“Apokalypse LV“ - In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Stern“ zeichnet der frühere Versicherungsmanager Sven Enger ein wahres Horrorszenario der Lebensversicherer. Der Branche drohe ein „Crash“ und eine „massenhafte Kapitalvernichtung“, so prophezeit Enger.

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Schon bald würden Millionen Baby-Boomer in Rente gehen und die Auszahlung ihrer Verträge verlangen: Menschen also, die in Wirtschaftswunder-Zeiten ab 1955 geboren wurden. Das könnten viele Versicherer in Zeiten des Niedrigzinses nicht stemmen, ein Crash sei die Folge. „Ich rate allen, deren Verträge noch länger laufen: Raus aus den Policen!“, so Enger.

Früherer Versicherungsmanager rechnet mit Branche ab

Buchcover von Sven Enger: "Alt, arm und abgezockt". Am Freitag erscheint der Titel im Econ-Verlag, einer Ullstein-Tochter. Sven Enger ist nicht irgendwer, er kennt die Branche. Seine Karriere begann er beim Deutschen Ring, wurde dann Vertriebsdirektor der Delta Lloyd, bei der Skandia Lebensversicherung saß er im Vorstand. Zuletzt war er Geschäftsführer bei der deutschen Tochter der Standard Life. Kompetenz kann man ihm nicht absprechen, er hat viele Versicherer von innen gesehen.

Doch nun hat Enger die Seiten gewechselt und ein Buch geschrieben, in dem er mit der Branche abrechnet. „Alt, arm und abgezockt“ heißt das Werk, erscheinen wird es am Freitag im Econ Verlag. Und das Buch handelt von ebendem, was Enger auch im Stern zum Besten gegeben hat - dem baldigen Kollaps der Lebensversicherer. „Der Crash der privaten Altersvorsorge und wie Sie sich darauf vorbereiten können“, so lautet der Untertitel.

"Kompletten Champagner-Vorrat ausgetrunken" - Auf Kosten der Kunden

Im Interview mit dem „Stern“ gibt Enger einen Einblick, welches Bild der Versicherungsbranche er in seinem Buch zeichnet. Es ist eine Branche, die von Gier getrieben in ihren eigenen Untergang steuert. „Ich hole rein, was geht, ich bin neugeschäftsgeil“, sei jahrelang das Motto der Versicherer und Vertriebe gewesen.

Auf Kosten der Kunden habe die Branche gut gelebt, erklärt der Buchautor - „Extreme Belohnungen“ seien aus den Beiträgen der Sparer finanziert worden. Doch obwohl man kommen sah, dass es so nicht weitergehen könne, habe die Branche nicht gegengesteuert: nun stünden Versicherer vor dem Absturz. Man habe den kompletten Champagner-Vorrat eines Kreuzfahrtschiffes ausgetrunken, zitiert Enger einen Branchenvertreter.

GDV - „Angstmache“ zu Marketing-Zwecken

All das will der Dachverband der Versicherer so nicht stehen lassen. Mit einer Stellungnahme meldete sich der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) am Mittwoch zu Wort und äußerte sich zu den Thesen des Buchautoren. Sven Enger betreibe „unverantwortliche und unfundierte Panikmache“, heißt es in dem Statement des Verbandes. Der Vorwurf: Mit möglichst alarmistischen Thesen wolle er viel Publicity erreichen und folglich viele Bücher verkaufen.

Peter Schwark, Mitglied der GDV-Geschäftsführung, verweist auf das strengere Aufsichtsregime unter Solvency II. Demnach müssen die Lebensversicherer verschiedene Krisenszenarien durchrechnen und nachweisen, dass sie dafür finanziell gerüstet sind. Das beinhaltet auch extreme Situationen: etwa, wenn mehrere Ereignisse wie Naturkatastrophen, Inflation und fallende Aktienkurse aufeinandertreffen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wacht darüber, dass die Gesellschaften ausreichend stabil sind - und kann Maßnahmen verlangen, wenn sie Zweifel daran hegt.

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"Die Lebensversicherer können ihre Verpflichtungen erfüllen"

„Die deutschen Lebensversicherer können nicht nur heute, sondern auch in Zukunft alle Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden erfüllen. Und das selbst in Extremszenarien, die statistisch nur einmal in 200 Jahren auftreten“, sagt Schwark. Dies belege die aktuelle so genannte Solvenzkapitalquote der Branche, die mit 344 Prozent weit über dem geforderten Wert von 100 Prozent liege (Stand 31.12.2016). Auch hätten die Lebensversicherer für künftige Zinsverpflichtungen einen zusätzlichen Kapitalpuffer von 60 Milliarden Euro aufgebaut - die sogenannte Zinszusatzreserve.

Manche Versicherer haben Probleme

Entgegen Schwarks Verteidigung muss aber relativiert werden, dass die Lebensversicherer derzeit noch mit Übergangsregeln rechnen dürfen, um eine ausreichende Krisenfestigkeit und die notwendige Ausstattung mit Eigenmitteln nachzuweisen. Ohne diese erleichternden Maßnahmen würden die Lebensversicherer im Schnitt nur auf eine Solvenzquote von 165 Prozent kommen.

Laut BaFin hatten 29 von 72 deutschen Lebensversicherern beim letzten Stresstest Probleme. Diese Unternehmen konnten ohne Anwendung von Übergangsmaßnahmen für eine gewisse Zeit keine ausreichende Bedeckung sicherstellen und mussten daraufhin der Aufsicht einen Maßnahmenplan vorlegen.

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Auch schwanken die Solvenzquoten enorm. Erreicht die AachenMünchener beispielsweise eine Solvenzquote von 504 Prozent; so liegt der Wert bei der Debeka leidglich bei 87 Prozent. Die Familienfürsorge Leben hat sogar nur einen Wert von 57 Prozent (der Versicherungsbote berichtete).

Dennoch: Auch die Finanzaufsicht hält die Assekuranz für ausreichend krisensicher. Man sei mit den Ergebnissen des letzten Stresstests zufrieden, kommentierte Frank Grund, oberster Versicherungs-Aufseher der BaFin. "Das Ergebnis ist positiv. Es gibt aber natürlich noch Mängel, die abgestellt werden müssen. Daran werden wir als Aufsicht gemeinsam mit den Unternehmen arbeiten", so Grund.

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Versicherte verzichten auf Risikoschutz

GDV-Vorstand Peter Schwark verweist auf ein weiteres Problem, wenn die Kunden nun ihre Leben-Policen kündigen, wie Buchautor Enger dies empfiehlt. Die Lebensversicherung dient eben nicht nur der Geldanlage, sondern ist auch eine Versicherung. "Mit einer Kündigung verzichten Kunden zudem nicht nur auf Rendite, sondern auch auf den Risikoschutz einer Lebensversicherung im Todesfall oder auch bei Berufsunfähigkeit des Versicherten", so Schwark.

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