Zypern - Zeitbombe für den Euro?
Ist Zypern gerettet – oder hat das Land nur Zeit zum Durchatmen gewonnen? Ein Bonmot des Eurogruppen-Chefs Jeroen Dijsselblom zeigte am Dienstag, wie schnell eine unüberlegte Aussage sogar die Stabilität des Euro gefährden kann. Zypern könnte sich im schlimmsten Fall zu einer tickenden Zeitbombe für die gesamte Eurozone entwickeln und die Autorität der Euroretter langfristig untergraben, kommentiert Mirko Wenig.
Ein einziger Satz reichte am Dienstag aus, nach dem langen Ringen um ein Rettungspaket für Zypern das Vertrauen in den Euro erneut zu erschüttern. Ausgesprochen hatte ihn Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem. In einem Interview mit der britischen Financial Times sagte der Niederländer, die Belastung zyprischer Bankkunden könne als Vorbild für die Rettung anderer Euro-Krisenstaaten dienen. Sofort war die Freude der Anleger über das neue Rettungspaket verpufft, Aktien und Euro gingen auf Talfahrt.
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Was war also geschehen? Dijsselbloem hatte indirekt zu verstehen gegeben, dass Geldanleger in Krisenstaaten sich ihrer Ersparnisse nicht mehr sicher sein können. Denn das Besondere an Zyperns Bankenrettung ist, dass sich Sparer, Eigentümer und private Investoren in erheblichem Maße an den Verlusten der maroden Banken beteiligen müssen. Zypern sei wegen seines immens aufgeblähten Bankensektors einzigartig, eine Wiederholung werde es nicht geben, hatten alle Euro-Retter in den letzten Tagen gebetsmühlenartig wiederholt, um die Sparer zu beruhigen.
Nun wird Zypern als Modellfall für die Rettung anderer Krisenstaaten ausgerufen. In Madrid, Rom und Lissabon wächst das Misstrauen: Wie wird sich die Troika verhalten, wenn die großen Banken dieser Staaten von einer Pleite bedroht sind? Wenn es nicht mehr gelingt, sich am Kapitalmarkt mit frischem Kapital zu versorgen? Müssen nun alle Investoren in Euro-Krisenstaaten fürchten, viel Geld zu verlieren? Noch am selben Tag ruderte Dijsselblom zurück und widerrief seine Aussage, aber der Schaden war angerichtet. Eine Kapitalflucht bei den kleinsten Krisenanzeichen ist nun auch in anderen Euro-Staaten wahrscheinlicher geworden.
Trotz Rettungspaket spitzen sich die Probleme in Zypern zu
Dijsselbloms Fauxpas zeigt, wie fragil der Kompromiss in Zypern derzeit ist. Jede falsche Äußerung zur Sache kann zum Bumerang für ganz Europa werden, da mag der Inselstaat noch so klein sein. Hatten am Montag auch die meisten Beteiligten ihre Zufriedenheit über die erzielte Rettung geäußert –von einem „vollständigen und glaubhaften Plan“ sprach etwa IWF-Chefin Christine Lagarde – so wird sich in den nächsten Wochen und Monaten erst zeigen müssen, was der Rettungsplan letztendlich wert ist.
Dies gilt umso mehr, da die Auswirkungen für die zyprische Bevölkerung noch gar nicht abzusehen sind. Zwar bleiben Kleinsparer von einer Zwangsabgabe verschont, weil Bankguthaben unter 100.000 Euro nicht angetastet werden – so zumindest die offizielle Version. Dies bedeutet aber keineswegs, dass Zyperns Bürger frei über ihr Geld verfügen dürfen. Nach wie vor können an Bankautomaten nur Kleinbeträge abgehoben werden, der Zugriff auf die Ersparnisse ist den Menschen verwehrt.
Ursprünglich sollten kleine Banken ab Dienstag wieder geöffnet sein, damit die Zyprer Geld am Bankautomaten erhalten können. Aber Staatspräsident Nikos Anastasiades sei laut zyprischen Zeitungsberichten „außer sich vor Wut“ geraten, als er erfuhr, dass Zyperns Zentralbankchef Panikos Demetriades eine Öffnung der Banken veranlasst hatte. Zu groß ist die Furcht, auch die Anleger der großen zyprischen Banken könnten versuchen massenhaft Geld abzuheben – um es dann ins sichere Ausland zu transferieren. Das Gespenst einer massenhaften Kapitalflucht schwebt noch immer über dem Inselstaat.
Zwar hat die Zentralbank angekündigt, am Donnerstag Mittag die Bankfilialen wieder zu öffnen. Aber auch dann werden sich die Bürger auf Einschränkungen einstellen müssen. Die Geldautomaten spucken nur Beträge bis 300 Euro aus, Überweisungen ins Ausland sind nur unter strengen Auflagen möglich. Mit der Angst um die eigenen Ersparnisse wächst auch die Wut der zyprischen Bevölkerung. Gestern zogen 1.500 Schüler durch die Innenstadt von Nikosia, auf Spruchbändern verglichen sie Angela Merkel mit Adolf Hitler. Die Bundesregierung wird wegen ihrer unnachgiebigen Haltung bei den Verhandlungen um das Hilfspaket als Sündenbock ausgemacht. Es wächst in Zypern die Angst vor Ausschreitungen: Wenn die Banken ihre Filialen wieder aufmachen, werden sich massiv Polizei und Sicherheitskräfte vor den Türen einfinden.
