Was stört sie an dem Test besonders?

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Sven HennigSven HennigSven Hennig hat sich auf die Beratung zur PKV spezialisiert und kritisiert den aktuellen Leistungscheck von Stiftung Warentest Sven HennigSven Hennig: Besonders die Ignoranz der Stiftung Warentest/ Finanztest. Bereits im letzten Jahr haben Versicherungsmakler ausführlich dargelegt, warum der BU-Test nicht funktioniert haben kann, warum es falsch ist, rein nach Preisen zu sortieren und warum nicht der billigste von den „sehr guten“ der richtige Tarif für den Kunden ist. Finanztest glaubt etwas zu können, was Ratinghäuser, Makler und Spezialisten sich nicht zutrauen: Es ist nicht möglich, den pauschal besten Tarif für den Kunden zu finden.

Warum gibt es pauschal keine „beste PKV“?

Sven Hennig: Gerade bei Produkten, die biometrische Risiken absichern sollen, ist es unverantwortlich von einem „besten“ Tarif zu sprechen. Was ist gut, was muss ein Tarif immer haben? Darüber kann man vortrefflich streiten, zumal auch hier zuerst der persönliche Anspruch stehen muss. Finanztest verkennt bei den Mindestkriterien dass es keinen allgemein gültigen „guten“ Schutz gibt, dass Kriterien je nach eigener Situation gut oder schlecht sein können. Übertragen wir das Ganze einmal auf das Auto. Ein Smart ist unstreitig ein gutes Auto, es ist umweltfreundlich, qualitativ hochwertig, passt aber nicht zu jedem. Ich kann mit meinen beiden Kindern mit dem Auto nichts anfangen, nicht mal als Zweitwagen. Eine S-Klasse (um beim gleichen Hersteller zu bleiben) ist auch schön, für mich aber zu groß, damit am Ende unwirtschaftlich und daher auch ungeeignet. Deshalb ist aber keines der beiden Autos schlecht. Die Mindestkriterien, welche Finanztest bei der PKV angesetzt hat, bedeuten übertragen auf das Auto: Es soll ein Lenkrad, mind. 2 Sitze, Automatikgetriebe, Licht vorn und hinten und 4 Räder haben. Gerade die biometrischen Risiken - Leben, Gesundheit, eigene Arbeitskraft - sind so individuell, dass es „beste Tarife“ nicht geben kann. Umfangreiche Wahlrechte bei der Kindernachversicherung mögen für den jungen Kunden mit Familienplanung interessant sein, gibt es eine solche Planung nicht oder ist sie abgeschlossen, erübrigt sich dieses Kriterium natürlich. Ist ein Tarif, der hier nur die gesetzliche Lösung bietet, nun schlecht? Für den einen Kunden schon, für den anderen nicht. Ebenso ist es mit Leistungen im Ausland, mit Zweibettzimmer oder Chefarztbehandlung und vielem mehr. Der persönliche Anspruch ist entscheidend.

Bei einem Tarifwechsel in der privaten Krankenversicherung können Risikozuschläge in den neuen Tarif mitwandern, manchmal können sie sich sogar erhöhen. Welche Erfahrungen haben Sie mit Tarifwechseln in der PKV?

Sven Hennig: Tarifwechsel sind in der PKV leider ein hausgemachtes Problem. Die Gesellschaften haben es über Jahre versäumt, die Kunden „vernünftig zu beraten und zu behandeln“ und ihnen den gesetzlich zustehenden Tarifwechsel zu ermöglichen. Unternehmen müssen verstehen, und ich glaube wir sind auf dem Weg dahin, dass Bestandskunden wichtiger oder zumindest nicht unwichtiger sind als Neukunden. Leider vertreten noch immer einige Unternehmen den Standpunkt „der Kunde kann eh nicht weg, warum diesen noch gut behandeln“ Darunter leidet der Ruf der Branche. Ein Ergebnis: Schwarze Schafe unter den „Tarifwechselberatern“ die, auf Biegen und Brechen wechseln was das Zeug hält, um das eigene Honorar zu erhöhen. Meiner Erfahrung nach funktionieren Tarifwechsel mittlerweile (wenn über den Makler eingereicht und abgewickelt) ganz gut, wenngleich es immer noch was zu verbessern gibt und auch hier schwarze Schafe auf Seiten der Gesellschaften bleiben.

Sie schreiben, dass es Möglichkeiten gibt, vor dem 55. Lebensjahr in das gesetzliche System zurückzukehren. Können Sie uns Beispiele aufführen? Welche gibt es nach dem 55. Lebensjahr?

