Es gehört zum politischen Ritual der letzten Jahre, dass Interessenvertreter der Arbeitgeber und Wirtschaftsverbände eine längere Lebensarbeitszeit fordern. Allein die Webseite des Versicherungsboten weist eine vierstellige Zahl an Artikeln zu diesem Thema aus, und wer bei Google „Deutsche sollen länger arbeiten“ suchen lässt, erhält stolze 29 Millionen Treffer. Pünktlich zum Start ins neue Jahr ist es nun Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger, der vor einem Zusammenbruch der Sozialsysteme warnt - und fordert, die Bürgerinnen und Bürger sollen künftig später in Rente geschickt werden.

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„In den kommenden Jahren wird die „Babyboomer“-Generation in Rente gehen und der Druck auf unsere sozialen Sicherungssysteme wird aufgrund dieses demografischen Wandels immer stärker werden“, sagte Dulger der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Deshalb ist klar – und wir sollten uns alle bei diesem Thema auch einmal ehrlich machen: Wenn unsere Lebenserwartung immer weiter steigt, muss unsere Lebensarbeitszeit zwangsläufig auch steigen.“

Es gebe keine Alternative, als dass die Kosten aus der Alterung der Gesellschaft „auf die Generationen verteilt werden - denn nur so kann das langfristige Vertrauen in die gesetzliche Rente erhalten bleiben“, argumentiert der 56jährige weiter. Sonst müssten die Sozialversicherungs-Beiträge der Beschäftigten auf über 40 Prozent steigen: oder durch Steuerzuschüsse über Schulden finanziert werden. "Diese Ansätze sind Augenwischerei", sagt Dulger. Stattdessen brauche es eine "strukturelle Erneuerung" der Rente, damit die Sozialsysteme auch künftig ihre Aufgaben erfüllen könnten.

Rente Wahlkampfthema?

Neu sind die Forderungen -wie gesagt- nicht: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hatte jüngst im Sommer die Ergebnisse einer selbst beauftragten Kommission zur Zukunft der Rente präsentiert. Auch sie schlug vor, die Regelalterszeit auch nach 2031 weiter anzuheben: Steigt die Lebenserwartung um ein Jahr, sollen die Menschen ein Dreivierteljahr länger arbeiten müssen.

Doch der Zeitpunkt des Vorstoßes kommt nicht von ungefähr. In diesem Jahr sind Bundestagswahlen - und mit Friedrich Merz könnte die Union einen Kanzlerkandidaten ins Rennen schicken, der sich wiederholt für eine längere Lebensarbeitszeit ausgesprochen hat. Und auch die SPD will im Wahlkampf mit dem Thema Rente punkten. Noch in dieser Wahlperiode will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil einen Reformentwurf präsentieren, wie künftig Selbstständige verpflichtend für das Alter vorsorgen sollen. Entsprechend positionieren sich auch die verschiedenen Interessengruppen.

Rentenbezugszeit sinkt schon mit den jetzt gültigen Reformen

Doch schon die jetzigen Reformen -Geburtsjahrgänge ab 1964 dürfen erst mit 67 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen- tragen dazu bei, dass zukünftigen Ruheständlern weniger Rentenzeit bleibt. Das zeigen Prognosen der Bundesregierung. Denn die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre führt dazu, dass für langjährig Versicherte die Rentenbezugszeit sinkt:

Männer, die heute 60 Jahre alt sind und 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben, können derzeit im Schnitt auf 18,1 Jahre Rentenbezug hoffen - im Jahr 2035 verringert sich ihre durchschnittliche Rentenbezugszeit auf 18,0 Jahre. Bei Frauen sind die Einbußen noch deutlicher. Können sie heute im Schnitt auf 21,3 Rentenjahre hoffen, wenn sie die Regelaltersgrenze erreicht haben, so sinkt die verbleibende Rentenzeit 2035 auf 20,8 Jahre. Der Grund ist, dass die verbleibende Lebenserwartung weniger stark steigt als die beschlossene Regelaltersgrenze.

Entsprechend weist Anja Piel, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), die Vorschläge Dulgers als völlig inakzeptabel zurück. Sie warnt vor einer Rentenkürzung durch die Hintertür für viele Beschäftigte. "Schon heute scheiden viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer krankheitsbedingt vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus – und haben dabei erhebliche Rentenabschläge hinzunehmen", sagt sie. Höhere Altersgrenzen seien de facto eine "Gewinnmaximierung für Unternehmen" auf dem Rücken der Arbeitnehmer.

Rente soll reformiert werden

Dennoch, die demografischen Herausforderungen für das umlagefinanzierte Rentensystem bleiben: Künftig stehen weniger Beitragszahlern mehr Rentner gegenüber. Die Reformansätze sind hierbei verschieden. Ein Problem ist, dass sich die aktuell geförderten privaten Vorsorgeformen stark am Zins orientieren und deshalb Riester und Co. in eine Krise geraten sind. Das Neugeschäft stagniert seit Jahren, die Vertragszahlen sind rückläufig.

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Die Reformvorschläge für diese Probleme so vielfältig wie verschieden. Teile von CDU, SPD und Grünen liebäugeln mit der Idee eines Deutschlandfonds in verschiedenen Ausprägungen: stark vereinfacht, dass ein Kapitalstock zusätzlich zur Rente angespart und öffentlich verwaltet wird. Dieser darf auch in Aktien und Fonds investiert sein. Die Linke hat das Österreichische Rentenmodell bereits als vorbildhaft beschrieben: Hier wird an der Einnahmeseite geschraubt, indem auch Politiker, Beamte und Selbstständige in die Rentenkasse einzahlen müssen.

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