Mit dem neuen Paragrafen besteht seit dem 01. Juli 2014 für ältere Arbeitnehmer die Option, den Beginn des Ruhestandes zu verschieben und als befristeter Beschäftigter weiterzuarbeiten. Seit Juli des vergangenen Jahres können Arbeitgeber und Arbeitnehmer miteinander vereinbaren, das Arbeitsverhältnis befristet zu verlängern. Die einzige Maßgabe ist, dass sie diese Vereinbarung treffen, bevor der Mitarbeiter in den Ruhestand gegangen ist. Solche Kettenverträge sind dann sogar unbegrenzt oft hintereinander erlaubt. Aber tatsächlich genutzt wird diese Möglichkeit von den wenigsten arbeitswilligen Arbeitnehmern im Rentenalter.

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Eine Umfrage der Süddeutschen Zeitung bei mehreren Arbeitgeberverbänden zeigt, dass dies vor allem an rechtlichen Unsicherheiten liegt. Beispielsweise bekommen Personalchefs angesichts des neuen Paragrafen kalte Füße, sie befürchten, dass sich Arbeitnehmer im Rentenalter einklagen könnten und sie dann dauerhaft und unbefristet weiterbeschäftigt werden müssten. Derartige Sorgen teilen offenbar viele Arbeitgeber, teilt die SZ mit.

Wie ist das zu erklären, wollte die Bundesregierung mit diesem Paragrafen doch gerade in die andere Richtung weisen? Den Beitrag der Bundesregierung, die mit dem Paragrafen "den Mentalitätswandel hin zu längerem Arbeiten" ja eigentlich unterstützen wollte, hält Petra Lindemann, Geschäftsführerin Tarifpolitik und Arbeitsrecht im Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC), für richtig - in der Praxis werde die neue Regelung "allerdings nur in sehr wenigen Unternehmen und Betrieben unserer Branche genutzt".

Rechtsunsicherheit - Flexi-Rente mit Konstruktionsfehlern

Es sind einfach zu viele rechtliche Unsicherheiten und rechtlich unscharfe Formulierungen im Paragrafen. Wie beispielsweise operiert man mit dem Begriff "mehrfach", der nicht festlegt, wie viele Befristungen hintereinander eigentlich überhaupt möglich sind. Rechtliche Unsicherheiten ergäben sich auch aus der Bedingung, dass sich der Rentenbeginn nur dann nach hinten vertagen ließe, "wenn im Arbeitsverhältnis eine Regelaltersgrenze vereinbart wurde" - dies käme für viele Interessenten allerdings zu spät, so Lindemann. Zudem ist eine gesetzliche Höchstdauer der Befristungen laut BAVC nicht geregelt, es ist außerdem nicht klar, ob bei der Befristung beispielsweise der Lohn oder die Aufgaben des Mitarbeiters geändert werden könnten.

Die Chemie-Arbeitgeber sind deshalb mit der großen Sorge beschäftigt, dass eine Befristung vor Gericht für unwirksam erklärt werden könnte - womit dann ein quasi unkündbarer, langjähriger Mitarbeiter wieder unbefristet zu beschäftigen wäre. Lindemann wertet dies darum als "unklare Regelung, deren Risiko die Arbeitgeber zu Recht nicht tragen wollen, sofern denn überhaupt betrieblicher Bedarf besteht". Die Metallarbeitgeber haben ähnliche Probleme. Ein Sprecher von Südwestmetall spricht von vielen offenen "Anwendungsfragen". Bei Gesamtmetall heißt es: "Die Regelung, das Aussteigen aus dem Erwerbsleben befristet zu verschieben, klingt gut, hat aber einen Konstruktionsfehler: Der im betrieblichen Alltag sehr viel relevantere Fall wäre, nach dem Ausscheiden beispielsweise für ein Projekt befristet zurückzukommen."

Wenn der Mitarbeiter bis zu seinem Ausscheiden unbefristet beschäftigt war, ist dies allerdings fast unmöglich. Ebenfalls erhebliche Bedenken äußerte der frühere Präsident des Landesarbeitsgerichts Hessen, Peter Bader. Bader schrieb in einem Fachaufsatz, das Gesetz sei "mit heißer Nadel gestrickt" worden. Neben den genannten Schwachstellen fehle außerdem ein Instrument, welches den Missbrauch von aufeinander folgenden befristeten Verträgen verhindern könnte. Das ursprüngliche Ziel, junge Arbeitnehmer einzustellen, würde damit konterkariert.

Grüne bewerten Flexi-Rente als faktisch völlig wertlos

Im Großen und Ganzen betrachtet, könnte all dies sogar gegen das "Verbot der Altersdiskriminierung" verstoßen und damit letztlich unvereinbar mit dem Europarecht sein. Dass dieser schnell gestrickte Paragraf wohl noch öfters justiert werden muss und die Gerichte noch häufiger beschäftigen wird, ist deshalb nicht nur die Befürchtung des rentenpolitischen Sprechers der Grünen, Markus Kurt. "Die Zugeständnisse, die der Wirtschaftsflügel der Union vermeintlich verbuchen konnte, sind faktisch völlig wertlos", sagt der Abgeordnete.

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Das Magazin Focus drücks es sogar noch etwas unsanfter aus und schreibt "Nahles Flexirente" sei "ein Rohrkrepierer". Viele Arbeitnehmer im besten Alter würden es vielleicht ähnlich sagen. Sie sind von dem neuen Paragrafen enttäuscht. Sie werden noch gebraucht, aber eine Vertragsverlängerung erleben die wenigsten. Bei dem Kompromiss, weiterhin - aber als Selbstständige - zu arbeiten, erhalten sie zwar weiterhin große Anerkennung für ihre umfangreiche Berufserfahrung, aber einen viel geringeren Lohn als zuvor.



Focus, Süddeutsche Zeitung

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