Die deutschen Lebensversicherer zahlen ihren Kunden deutlich weniger aus, als sie in ihren Ablaufprognosen vor einigen Jahren noch in Aussicht gestellt haben. Das ergab eine Auswertung des Zweitmarktanbieters Partner in Life aus Luxemburg. Das Unternehmen hat sich auf den Aufkauf besonders hochwertiger Leben-Policen spezialisiert. Über die Studie berichtet aktuell die Süddeutsche Zeitung.

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Für die Studie hat die Konzerntochter der Schweizer Baloise Group 3.597 Verträge aus dem eigenen Bestand ausgewertet, die in den vergangenen Jahren ausgezahlt wurden. Dabei verglich der Policenaufkäufer, wie sich die tatsächlich ausgezahlte Summe im Vergleich zu Ablaufprognosen der Versicherer aus den Jahren 2004 bis 2012 verändert hat. Das Ergebnis: Die ausgezahlte Summe sank im Verhältnis zu den Musterrechnungen sank durchschnittlich um 5,5 Prozent bzw. zusammengerechnet knapp 29 Millionen Euro.

Optimistische Annahmen in Prognoserechnungen

Bei den Verträgen handelte es sich um klassische Lebensversicherungen mit Garantiezins. Zu bedenken ist hierbei, dass neben einer garantierten Verzinsung auch Leistungen aus der Überschussbeteiligung eingerechnet werden, wenn die Versicherer zu Vertragsbeginn oder in den jährlichen Standmitteilungen die erwartete Ablaufleistung prognostizieren. Dieser speist sich in der Regel aus laufenden Überschussanteilen, die der Versicherer erwirtschaftet, sowie einem Schlussüberschuss und einer Beteiligung an den Bewertungsreserven.

Vor Vertragsende sind aber nur die Leistungen aus den bereits zugeteilten Überschussanteilen garantiert. Prognosen zu künftigen Anteilen sind unverbindlich und werden auf Basis sogenannter Überschussanteilsätze jedes Jahr neu von den Versicherern berechnet. Das entpuppt sich in Zeiten fallender Zinsen als Problem:

Bei den Ablaufprognosen zu Vertragsanfang gingen die Versicherer in Hochzins-Zeiten häufig von gleich bleibenden Zinsen aus, oft waren die Annahmen zudem sehr optimistisch, um das Neugeschäft anzukurbeln. Zur Erinnerung: noch im Jahr 2000 betrug der Höchstrechnungszins 3,25 Prozent, aktuell nur 0,9 Prozent. Auch die Versicherer haben Probleme, mit festverzinslichen Anlagen die erforderlichen Erträge zu erwirtschaften. Die Konsequenz: In den letzten Jahren haben fast alle Versicherer ihre Überschussanteilssätze stark nach unten korrigiert. Und die tatsächliche Ablaufleistung schrumpfte gegenüber früheren Prognosen zusammen.

Was ist garantiert - und wenn ja, wie viel?

Doch damit nicht genug. Die Anbieter können die Beteiligung der Kunden an Überschüssen und Bewertungsreserven weit stärker zurechtstutzen, wenn sie gegenüber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) glaubhaft machen, dass sie andernfalls in eine Schieflage hineingeraten und Garantiezusagen an ihre Kunden nicht sicher sind. Möglich macht es das Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) von 2014. Auch deshalb müssen sich die Versicherten darauf einstellen, dass sie bei Ablauf der Vertragslaufzeit weit weniger erhalten, als ihnen vorgerechnet wurde.

