Man muss schon zweimal hinschauen, um derzeit auf den bayrischen Feldern den Raps zu erkennen. Wo eigentlich der Raps so hoch wachsen soll, dass sich ein Kind darin aufrecht stehend verstecken kann, wächst er kaum einen halben Meter hoch – überwuchert vom Unkraut. Nachdem das Frühjahr den Bauern eine dreimonatige Trockenzeit bescherte, ist an eine Ernte mit dem Mähdrescher nicht zu denken. Die unterfränkische Mainpost rechnet mit Ernteausfällen von bis zu einhundert Prozent.

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Je mehr die Weltbevölkerung wächst und je häufiger Unwetter für Missernten sorgen, desto wichtiger wird auch die Absicherung von Ernteausfällen. Das trifft auch deshalb zu, weil die Börse Lebensmittel als Spekulationsobjekt entdeckt hat. Wie die amerikanische National Grain and Feed Association berichtete, befinden sich derzeit 60 Prozent aller weltweiten Weizenvorräte in der Hand von Investmentfonds. Und Jim Rogers, amerikanischer Hedgefonds-Star und Bestsellerautor unzähliger Investmentratgeber, prognostizierte bereits im Jahr 2008, dass sich Agrargüter „zum Gold der nächsten Jahre“ entwickeln werden. Dass derzeit weltweit mehr als eine Milliarde Menschen hungern, ist die Kehrseite dieser Entwicklung.

Allianz plant Vollkasko fürs Feld

Da wundert es, dass Deutschland bezüglich der Absicherung von Ernteausfällen noch immer ein Entwicklungsland ist. Policen gegen Hagelschäden werden vielfach angeboten. Doch wer sich auch gegen Dürre, Stürme und Überschwemmungen absichern will, steht auf verlorenem Posten. Die Allianz Versicherung will das nun ändern – mit Hilfe der Wissenschaft und des Staates.

Damit eine Vollkasko für Ackerböden möglich ist, muss sich die Allianz bis ins Weltall begeben. Denn um eine Überwachung der Felder zu gewährleisten, ist Satellitentechnik vonnöten. Ab 2013 plant die Europäische Raumfahrtbehörde ESA, wöchentlich das Netz mit Satellitenbildern zu speisen – Daten, die kostenfrei genutzt werden können. Landwirtschaftliche Flächen mit einer Größe von 15 mal 15 Metern lassen sich so genau erfassen.

Um diese Satellitenbilder in aussagekräftige Daten umzuwandeln, hat sich der Versicherer mit dem Schweizer Softwareunternehmen Sarmap zusammen geschlossen. Dieses soll die Technik dafür liefern, das Ertragspotential landwirtschaftlicher Nutzflächen zu ermitteln – bei jeder Wetterlage und Tageszeit. „Wir sehen sozusagen das Gras wachsen“, erklärt Thomas Heintz, Leiter des Bereichs Agriculture bei der Allianz Re. Die Bilder aus dem All sollen gewährleisten, dass mit wenigen Mausklicks ein Ernteschaden und seine Ursache erfassbar ist.

Schwierige Schadenserfassung bei Agrarversicherungen

Dabei ist es gerade die adäquate Risikoerfassung, die sich bei einer Versicherung von Ernteschäden bisher schwierig gestaltete. Ein Landwirt kann zwar die ungefähre Ertragsmenge eines Feldes prognostizieren, wozu ihm auch Bauchgefühl und Erfahrungswerte dienen. Doch hat vor allem das Wetter während der Wachstumszeit einen Einfluss auf den Ertragswert eines Feldes: ob es regnet oder die Sonne scheint, entscheidet über eine gute oder schlechte Ernte, somit auch über die Höhe eines möglichen Versicherungsschadens. Die Schadensberechnung in der Agrarversicherung – so vage wie die Wetterprognose? „Die Risikoerfassung und -bewertung in dieser Sparte ist schwierig, denn das Ertragspotential und die damit verbundenen Versicherungsleistungen verändern sich im Zuge eines Wachstumszyklus kontinuierlich“, argumentiert auch Argrarwissenschaftler Thomas Heintz auf der Homepage der Allianz.

Zwar kommen bereits Fernüberwachungssysteme mit optischen Sensoren zum Einsatz – doch auch diese stoßen an Grenzen. Denn gerade bei Schäden durch Naturkatastrophen ist es wichtig zu bestimmen, wie hoch das Ertragspotential eines Feldes unmittelbar vor dem Ereignis gewesen ist. Notwendig hierfür ist eine ganzjährige Überwachung der landwirtschaftlichen Nutzflächen – diese soll nun durch die Zusammenarbeit mit der Schweizer Softwarefirma gewährleistet sein. So können bereits im Vorfeld einer sich anbahnenden Katastrophe Maßnahmen ergriffen werden. "Wir können wöchentlich sehen, ob eine Fläche überschwemmt wurde oder unter anhaltender Dürre leidet", betont Thomas Heintz gegenüber der Financial Times Deutschland. "So können wir uns auch besser auf mögliche Schäden einstellen und Schadenreserven aufbauen."

Staatliche Förderung notwendig

Doch ein derart umfassender Versicherungsschutz für Agrarbetriebe kann nur angeboten werden, wenn er staatlich gefördert wird. „Agrarversicherung ist Hochrisikogeschäft“, sagte Clemens von Weichs, Chef der Allianz Rückversicherung, gegenüber der Frankfurter Rundschau. Ohne Förderung müssten Landwirte zehn Prozent Prämie auf den versicherten Wert zahlen – eine derartige Police wäre schlichtweg zu teuer. In Ländern wie den USA oder Indien, wo es bereits umfangreiche Erfahrungen mit der Agrarversicherung gibt, übernimmt der Staat zwischen 50 und 60 Prozent der anfallenden Kosten.

So wirbt die Allianz für ihr Projekt auch mit dem Versprechen, die Landwirtschaft in Zeiten knapper Lebensmittel noch besser planbar zu machen. Von einer „ertragsmaximierenden Präzisionslandwirtschaft“ ist in der Frankfurter Rundschau die Rede – unter anderem könne der Wasserhaushalt der Pflanzen genauer bestimmt werden, so dass eine bessere Schätzung des Düngerbedarfs möglich ist. Agrarwissenschaftler Thomas Heintz gerät ins Schwärmen: „Ein Acker wird ein offenes Buch“. Sogar Hungerkatastrophen ließen sich besser prognostizieren – um rechtzeitig Nahrungsmittelhilfe einzuleiten.

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Dabei hat die Allianz nicht nur den einheimischen Markt im Blick. Gerade in den prosperierenden Schwellenländern erhofft man sich ein nettes Zubrot bei der Rückversicherung von Agrarböden: in Südostasien oder Südamerika sind noch viele Nutzflächen ohne Versicherungsschutz. Die Dienste des Schweizer Erdbeobachtungsdienstleisters Sarmap und die Rechte an der Überwachungssoftware hat man sich hierfür exklusiv garantieren lassen. "Durch diese Technologie können wir den Erstversicherern helfen, Markteintrittsbarrieren zu überwinden
und Agrarversicherung zu wettbewerbsfähigen Preisen anzubieten", betont Thomas Heintz auf der Homepage des Unternehmens.

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