Wer in Deutschland Versicherungen und Finanzanlagen vermittelt, wird von den Industrie- und Handelskammern beaufsichtigt und nicht von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Die Vor- und Nachteile wurden mehrfach breit diskutiert, zuletzt 2019. Damals wollte die frühere Bundesregierung unter Angela Merkel (CDU) die Aufsicht über Finanzanlagenvermittler nach Paragraf 34f der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) unterstellen. Die Vermittlerverbände waren geschlossen dagegen - und es ist auch den Umständen zu verdanken, dass es nicht dazu gekommen ist. Nachdem der Wirecard-Skandal für einen Aufschrei gesorgt hatte und die Corona-Pandemie die Welt lähmte, hatte die Politik schlicht andere Prioritäten.

Anzeige

Doch auf der aktuellen Wissenschaftstagung des Bundes der Versicherten (BDV) kam das Thema erneut auf die Tagesordnung. Denn Petra Hielkema, Chefin der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA), zeigte sich verwundert über den aktuellen Status quo. Sie sieht Interessenkonflikte auf Seiten der Kammern - und einen fehlenden Dialog. Über die Veranstaltung berichten aktuell das Versicherungsjournal und der Versicherungsmonitor.

Wie unabhängig sind die Kammern?

Konkret stellt Hielkema die Unabhängigkeit der IHKen in Frage. Die Aufsichtspraxis in Deutschland sei „interessant, weil die Handelskammern ein kommerzielles Interesse haben“, zitiert Versicherungsmonitor die Niederländerin. Sie verwies darauf, dass die europäische Versicherungsaufsicht im September 2021 Kriterien veröffentlicht habe, die die finanzielle Unabhängigkeit der nationalen Aufsichtsbehörden von den zu beaufsichtigenden Unternehmen betonten.

Die Industrie- und Handelskammern finanzieren sich durch die Beiträge der Unternehmen sowie durch Gebühren und Entgelte für Leistungen, die sie für diese erbringen. Die Beiträge sind nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Unternehmen gestaffelt. Liegt hierin ein Interessenkonflikt? Wenn die IHKs aufsichtsrechtlich gegen Agenturen oder Maklerbüros vorgehen, müssen sie auch befürchten, dass die entsprechenden Einnahmen wegfallen. Hielkema stellte zwar klar, dass sie den Handelskammern nicht unterstellen wolle, ihre Aufsichtspflichten zu verletzen. Sie wolle aber auch die Kammern in die Pflicht nehmen, wenn EIOPA das nächste Mal überprüfe, ob und wie die finanzielle Unabhängigkeit der nationalen Aufsichtsorgane gewährleistet werde.

Ein weiterer Kritikpunkt: Die angeblich mangelhafte Kommunikation. Bisher würden die IHKs nicht am Tisch sitzen, wenn die 27 Aufseher in Europa mit der Eiopa konferieren würden, beklagte Hielkema laut „Versicherungsjournal“. Und es sei auch nicht klar, ob alle Regelungen bis zu den Kammern durchdringen. Hier gebe es ein Wissensdefizit der europäischen Aufsicht.

Viele Sanktionen, wenige Beschwerden

Müssen die Vermittlerinnen und Vermittler also befürchten, dass es bald neue Bestrebungen gibt, die Aufsicht über ihr Gewerbe der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu unterstellen? Vermittlerverbände haben mehrfach darauf hingewiesen, dass die Aufsicht in Deutschland funktioniert - und im europäischen Vergleich sogar vergleichsweise streng ist.

So werden in keinem anderen EU-Staat so viele Sanktionen gegen Vermittler verhängt, wie aus dem zweijährlich vorgelegten „Bericht über verwaltungsrechtliche Sanktionen und andere Maßnahmen im Rahmen der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD)“ der EIOPA hervorgeht: Rund acht von zehn verhängten Sanktionen entfallen auf die Bundesrepublik. Zeitgleich ist die Zahl der Verbraucherbeschwerden über Vermittlerinnen und Vermittler bei den Behörden und dem Ombudsmann gering.

Ein weiterer Grund spricht eher gegen eine BaFin-Aufsicht: Wollte die Behörde auch Versicherungsvermittler beaufsichtigen, müssten die dafür notwendigen Strukturen erst geschaffen werden. Und das hieße wohl: Eine drei- oder gar vierstellige Zahl neuer Expertinnen und Experten müsste eingestellt, die IT und die Prozesse entsprechend erweitert oder ebenfalls neu geschaffen werden. Der Aufwand wäre enorm. Diese Strukturen sind bei den IHKs bereits vorhanden und etabliert.

Anzeige

Doch es gibt auch wiederholt Kritik an der derzeitigen Praxis. Beispiel regionale Zersplitterung: mit Blick auf die Ausbildung, den notwendigen Sachkunde-Nachweis und die Erlaubnis besteht aktuell ein Flickenteppich zwischen den IHKen. Es kann passieren, dass in einem Bundesland höhere qualitative Anforderungen an die Vermittler gestellt werden als in einem anderen. Teils unterscheiden sich die Standards schon von Handelskammer zu Handelskammer. Und die regionalen Kammern beaufsichtigen sowohl den Einzelkämpfer mit Maklerbüro ohne eigene Mitarbeiter - als auch große Unternehmen wie die Maklertochter von Check24. Auf welche Aufsichtsstrukturen ein Unternehmen trifft und wie gut die örtliche Kammer für ihre Aufgabe gerüstet ist, hängt im Zweifel schlicht davon ab, an welchem Standort es sich niederlässt.

Anzeige