Sehr zum Ärger vieler Kunden: Die BaFin hat extra eine Webseite eingerichtet, auf der sie über Gründe informiert, weshalb die erwarteten Prognosen enttäuschen können. Sie trägt die vielsagende Überschrift: „Die Ablaufleistung meiner Lebensversicherung ist geringer als mein Versicherer noch vor einiger Zeit vorhergesagt hat. Muss ich das hinnehmen?“

Zu ergänzen wäre, dass auch die Garantien nicht zu 100prozentig sicher sind, sondern nur eine relative Sicherheit besteht. Schlittert ein Lebensversicherer nämlich in die Insolvenz, sind auch diese zugesicherten Leistungen vakant. Unter anderem erlaubt Paragraf 314 des Versicherungsvertragsgesetzes (VAG), dass die Finanzaufsicht vorläufige Zahlungsverbote ausspricht, wenn ein Versicherer dauerhaft seine Verpflichtungen nicht erfüllen kann. Reichen die ergriffenen Maßnahmen nicht aus, dürfen auch Ansprüche der Versicherten beschnitten werden. Auch das ist freilich an die Aufsicht der BaFin gebunden und kann nicht willkürlich durchgesetzt werden.

Es fehlt an Daten, wie stark Prognosen und Ablaufleistung abweichen

Der Verbraucherverband Bund der Versicherten (BdV) hat wiederholt kritisiert, dass die Bundesregierung nicht evaluieren lässt, wie stark die Versicherer bei der Überschussbeteiligung kürzen und wie sich die prognostizierten und tatsächlichen Ablaufleistungen zu Ungunsten der Sparer verändert haben. Eine Tendenz zeigt nun zumindest diese Studie von Partner in Life. Wobei erneut einzuschränken ist, dass der Anbieter nur hochwertige Verträge kauft — folglich zu erwarten ist, dass die Ergebnisse besser ausfallen als im Marktschnitt aller Lebensversicherer.

Am stärksten gekürzt hat laut Süddeutscher Zeitung die Allianz Leben: Sie korrigierte die Ablaufprognosen im Schnitt um 1,22 Prozent pro Jahr nach unten. Es folgen die Neue Leben (1,11 Prozent) und die Debeka (1,06 Prozent). Was das in Zahlen bedeutet, verdeutlicht CEO Dean Goff gegenüber dem Münchener Blatt an einem Beispiel. Habe ein Vertrag der Allianz dem Kunden im Februar 2010 noch eine Ablaufleistung von 27.279 Euro in Aussicht gestellt, so habe sich dies zur Fälligkeit am 1. Dezember 2018 auf 24.281 Euro reduziert: mehr als zwölf Prozent weniger.

Also die Lebensversicherung im Sinkflug? Zu bedenken gelte es aber, dass speziell die Allianz von einem hohen Niveau her kürze: Sie habe die höchsten variablen Gewinnanteile, erklärte Goff der „Süddeutschen“. Zudem würden die aufgekauften Verträge des Zweitmarkt-Anbieters noch immer eine ordentliche Beitragsrendite von 3,74 Prozent bieten, obwohl es im Jahr 2000 noch 4,69 Prozent waren.

Neugeschäft: 462.000 klassische Leben-Policen

Im Neugeschäft ist die Bedeutung klassischer Leben-Policen ohnehin fast gänzlich verblasst: wenn auch auf hohem Niveau. Bei mageren 0,9 Prozent Garantiezins wurden 2018 rund 462.000 klassische Leben-Policen abgeschlossen, so geht aus der Broschüre „Die deutsche Lebensversicherung in Zahlen 2019“ des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hervor. Das waren 0,9 Prozent weniger als im Vorjahr. Auch hier gilt es zu relativieren, dass dies immer noch eine beachtliche Zahl ist, auch wenn weniger als jeder zehnte Vertrag in diese Kategorie fällt. Knapp 4,875 Millionen Leben-Verträge wurden im Vorjahr neu abgeschlossen.

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Trotz aller schlechten Presse sind Leben-Policen noch immer eines der beliebtesten Altersvorsorge-Produkte. Zwar sank die Zahl der Leben-Verträge auch 2018 laut GDV um 0,9 Prozent. Aber noch immer halten die Deutschen knapp 83 Millionen Verträge. Rein statistisch hätte damit jeder deutsche Einwohner einen Vertrag.

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