Der Reihe nach. „Künftig werde ich wohl öfter über Fairrriester sprechen müssen“, schließt Hermann Josef Tenhagen seine Kolumne auf Spiegel Online. Das kann sein; wenn auch auf ihm unliebsame Weise. Nämlich wenn er rechtfertigen soll, warum seine wirtschaftliche Nähe zu Fairr.de dennoch legitim Eingang in die Spiegel-Online-Kolumne finden durfte. Chronologisch: Zunächst kritisiert Tenhagen dort die Änderungen der Riester-Fonds von „Uniprofirente“ von Union Investments (Raiffeisen-Gruppe).

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Diese Änderungen lassen sich ohne weitere fachliche Vertiefungen mit dem Kapitalmarkt und Niedrigzinsen begründen: Union Investment musste die Aktienquoten zugunsten der Besicherung von gesetzlich geforderten Beitragsgarantien verringern und Aktienfonds in Rentenfonds tauschen.

Halbe Kosten sind nur die halbe Wahrheit

Im Weiteren kritisiert Tenhagen hohe Kosten von Riester-Fonds, die er etwa für Deka (Sparkassen-Verbund) oder DWS (Deutsche-Bank-Gruppe) in seinem Modellfall mit rund 20.000 Euro im Durchschnitt angibt. Bei Fairr.de, einem auf Riester fokussierten Startup mit dem Partner Sutor Bank, seien es vergleichsweise nur gut 10.000 Euro, also rund die Hälfte. Dies mag sein, beschreibt aber nur die halbe Wahrheit. Die teure andere Hälfte der Wahrheit wird unten erläutert, sobald es um das Produkt von Fairr.de geht. Noch geht es um Tenhagen:

Klatsche gegen Union Investment

Dann schreibt Tenhagen vernichtende Zeilen, die Union Investment nicht schmecken werden: „Meine Konsequenz ist eindeutig. Ich wünsche den Profirentnern viel Erfolg, die dem Management widersprechen und beim alten Modell bleiben. Für neue Riester-Verträge gilt: Bye bye, Uniprofirente! Es war schön mit Dir. Künftig werde ich wohl öfter über Fairrriester sprechen müssen."

Die Aussagen Tenhagens mag ein Leser auf Spiegel Online als Fachaussage aus dem Munde eines berufenen Verbraucher-Journalisten werten. Immerhin -und den Lesern hier wohl gut bekannt- war Hermann Josef Tenhagen bis 2014 über viele (15) Jahre Chefredakteur von Finanztest. Und von peinlichen, mit Sorgfaltsübung vermeidbaren Pleiten nicht verschont: der „Test“ zu Berufsunfähigkeits-Versicherungen, den Versicherungsmakler Hellberg vor zwei Jahren fachlich fundiert und medial wirksam zerlegte („Avanti Dilettanti“). Zurück zum Heute: In der aktuellen Kolumne erfährt der geneigte Spiegel-Online-Leser nichts über die monetäre Verbindung von Finanztip und Fairr.de (oder auch Fairrriester).

„Irreführende Werbung erster Güte“

Versicherungsberater Christian Müller aus Kassel, selbst zugelassener Honorar-Vermittler für Finanzanlagen (§ 34 h GewO), kommentiert das gegenüber dem Versicherungsboten; ausführlich: "Das ist irreführende Werbung erster Güte! Auch für Online Angebote gilt das UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Red.) und VVG (Versicherungsvertragsgesetz, Red.). Keine dieser gesetzliche Mindestanforderungen sehe ich als erfüllt! Im Versicherungsbereich gibt es Produktinformationsblätter und im Wertpapierbereich die Prospekthaftung. Erst wurden diese hart vom Verbraucherschutz erkämpft und nun online zur Erzielung von Umsatz weggelassen. Tenhagens unverblümtes Lob für Fairr.de verschleiert seine (Finanztips) wirtschaftlichen Verbindungen zu diesem Unternehmen. Zugleich wird sein ehemaliger Liebling Unifonds in Grund und Boden geschrieben."

„Früher massiv für Uniprofirente geworben“

Zu Tenhagens „ehemaligem Liebling“ (Versicherungsberater Müller) erläutert Michael Schreiber, Versicherungsmakler aus Freiburg: "Es ist schon Wahnsinn, wenn man weiß, dass Herr Tenhagen früher mit Finanztest nicht nur massiv für die UniProfi-Rente geworben hat, von der er nun im Spiegel nicht nur abrät, sondern sogar den Wechsel von Fondsvermögen aus Uni, DWS und Deka auf Fairr.de bewirbt. Anders kann man es nicht beurteilen. Dieses Vorgehen ist nicht viel besser als die klassischen Umdecker, die sonst vom Verbraucherschutz zu Recht deswegen gescholten werden."