Sven Hennig: Ist der Kunde jünger als 55, so sieht das SGB V eine Reihe von Tatbeständen vor, bei denen eine Versicherungspflicht in der GKV wieder eintreten kann. Hier sind neben Arbeitslosigkeit, unter die Versicherungspflichtgrenze sinkendes Einkommen oder auch Teilzeitbeschäftigungen zu nennen. Wer vor dem 55. Lebensjahr zurück will, der findet auch eine Möglichkeit. Das ist aber gar nicht das Ziel, denn wenn der PKV-Schutz von Beginn an sorgfältig gewählt wurde und die Auswahl überlegt und fundiert erfolgte, dann ist ein solcher Schritt nicht nötig. Nach dem 55. Lebensjahr sind die Möglichkeiten arg begrenzt und eine Rückkehr in die GKV faktisch nicht mehr möglich. Wenige besondere Umstände sind auch hier denkbar, aber keine die allgemeingültig sind. Aus meiner Sicht muss man die GKV aber auch davor bewahren. Wer sich in den ersten 55 Jahren seines Lebens vom System der GKV verabschiedet hat, der muss auch nicht erwarten, später wieder zurückkehren zu können.

Auch sind hier die besonderen Voraussetzungen für die Krankenversicherung der Rentner (KdR) zu berücksichtigen und die unterschiedlichen Beitragpflichten im Alter.

Sie schreiben vom „Schreckgespenst der hohen Beiträge im Alter“ und kurz darauf „Anders als die PKV kürzt die gesetzliche Krankenkasse dann aber einfach Leistungen“. Können Sie uns das erklären?

Sven Hennig: Stiftung Warentest/ Finanztest führt immer wieder die hohen Beiträge im Alter an. Dieses hat verschiedene Gründe. Neben den gestiegenen medizinischen Kosten, der höheren Lebenserwartung und daher längeren Leistungsausgaben ist auch (teilweise) die Kalkulation der Gesellschaften schuld. Entscheidet sich der Kunde für einen „billigen“ Tarif, so muss er die nicht gezahlten Beiträge eben nachholen, wenn nicht in jungen Jahren, dann plus Zins und Zinseszins im Alter. Daher ist die Empfehlung für „billige Tarife“ mit anscheinend gleichen Leistungen schon allein deshalb ein Denkfehler bei Finanztest. Glaubt der Kunde der Auswahl, so treibt ihn FT quasi in steigende Beiträge im Alter. Nehmen wir aber den Angestellten aus dem FT Beispiel. Der Testsieger (Tarif Komfort2 der HUK Coburg) kostet 441 EUR monatlich bei 600 EUR SB. Ein gesetzlich versicherter Kunde erreicht mit einer Zusatzversicherung zur GKV nahezu diesen Betrag, aber allein als Arbeitnehmeranteil. Wer sich also in so „billigen“ Tarifen versichert, der ist selbst schuld, wenn er keine weiteren Rücklagen bildet. Wer glaubt, 300 EUR monatlich weniger zu zahlen (inkl. AG Anteil) und dazu noch bessere Leistungen haben, der sollte sich fragen, wo das Geld langfristig herkommen soll. Die PKV kann jedoch, anders als die gesetzliche Kasse, vertraglich vereinbarte Leistungen nicht kürzen. In der GKV mag der Beitragssatz einige Jahre konstant geblieben sein, das täuscht aber über die steigenden Beiträge hinweg. Für freiwillig versicherte Kunden über der Beitragsbemessungsgrenze führt jede Erhöhung der Grenze zu steigenden Beiträgen. Ebenso bleibt der GKV die Möglichkeit Leistungen zu beschränken.

Können Sie uns einige Leistungen nennen, die in den letzten 10-20 Jahren gekürzt wurden?

Sven Hennig: Schon in den 70er Jahren begannen die Kürzungen. Zunächst wurden Zuzahlungen zu Medikamenten eingeführt, Eigenbeteiligungen für Heil- und Hilfsmittel sollten ebenfalls zu Entlastungen auf der Kostenseite führen. In den 80er Jahren wurden dann Zuzahlungen im Krankenhaus eingeführt, weitere Zuzahlungen für Medikamente, Bagatellmedikamente gar ganz gestrichen (für über 18jährige) etc. Das setzte sich auch in den 90er fort. Dort sind nur die Zuzahlungen bei Reha, Kürzungen der Zahnersatzerstattung oder weitere Zuzahlungen bei Medikamenten zu nennen. Aber auch in den letzten Jahren machen die Kürzungen nicht halt. 2004 verschwinden nicht verschreibungspflichtige Medikamente aus dem Leistungskatalog, die Praxisgebühr wird eingeführt, Zuzahlungen bei Reha- und Krankenhausaufenthalten werden erhöht. Im Jahr 2007 geht es weiter an die Ausgaben. So werden hochinnovative Arzneimittel nur nach Einholung einer Zweitmeinung bezahlt, Leistungen bei selbstverschuldeten Krankheiten definiert und ausgeschlossen und vieles mehr. Rückwirkend betrachtet ist hier eine Art Willkür zu erkennen. Reicht das Geld nicht, so kürzt man die Leistungen. Daher hinken Vergleiche mit reiner Beitragsbetrachtung auch.

Warum kann man bei der Entwicklung der PKV-Beiträge im Alter nicht, wie Finanztest, pauschal von einer Verdreifachung ausgehen?

Sven Hennig: Der Ansatz ist nicht so falsch, aber der Fehler von FT liegt in der Differenzierung. Es steigen eben zu billig kalkulierte Tarife schneller bzw. höher, als Tarife mit auskömmlicher Kalkulation. Daher ist es eben falsch zu suggerieren, der billige Tarif verdreifacht sich, der teure aber auch.

