armen Rentnerinnen und Rentner, sondern das sind die sehr armen, nämlich diejenigen, die unterhalb des Existenzminimums von weniger als monatlich 808 Euro durchschnittlich leben müssen.

Arm ist nach der EU-Definition aber, wer als alleinlebender Mensch in Deutschland weniger als 1096 Euro netto im Monat zur Verfügung hat. Wenn wir diese Zahl nehmen, dann sind heute bereits 17 Prozent aller über 64jährigen Menschen, das heißt 1,2 Millionen Männer und 1,6 Millionen Frauen, in unserem Land als arm zu bezeichnen. Und wenn wir die Pensionäre und Pensionärinnen rausrechnen, dann leben 19,5 Prozent aller Rentnerhaushalte in Armut. Dagegen müssen wir dringend etwas tun.

Deshalb gilt jetzt umso mehr: Wir brauchen in Deutschland — wie in vielen anderen OECD-Staaten auch — eine Mindestrente, die ihren Namen verdient! Deshalb fordert DIE LINKE nach dem Vorbild Österreichs eine einkommens- und vermögensgeprüfte „Solidarische Mindestrente“, die sicherstellt, dass im Alter niemand von weniger als 1050 Euro netto leben muss.

Sollte die gesetzliche Rente zukünftig gestärkt werden, etwa durch Anhebung des Rentenniveaus oder mehr Einzahler? Beispiel Österreich: Hier zahlen auch Selbstständige und Beamte in die Rentenkasse, der Beitrag ist höher. Aber im Schnitt erhalten Altersruheständler über 300 Euro mehr Rente im Monat. Auch für Deutschland ein denkbares Modell?

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Ja. Das österreichische Beispiel zeigt, wohin die Reise gehen muss. Männer erhalten in Österreich Durchschnittsrenten von 2.323 Euro und Frauen in Höhe von 1.321 Euro. Sie liegen damit 1.092 (Männer) bzw. 339 Euro (Frauen) über vergleichbaren Bruttorenten in Deutschland. Dies ist möglich, weil Österreich – mit einem Verzicht auf die Teilprivatisierung der Rente, einer konsequenten Einbeziehung aller Erwerbstätigen und einem seit 1988 gültigen Beitragssatz von 22,8 Prozent (Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber 12,55 Prozent und Beschäftigte 10,25 Prozent) – das Rentensystem stabil und zukunftsfähig aufgestellt hat.

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