Zahlstelle 1: Der Klingelbeutelklick

Finanztip kassiert: Scheinbar verbraucherfreundlich hat Spiegel Online in Tenhagens Riester-Kolumne einen Link zum Riester-Informationsangebot des Finanztip eingebaut. Wer sich dort hinklickt, ließt in unbescheidner Blockschrift: „DER BESTE FONDSSPARPLAN MIT STAATLICHER ZULAGE“. Wenn dann ein User dort auf Fairr* klickt, dann „kann es sein, dass Finanztip dafür eine Vergütung bekommt“. Zwei Klicks, erst bei Spiegel Online, dann bei Finanztip auf Fairr* führen zu einer Zahlstelle für Finanztip.

Ein Fall für den Deutschen Presserat?

Auf Finanztip.de wird der für das gemeinnützige Portal geldwerte Klick auf Links mit Sternchen zwar durchaus transparent erklärt. Aber auf Spiegel Online: Nicht. Ob dieses Unterlassen bei Deutschlands (nach BILD.de) immerhin zweitgrößtem Nachrichtenportal nur ein Medienbruch, eine Nachlässigkeit, eine Fahrlässigkeit, eine Verschleierung von Kickbacks für Klicks oder gar doch Schleichwerbung ist, das wird demnächst der Deutsche Presserat anhand des Pressekodex beurteilen. Dessen Ziffer 7 verlangt eine klare Trennung von Werbung und redaktionellem Beitrag.

Zahlstelle 2: Rentenversicherung 85+

Noch aus einem anderen Grunde wird Tenhagen demnächst „öfter über Fairrriester sprechen müssen“. Nämlich wie er sachlich zu seiner Empfehlung für Fairr.de kommt. Und ob dieses Urteil einer Überprüfung standhält. Damit kommen wir zur zweiten Zahlstelle, an der der Verbraucher zur Kasse gebeten wird, wenn er demnächst, sagen wir in 25 Jahren in Riester-Rente geht.

Wer bietet mehr? Fairr.de nennt 45 Euro Rentenfaktor

Fairr.de nennt in seinem Online-Angebot Rentenfaktoren von 45 Euro Rente je 10.000 Euro Kapital (Basis sei ein „Marktvergleich“). Hauke Simonsen, Versicherungsmakler aus Hamburg, hat einmal Riester-Vergleichssoftware angeworfen und berichtet dem Versicherungsboten: "Die 45 Euro von Finanztip kommen aus einem ,Marktvergleich'? In meinem Marktvergleich gibt's aktuell ab dem 67. Lebensjahr maximal rund 30 Euro pro 10.000 Euro Rentenkapital".

Was Fairr.de außerdem nicht angibt, zumindest nicht bei den ersten Zahlen, wenn man online seine Riester-Rente rechnet (siehe Abbildung oben): Die Kosten für die verpflichtende Rentenversicherung, die bei jedem, auch nicht-versicherungsförmigen Riester-Angebot enthalten sein muss, um die Langlebigkeit ab Alter 85 zu sichern. Nach Berechnungen und Recherchen des Münchener Versicherungsmaklers Joachim Haid („Riesterpapst“) „frisst“ diese Versicherung aktuell ein Viertel des Riester-Vermögens auf.

Fairr.de rechnet ohne Versicherung

Dennoch rechnet Fairr.de ausweislich der Abbildung oben aus knapp 94.000 Euro Kapital eine Rente von 423 Euro aus. Das ist leicht zu rechnen: 94.000 Euro (genau 93.949) geteilt durch 10.000 mal 45 Euro Rentenfaktor = (knapp) 423 Euro Rente. So steht es bei Fairr.de geschrieben. Kosten für die in der Rentenphase allfällige Rentenversicherung kann der interessierte Kunde keine erkennen. Dennoch werden sie fällig werden. Weil das Altersvermögenszertifizierungsgesetz (so heißt das AVmZertG als Wortungeheuer ausgeschrieben) es verlangt! Nicht – noch nicht! – für reine Sparpläne wie die von Fairr.de. Diese werden für die Ansparphase separat zertifiziert.

Korrekt? 25 Prozent des Kapitals kostet die Rentenversicherung heute.

