Die Europäische Zentralbank (EZB) kauft vermehrt Anleihen von Krisenstaaten und öffentlichen Institutionen auf, um diese zu stabilisieren. Das hat auch Auswirkungen auf den Anleihemarkt. Nach Einschätzung von Andreas Lindner, Chefanleger der Allianz Deutschland AG, ist dieser durch die Aufkäufe verzerrt und überbewertet.

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“Verzerrung bei Bundesanleihen am ausgeprägtesten“

„Wir haben eine Schätzung vorgenommen, wie das Programm der Europäischen Zentralbank zum Aufkauf von Anleihen wirkt“, sagte Lindner in einem Interview mit „Euro am Sonntag“. „Demnach belief sich der renditensenkende Effekt auf die deutschen Langfristzinsen bisher auf eine Größenordnung von 0,8 Prozentpunkten, bezogen auf Bundesanleihen. Dort ist die Verzerrung am ausgeprägtesten, und sie ist erheblich, wenn Sie die aktuelle Rendite von rund 0,6 Prozent betrachten.“

Konkret geht es um mehrere Wertpapierkaufprogramme, die von der Europäischen Zentralbank (EZB) geleitet werden. Allein für das erste Aufkaufprogramm zum Höhepunkt der Eurokrise wurden zwischen 2010 und 2012 Staatspapiere im Wert von 260 Milliarden Euro erworben. Vor allem die Krisenländer Griechenland, Italien und Portugal profitierten davon.

Seit dem März 2015 läuft ein weiteres Aufkaufprogramm unter dem Namen PSPP (Public Sector Purchase Programme). Hier werden nach einem festen Verteilungsschlüssel auch Staatspapiere anderer Staaten erworben, zum Beispiel von Deutschland und Frankreich. Bis zum Stichtag 31. Dezember 2017 haben die Euro-Notenbanken Staatsanleihen und Anleihen öffentlicher Institutionen von 1931 Milliarden Euro gekauft, berichtet die „Frankfurter Allgemeine“ und beruft sich auf eine Studie des „Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung“ (ZEW). Damit tritt die Notenbank in direkte Konkurrenz zu den Versicherern - speziell die Lebensversicherer sind gesetzlich verpflichtet, viel Geld in festverzinsliche Papiere zu stecken.

Kein Anzeichen für Zinswende

Dennoch erwartet Allianz-Chefanleger Lindner, dass sich der Anleihemarkt erholt. „Wir werden wahrscheinlich eine Eins vor dem Komma sehen“, erwiderte er auf die Frage, wo er die Rendite in zwölf bis 18 Monaten sehe. „Das gab es immerhin seit dem Jahr 2014 nicht mehr“, so Lindner. Anzeichen dafür, dass die EZB von ihrer Niedrigzinspolitik abrücke und somit eine Zinswende einleite, sieht er aber nicht. Zwar werde die EZB unter Umständen ihr Aufkaufprogramm zurückfahren und eine Zinsanhebung ins Auge fassen. Dadurch würden die Zinsen aber nur gering steigen, prognostiziert der Finanzstratege.

Zinssätze jenseits von drei Prozent werde es auf lange Sicht nicht mehr geben, dämpft Lindner die Hoffnungen. Solange die Zentralbanken nicht eingreifen, würde die Entwicklung der Zinsen im Wesentlichen von den Erwartungen an Wachstum und Inflation abhängen. Hier habe sich das globale Wirtschaftswachstum im Vergleich zu der Zeit vor zehn bis 15 Jahren abgeschwächt und die Inflation sei nach wie vor gering, teils sogar mit fallenden Preisen.

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Die Allianz reagiert auf renditenschwache Euroanleihen unter anderem damit, dass sie sich nach Alternativen außerhalb Europas umschaut. „In den USA sind wir verstärkt in Unternehmensanleihen gegangen, und in Asien sowohl in Staats- als auch Unternehmensanleihen“, verriet Lindner „Euro am Sonntag“. Zudem habe man das Investment mit nicht handelbaren Anleihen ausgeweitet, etwa in Infrastruktur und Gewerbeimmobilien. Der Anteil an Immobilien soll auf einen zweistelligen Betrag am Gesamtinvestment erhöht werden, auch der Erwerb von Aktien ausgebaut werden. Aktuell halte die Allianz eine Aktienquote von gut zehn Prozent ihrer investierten Gelder.

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