Es war die tödlichste Brandkatastrophe in Großbritannien seit mehr als 100 Jahren: Am 14. Juni brannte das Londoner Hochhaus Grenfell Tower komplett aus. Das Feuer konnte in wenigen Minuten das komplette Gebäude erfassen und verwandelte die oberen Stockwerke in eine tödliche Falle, aus der es kein Entrinnen gab. Mindestens 79 Menschen verloren nach dem jetzigen Stand ihr Leben.

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Nun kommt raus, dass der Dachverband der britischen Versicherer die Regierung in London vor der Brandgefahr an Gebäuden wie dem Grenfell Tower gewarnt hatte: nur einen Monat vor dem verheerenden Brand. Die „Association of British Insurers“ (ABI) teilte am Sonntag mit, die Abgeordneten aufgefordert zu haben, die Brandschutzbedingungen von 2009 zu überprüfen und notfalls zu verschärfen. Dabei habe man auch die Gefahr durch leicht entflammbare Dämmplatten angesprochen, die wesentlich zur Katastrophe beigetragen haben sollen, berichtet „Reuters“.

Versicherungsbranche warnte vor leicht entflammbarem Dämmmaterial

Dass das Feuer am Grenfell Tower so schnell um sich greifen konnte, erklären Brandschutzexperten mit der Verarbeitung von leicht entbrennbarem Dämmmaterial an der Außenfassade des Hauses. Das 1974 errichtete Hochhaus war 2015/16 komplett saniert wurden. Dabei verbaute die beauftragte Baufirma Aluminium-Verbundplatten an der Betonwand des Hauses, die einen leicht brennbaren Polyethylen-Kern enthielten. Sie gelten nach der Brandschutzklasse B2 als „normal entflammbar“.

Bitter: Es hätte nur 5.000 Euro mehr gekostet, das Haus mit besser geschützten Platten auszustatten, die die höhere Brandschutzklasse B1 ("schwer entflammbar") erfüllen. Diese Platten hätten sehr wahrscheinlich verhindern können, dass das Feuer so schnell um sich greift und so viele Menschen sterben. Der Dachverband der britischen Versicherer erklärte nun, man habe bereits im Mai davor gewarnt, leicht entflammbares Dämm-Material an Außenfassaden zu verbauen. Dieses könne die Ausbreitung des Feuers bei Bränden beschleunigen.

Verwendet wurden bei der Restaurierung des Grenfell Tower Dämmplatten der Firma Arconic. Der Hersteller ist nun selbst ins Visier der Ermittler geraten, wie Reuters berichtet. Denn Arconic hatte in seinen Broschüren angegeben, dass die Dämmplatten nur für Gebäude von bis zu zehn Metern Höhe verwendet werden dürfen. Der Grund: die leichte Entflammbarkeit. Auch in Emails an das beauftragte Bauunternehmen warnte Arconic davor, den Grenfell Tower mit solchen Platten auszustatten. Dennoch lieferte man bereitwillig das Dämmmaterial für den Umbau des Hochhauses.

Auch die britische Regierung hat gehandelt und eine landesweite Untersuchung der Hochhäuser angeordnet. Mit verheerendem Ergebnis: bei circa 60 Gebäuden wurden ähnliche Dämmstoffe verwendet wie am Grenfell Tower, wie die Regierung am Sonntag mitteilte. In der Nacht auf Samstag mussten im Londoner Stadtteil Camden 4.000 Menschen fünf Hochhäuser verlassen, weil ihre Sicherheit nicht gewährleistet sei. Sie wurden in Hotels und Sporthallen untergebracht.

Sicherheitsdebatte auch in Deutschland

Die Sicherheitsdebatte über brennbare Dämmstoffe an Außenfassaden hat auch Deutschland erreicht. Bereits einen Tag nach dem Londoner Brand veröffentliche Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ein Merkblatt, dass so eine Katastrophe in Deutschland nicht passieren könne, wenn alle Brandschutz-Vorschriften eingehalten werden.

Doch Kai Warnecke, Präsident „Haus und Grund“ Deutschland, nennt in einem Bericht des ZDF-Magazins Frontal 21 das Merkblatt „fast schon zynisch. Hier zu sagen, wenn sich alle ordentlich verhalten, wird schon nichts passieren. Das setzt eigentlich die gesamte Denkweise des Brandschutzes außer Kraft“, so Warnecke. Leicht entflammbare Dämmungen dürften demnach auch in Deutschland verbaut werden – sofern das Haus nicht höher als 22 Meter ist.

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Das zeigt sich auch am beliebtesten Dämmmaterial der Deutschen. Hierzulande werden mit Abstand am häufigsten Platten aus Polystyrol zur Fassadendämmung genutzt, auch bekannt als Styropor, berichtet „Frontal 21“. Die Platten gelten als besonders billig – und leicht entflammbar. Immer wieder sei es in den letzten Jahren zu Bränden gekommen, in denen Styropor als Brandbeschleuniger gewirkt habe, etwa in Hamburg oder Frankfurt. Dabei seien auch Menschen gestorben. Eine Verschärfung der Vorschriften ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorgesehen.

Reuters

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