Der verordnete Sparkurs wird die Wirtschaft Zyperns weiter schwächen
Welche Auswirkungen aber haben die Restriktionen für Zyperns Bevölkerung? Schon jetzt zeichnen sich massive Störungen des Alltagslebens ab, wie die zyprische Presse berichtet. Arbeitnehmer und Angestellte wissen nicht, ob sie am Monatsanfang ihren Lohn erhalten werden. Viele Unternehmen können die Rechnungen für Lieferanten und Aufträge nicht mehr begleichen. Probleme gibt es auch im Gesundheitssystem, weil viele Ärzte nur noch gegen Bargeld behandeln. Zwar werden Kleinanleger beim Hilfspaket geschont – aber die jetzigen Maßnahmen zur Eindämmung einer Kapitalflucht tragen Züge einer Zwangsenteignung der Bürger. Zypern hat derzeit keine funktionierende Währung. Zyperns Bürger haben kein frei verfügbares Geld. Es ist die Zentralbank, die darüber bestimmt, ob und wieviel Geld die Menschen ausgeben dürfen.
Diese strikten Restriktionen könnten die drohende Wirtschaftskrise in Zypern noch verschärfen, sollten sie auf lange Sicht Bestand haben. Mit dem Wegfall der Erträge aus dem aufgeblähten Bankensektor wird die Wirtschaft des Zwergstaates um ein Viertel schrumpfen, warnte bereits am Montag Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Tausende Menschen werden ihre Arbeit verlieren. Mit jeder Schreckensmeldung von der Insel wächst auch die Unsicherheit in anderen Krisenstaaten und damit die Gefahr, dass der Euro bald Geschichte sein könnte. Bei den kleinsten Krisenanzeichen im eigenen Land müssen sich auch Wackelkandidaten wie Spanien, Portugal oder Italien auf eine Kapitalflucht einstellen.
Doch nicht nur der Einbruch des Bankensektors könnte sich zur Achillesferse für Zyperns Wirtschaft entwickeln. Die Troika hat dem Land harte Bandagen angelegt: Gelder aus dem Schuldendienst sollen über Steuererhöhungen, Ausgabenkürzungen der öffentlichen Hand und Privatisierungen eingetrieben werden. Dieser rigorose Sparkurs hat bereits in anderen Ländern dazu geführt, dass die Wirtschaft sich kaum aus eigener Kraft erholen kann – speziell in Griechenland.
Die Autorität der „Euroretter“ schwindet – auch das Ansehen Deutschlands
Eine bemerkenswerte Sturheit zeigt dabei Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). In einem Interview mit der griechischen Tageszeitung Ta Nea sagte der Politiker am Dienstag, dass Griechenland als Nachbar Zyperns auf einem guten Weg sei und Fortschritte im Kampf gegen die Schuldenkrise mache. Diese Einsicht dürfte Schäuble jedoch exklusiv haben. In Hellas ist nach Angaben des griechischen Amts für Statistik (EL.STAT) auch im vierten Quartal 2012 das Bruttoinlandsprodukt um 5,7 Prozent eingebrochen, die Arbeitslosenrate beträgt stolze 26 Prozent. Jeder vierte Grieche ist also derzeit ohne Job. Der Umsatz des Einzelhandels brach im Januar gegenüber dem Vorjahresmonat ebenfalls um neun Prozent ein. Von einer Erholung der griechischen Wirtschaft kann keine Rede sein. Wolfgang Schäuble hält trotzdem unbeirrt daran fest, Europa einen harten und einseitigen Sparkurs aufzudrängen.
Wird der Schockkurs für die griechische Wirtschaft nun auch auf Zypern angewendet, werden harte Sparforderungen die Lage des Inselstaates weiter verschlimmern, dann riskieren die Euro-Retter, langfristig ihre Legitimität zu verspielen. Dies färbt auch auf Deutschland ab, das zu den lautesten Stimmen in der aktuellen Krise gehört und bereits europaweit einen Ansehensverlust verkraften muss. Dabei mischen sich in den Äußerungen deutscher Politiker nicht selten Überheblichkeit und chauvinistische Ressentiments. Sei es Volker Kauders Bonmot vom CDU-Parteitag 2011, „Jetzt wird in Europa Deutsch gesprochen“, sei es die nicht belegbare Behauptung der Bundesregierung, in Zypern würden reiche Russen ihr Schwarzgeld anlegen – im Ausland werden diese Äußerungen mit äußerster Skepsis aufgenommen.
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“Wenn die Deutschen weiterhin den europäischen Völkern harte Wirtschaftszwänge auferlegen, könnten soziale Entfremdung, internationale Auseinandersetzungen und politischer Extremismus dramatische Züge annehmen“, schrieb unlängst der Historiker und Kolumnist Dominic Sandbrock im britischen Daily Mail. „Aufgrund der scheinbar endlosen politischen Krise wird Deutschland nicht mehr als Europas wirtschaftlicher Retter angesehen, sondern als sein Unterdrücker.“ Dies mag übertrieben und einseitig sein. Aber auch die Bundesregierung wird sich zukünftig mit der Frage auseinander setzen müssen, ob der Austeritätskurs für Europa tatsächlich alternativlos ist. Ob in Zypern, Griechenland – oder in einem anderen Krisenstaat. Sonst könnte der gute Willen der Bundesregierung zur europaweiten Haushaltskonsolidierung dazu beitragen, dem Euro ein Grab zu schaufeln.