Eine Lebensversicherung kann erfolgreich widerrufen werden, wenn die Widerrufsbelehrung fehlerhaft ist und der Vertrag zwischen 1994 und 2007 nach dem sogenannten Policenmodell abgeschlossen wurde: so viel ist bekannt. Beim Policenmodell erhielten Kundinnen und Kunden sämtliche Vertragsunterlagen mit ihren Rechten und Pflichten erst zugesendet, nachdem sie den Vertrag bereits unterschrieben hatten. Mehrere Urteile des Bundesgerichtshofs erklärten die Praxis für unzulässig, weil mit dem europäischen Richtlinien für Verbraucherschutz nicht vereinbar. Der Bundesgerichtshof hat somit den Verbrauchern bei diesen Verträgen eine Art „ewiges Widerspruchsrecht“ eingeräumt.

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Bedingung für eine erfolgreiche Rückabwicklung ist, dass die Kundinnen und Kunden dem Versicherer nachweisen, tatsächlich bei Vertragsabschluss ungenügend über ihr Widerrufsrecht belehrt worden zu sein. Aber auch dieser Widerrufsjoker hat Grenzen, wie nun ein Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe zeigt (Beschluss vom 25.3.2021, 12 U 43/21). Das Gericht wies die Berufung eines Klägers zurück, obwohl im Versicherungsschein Name und Anschrift der zuständigen Aufsichtsbehörde für mögliche Beschwerden fehlte. Ein formaler Fehler, der nach Ansicht des Gerichts keine Auswirkungen auf die Gültigkeit der Belehrung hat.

Es fehlte die Aufsichtsbehörde

Im konkreten Rechtsstreit hatte ein Mann Mitte der 90er Jahre mehrere fondsgebundene Lebensversicherungen abgeschlossen. Die Rechte aus den Verträgen hatte er an einen Zweitmarkt-Anbieter abgetreten, der die Verträge zunächst gekündigt hatte. Sie bestanden nun darauf, dass die Verträge rückabgewickelt werden, was auch nach bereits erfolgter Kündigung möglich ist: wenn eben nachgewiesen wird, dass die Belehrung zum Widerruf ungenügsam ist. Der Versicherer muss sicherstellen, dass der Versicherungsnehmer während der 14-tägigen Widerspruchsfrist eine informierte Entscheidung über den Widerspruch treffen kann.

Der Vorteil des Widerrufs gegenüber einer Kündigung: Die Kundinnen und Kunden erhalten deutlich mehr Geld. Denn bei einer Rückabwicklung bekommen die Verbraucher ihre eingezahlten Beiträge verzinst wieder zurück, was bei einer vorzeitigen Kündigung der Lebensversicherung nicht der Fall ist. Auch Kosten für Vertrieb und Verwaltung dürfen die Versicherer in diesem Fall nicht abziehen.

Doch der Versicherer weigerte sich, dem Widerruf stattzugeben: und pro Vertrag rund 5.000 Euro zusätzlich zum bereits gezahlten Rückkaufswert zu erstatten. Deshalb klagte der Zweitmarkt-Anbieter gegen den Versicherer. Und machte geltend, dass der Anbieter nicht ausreichend über das Widerrufsrecht informiert habe. Dabei berief sich die Klagende stark vereinfacht auf das Argument, dass in der Verbraucherinformation, die sie von der Versicherung erhalten hatte, die Anschrift der zuständigen Aufsichtsbehörde gefehlt habe.

Fehlende Adresse hat keinen Einfluss auf Entscheidung für oder gegen Widerspruch

Doch mit die Klagenden mussten vor dem OLG Karlsruhe eine Niederlage hinnehmen, das Gericht wies die Klage wegen fehlender Erfolgsaussichten ab. Zwar bestätigte auch der urteilende Senat, dass die Anschrift der Aufsichtsbehörde fehlte. Auch gehe das Gericht davon aus, dass schon die Nichterfüllung einzelner Informationspflichten dazu führe, dass der Versicherungsnehmer gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. zum Widerspruch berechtigt bleibt. „Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos und führt nicht in jedem Fall dazu, dass dem Versicherungsnehmer ein bereicherungsrechtlicher Rückabwicklungsanspruch zusteht“, schreibt das OLG Karlsruhe.

Bereits der Bundesgerichtshof hatte in früheren Urteilen bestätigt, dass eine Widerspruchsfrist in Ausnahmefällen auch wirksam werden kann, obwohl die Verbraucherinformation unvollständig ist. Dies gilt dann, wenn die fehlende Einzelinformation im konkreten Fall nicht einem berechtigten Informationsbedürfnis des Versicherungsnehmers dient (BGH, Urteil vom 18. Juli 2018 - IV ZR 68/17). Ein solcher Ausnahmefall liege bei der fehlenden Angabe der Adresse der zuständigen Aufsichtsbehörde vor. Hierbei handele es sich um eine rein informative, die Konditionen des Versicherungsvertrags nicht betreffende Angabe. Die fehlende Adresse habe keinen Einfluss auf die Entscheidung, ob die Person von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch mache oder nicht.

Die fehlende Relevanz der Adresse resultiere auch daraus, wonach es um die Aufsichtsbehörde geht, an die sich „der Versicherungsnehmer“ bei Beschwerden über den Versicherer wenden kann. Folglich betreffe dies Beschwerden, die erst nach dem Vertragsabschluss relevant seien. Für eine solche Beschwerdemöglichkeit bestehe aber vor dem Abschluss des Vertrags bzw. zu dem Zeitpunkt, an dem sich der Betreffende innerhalb der Widerspruchsfrist klar werden muss, ob er von seinem Vertragslösungsrecht Gebrauch macht, noch kein berechtigtes Informationsbedürfnis.

Bloß formale Position rechtsmissbräuchlich

Das OLG Karlsruhe verwies zudem auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Demnach kann ein Vertragsrücktritt unverhältnismäßig sein, wenn durch eine fehlerhafte Belehrung nicht die Möglichkeit genommen wurde, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen auszuüben wie bei zutreffender Belehrung. Zwar sei vor dem Luxemburger Gericht kein identischer Fall verhandelt worden. Doch auch hier werde danach gefragt, ob durch das Weglassen der Information ein berechtigtes Informationsbedürfnis verletzt worden sei (EuGH, Urteil v. 19.12.2019, C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18).

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Die Richter gingen davon aus, dass der Versicherungsnehmer den Vertrag auch abgeschlossen hätte und nicht von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht, wenn die Adresse der Aufsichtsbehörde korrekt angegeben gewesen wäre. Der Versicherungsnehmer habe sich bloß auf eine formale Rechtsposition berufen. Dass sei rechtsmissbräuchlich.

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