Im Vergleich waren die Kriterien (bis auf die Hilfsmittel) bei Beamten, Selbstständigen und Angestellten nahezu identisch. Warum ist das zu oberflächlich betrachtet?

Sven Hennig: Es ist irrig zu glauben, so wenige Kriterien reichen auch nur ansatzweise aus, um Tarife zu bewerten und auszuwählen. Gerade bei Selbstständigen sind viele weitere Punkte zu berücksichtigen. Da stellen sich weitere Leistungsfragen bei Kuren, Rehabehandlungen... aber auch die Frage in welchen Bereichen eine SB gilt. Weiterhin sind für Beamte ganz andere Kriterien, abgestimmt auf die jeweiligen Beihilferichtlinien relevant. Es ist schon fahrlässig zu behaupten, Beamte können mit einem geschlossenen Hilfsmittelkatalog leben. Zahlt Finanztest dann die fehlenden 50% der Kosten, die durch die Beihilfe nicht gedeckt werden? Hier werden Beamte Kostenrisiken ausgesetzt und in Tarife geschickt, welche sich vermeiden lassen, wenn die Auswahl sorgfältig erfolgt.

Auch die Auswahl der Selbstbeteiligungen kritisieren Sie. Warum ist die zu zahlende Lohnsteuer und der Arbeitgeberanteil für die Höhe der Selbstbeteiligung bei Angestellten wichtig?

Sven Hennig: Bei der heutigen PKV und Anrechnung der PKV (in Höhe der sogenannten Basisversorgung) in der Lohn-/ Einkommensteuer ist es eben nicht mehr so wie früher. Dort konnte einfach die SB auf den Monat umgelegt werden und wenn die Ersparnis höher als eine SB war, dann war es ein Indiz diese Tarifvariante zu wählen. Gerade bei Angestellten spielen aber weitere Faktoren eine Rolle. So ist die SB immer allein zu tragen, die daraus resultierende Ersparnis wird aber mit dem Arbeitgeber geteilt. Kommt der Kunde aus der GKV und zahlte bisher Höchstbeitrag und wechselt in einen Tarif mit knapp 450 EUR Beitrag, so erhöht sich die steuerliche Belastung, das führt oft zu bösem Erwachen auf der ersten „PKV- Gehaltsabrechnung“. Hier kann ein Tarif mit geringerer SB aber dafür höherem Beitrag deutlich sinnvoller sein.

Wie sollten Selbstständige die Selbstbeteiligung wählen? Doppelt so hoch, wie bei Finanztest?

Sven Hennig: Auch das ist pauschal nicht zu sagen. Für Selbstständige mit hohem Steuersatz gilt der gleiche Grundsatz wie bei den Angestellten zuvor erklärt. Dennoch gilt es aber auch, die SB verfügbar zu haben. Mindestens die dreifache Jahres-SB sollte als liquides Mittel zur Verfügung stehen. Dabei ist immer auch zu beachten, dass weitere versteckte Eigenanteile in den Tarifen stecken können: so erstatten einige Unternehmen nur 75% für Hilfsmittel, oder reduzieren die Erstattung bei Heilmitteln und Originalpräparaten. Auch das muss unbedingt mit modellhaften Leistungsszenarien berücksichtigt werden und vorher geplant.

Sie äußern speziell zu Leistungen, die Alleinstellungsmerkmale aufweisen, wie Umstellungsrechte, scharfe Kritik an der Einordnung durch Finanztest. Warum?

Sven Hennig: Das war eines von vielen Beispielen. Finanztest verkennt, dass bei lebenslangen und über Jahrzehnte laufenden Verträgen, Wechseloptionen eine entscheidende Rolle spielen können. Berufliche und private Veränderungen können eine Erhöhung der SB und damit eine Reduzierung des Beitrages erforderlich machen, wenn auch nur temporär. Bietet der Versicherer solche Tarife überhaupt an? Was nützten die viel gelobten „Wir-haben-nur-ein-Tarifwerk“-Gesellschaften, wenn es so keinerlei Anpassungsmöglichkeiten gibt? Es ist illusorisch zu glauben, der heutige Leistungsbedarf bleibt bis ans Lebensende konstant. Daher sind sogenannte Wechseloptionen und Optionsrechte in den Tarifen unerlässlich, gerade wenn die PKV in jungen Jahren abgeschlossen wird. Solche Kriterien werden nicht mal erwähnt, geschweige denn getestet.

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Auch bei Beamten gibt es eine Reihe von Zusatzkriterien, welche nicht beachtet werden. Da ist nirgendwo die Rede von Umstellungsmöglichkeiten, Nachversicherungen des Krankentagegeldes wenn Beamte zurück in die freie Wirtschaft wechseln und vieles mehr. Das alles lässt sich aber in keinen sinnvollen Test packen, daher täte FT gut daran, Kriterien zu besprechen und zu erläutern, Hinweise zur Auswahl zu geben und Hintergrundwissen zu vermitteln. Das aber unterlässt man und wirft stattdessen mit Tabellen umher, die nichts bringen.

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