Aber wenn die Fairr.de-Rente kommt, dann wird gekürzt. Fairr liefert mangels Versicherung keine Zahlen. Aber die DWS (Deutsche-Bank-Gruppe): Für heute 65-Jährige werden 25 Prozent des Vermögens für die Pflicht-Versicherung ab 85 fällig, sagen Zahlenangaben von DWS für deren Riester-Renten mit Auszahlungsbeginn 1. Januar 2015. Für Neuverträge mit Beginn 1. Juli 2015 nennt DWS bereits mehr als 28 Prozent Einmalbeitrags-Anteil für die Rentenversicherung 85+, wenn ein heute 40-Jähriger in 25 Jahren (2040) in Riester-Rente geht!

2040 kostet die Versicherung 40 Prozent des Kapitals

Aber die Aussagen von DWS sind nicht vollständig, vulgo zu niedrig, sagt der „Riesterpapst“ und präsentiert fortgeschriebene Daten der (noch) aktuellen Rententafel DAV 2004 R, mit der die meisten Versicherer rechnen. Nach seinen Angaben steigt der Satz für 65-jährige Neurentner des Jahres auf 40 Prozent, die ihm in 25 Jahren vom Riester-Kapital des Kunden abgezogen werden. Bald (wohl 2016) ist mit einer neuen Rententafel für die Abbildung der so genannten ferneren Lebenserwartung zu rechnen.

„Rentenfaktoren“ bei Riester-Fonds untauglich

Auf Basis dieser Daten hat der Versicherungsbote das Musterbeispiel von Fairr.de neu berechnet – und den nächsten handwerklichen Fehler festgestellt: Rentenfaktoren sind bei Riester-Fonds, wie von Fairr.de angegeben, untauglich. Zunächst wird das Kapital per 65 um die Versicherungskosten gekürzt. Der Rest wird (von hier Im Beispiel 65) bis 85 verteilt; auf eine Zeitrente mit Kapitalverzehr. Mit 85 darf der Rententopf leer sein, weil dann die Versicherung 85+ greift. Im Folgenden noch einmal die Angabe von Fairr.de.

Fairr.de errechnet aus knapp 94.000 Euro Kapital gut 420 Euro Rente. Unter Berücksichtigung des Einmalbeitrags 85+ für die Langlebigkeits-Versicherung ergeben sich diese Zahlen für einen heute 40-Jährigen, der 2040 mit 65 in in Rente geht:

Rentenbeginn 2040: 93.949 minus 40 Prozent (DWS-Wert per 1. Juni 2015) Einmalbeitrag Versicherung = 56.370 Euro Barwert für die Zeitrente von 65 bis 85 (danach übernimmt die Versicherung). Je nach Rechnungszins für die Zeit von 65 bis 85 mit „sicheren“ 0,00 bis 2,00 Prozent divergiert die Zeitrente mit Kapitalverzehr zwischen 230 und 285 Euro pro Monat. Achtung: abzüglich Abschlägen bei der Versicherungsleistung ab 85+, die an dieser Stelle nicht seriös zu berechnen sind. Die genannten Werte leisten „reine“ Riester-Versicherer auch. Heute schon sicher, wenn man einen realistischen, hier garantierten „harten“ Rentenfaktor von 30 Euro je 10.000 Euro Kapital unterstellt.

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Das Fazit: Verbraucherschützer oder Werber?

Verbraucherschützer oder Werber? Hermann Josef Tenhagen ist auf Spiegel Online nicht transparent, weil er seine Beziehungen zu Fairr.de nicht offen legt – und fachlich scheinbar nicht sieht: Fairr.de ist in Sachen Versicherungskosten 85+ dem Grunde nach (fehlende Nennung!) nicht transparent. Und der Höhe nach, wenn der Verbraucher es denn erführe, nicht korrekt: Der Rentenfaktor erscheint markt-mathematisch nachvollzogen nicht haltbar; mit 45 zu realistischen 30 Euro je 10.000 Kapital zumindest rechnerisch um 50 Prozent zu hoch. Und fünfzig Prozent mal „Haben oder nicht haben“, sind nun einmal viel Geld, wenn Rente von einem Barwert aus gerechnet und ausgezahlt werden soll. Geld, für das ein Verbraucher 30 Jahre spart. Vielleicht tut er das bei Fairr,de und Folgen. Weil er, der Verbraucher, Tenhagen fahrlässig folgt – oder unwissend, weil „der Spiegel immer recht hat“ (so ein Bildungsbürger-Väter-Spruch aus alten Zeiten). Diesmal nicht, sagen die Zahlen. Zu kritisieren, und oben an Zahlen belegt, ist vor allem das Fehlen von Angaben der erheblichen Versicherungskosten 85+. Per Stand heute bilden Finanztip und Fairr.de ein ungewisses Gemenge. Transparent ist das jedenfalls, wie dargelegt: Nicht.

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