In den letzten Wochen war der Wirtschaftsweise und Sozialwissenschaftler Martin Werding in den Medien präsent: Er gehört zu den mahnenden Stimmen, die eine umfassendere Rentenreform fordern, als sie die Bundesregierung nach jetzigem Kenntnisstand umsetzen will. Die angedachte Reform sei „Klientelpolitik zugunsten der Alten“, da jetzige Rentner-Generationen (bzw. jene, die kurz vor der Verrentung stehen) keinerlei Abstriche machen müssen, während die Beitragszahler zugleich immer stärker belastet werden, argumentierte er etwa gegenüber Medien der Funke Gruppe. Und warnt vor einem Kollaps des Sozialsystems, wenn die Beschäftigten immer stärker belastet werden - bis über die Schmerzgrenze hinweg.

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"Generationenkapital hilft nicht weiter"

Diese Forderungen hat Werding nun in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ bekräftigt. Und er zeigt auf, welche Reformschritte nach seiner Ansicht notwendig wären, um die gesetzliche Rente zu stabilisieren. „Im ersten Schritt bräuchten wir dringend eine Regelung zur ergänzenden Kapitaldeckung. Das von der Bundesregierung geplante Generationenkapital hilft hier nicht weiter“, sagt er. Stattdessen wünsche er sich eine Ersatzlösung für die Riester-Rente.

Was Werding mit „Ersatzlösung für Riester“ meint, erläutert er im Interview nicht. Aber das hat er bereits an anderer Stelle ausgeführt: Er war einer der Wissenschaftler, die für die FDP-Bundestagsfraktion vor der Bundestagswahl das Konzept der Aktienrente mit ausgearbeitet haben. Demnach sollte der Kapitalstock der gesetzlichen Rente nach schwedischem Vorbild so gestaltet werden, dass die Bürgerinnen und Bürger einen Teil ihres Bruttolohns, etwa zwei bis vier Prozent, verpflichtend am Kapitalmarkt anlegen: in Altersvorsorge-Fonds, die bestimmte Kriterien erfüllen müssen. Die daraus erworbenen Ansprüche sollten ihnen im Gegenzug gesetzlich garantiert werden, das heißt, der Staat hat darauf keinen Zugriff. Wie die Bürgerinnen und Bürger ihr Geld anlegen, hat folglich direkt Einfluss darauf, wie hoch ihre Altersbezüge ausfallen - das angesparte Kapital ist, vereinfacht gesagt, ihr individuelles Eigentum.

Diese Pläne scheiterten jedoch am Widerstand der Koalitionspartner. Tatsächlich kommen die Bürgerinnen und Bürger mit Fonds und Aktien nach dem jetzt geplanten Modell gar nicht in Berührung und erwerben daraus keine individuellen Ansprüche. Geblieben ist ein abstraktes Konstrukt, bei dem eine öffentliche Stiftung, wahrscheinlich die KENFO, Geld anlegt, das ihr der Bund leiht. Die Erträge daraus sollen ab Mitte der 2030er Jahre den Rentenbeitrag stabilisieren - und zudem verhindern, dass der Staat hohe Steuermittel in die Rentenversicherung pumpen muss. Das jetzige Modell ist nicht nur ungeeignet, die Bürgerinnen und Bürger an den Aktienmarkt heranzuführen und ihnen aufzuzeigen, wie sie von einem privat aufgebauten Kapitalstock individuell profitieren können. Der Kapitalstock ist nach Einschätzung vieler Ökonomen auch zu klein, um die Rentenversicherung wirksam zu entlasten.

Auch Werding sieht die Notwendigkeit, mehr Geld für den Kapitalstock in die Hand zu nehmen. "Mit einem möglichen Ertrag von zehn Milliarden könnten Sie ab 2035 den Beitragssatz zur Rente um 0,5 Prozentpunkte senken. Schon daran sehen Sie: Das Generationenkapital würde keinen substanziellen Beitrag zur Entlastung der Rentenkassen liefern", sagt er der FR. Dazu kämen ungeklärte Fragen: etwa, ob die verantwortlichen Fondsmanager frei investieren könnten, auch in renditenstarke Titel, oder ob ihnen Grenzen gesetzt seien: zum Beispiel, weil sie die Strukturpolitik oder die ökologische Transformation unterstützen sollen. "Und auch langfristig würden die Aussichten kaum besser. Denn wenn die Erträge – wie vorgesehen – vollständig an die Rentenkassen ausgeschüttet werden, wird es auch keine Zinses-Zinseffekte geben", so Werding.

Erhöhung der Lebensarbeitszeit - unvermeidlich?

Ein weiterer Punkt: Nach Ansicht von Werding werden die Deutschen auch über das 67. Lebensjahr hinaus arbeiten müssen. „Ich sehe keine Möglichkeit, wie wir um eine Erhöhung der Lebensarbeitszeit herumkommen, weil die Lebenserwartung steigt“, sagt er der Frankfurter Rundschau. Eine systemgerechte Anpassung könne folglich nur so aussehen, Renteneintritt und Erwerbsphase entsprechend zu verschieben - "und die relative Länge der Ruhephase so konstant zu halten“, so der Ökonom.

Auch die „Rente mit 63“ müsste nach Einschätzung des Ökonomen sofort abgesetzt werden: Sie erzeuge nicht nur hohe Rentenkosten, sondern würde auch überproportional von Fachkräften genutzt. Doch statt sie abzuschaffen, schlägt Werding einen anderen Weg vor: der auch einen gewissen Ausgleich zwischen Menschen mit hoher und niedriger Rente schaffen würde. Er verweist darauf, dass es oft Beschäftigte mit schweren körperlichen Tätigkeiten sind, die eher einen geringen Lohn erzielen. „Wir erlauben die Rente ab 63 künftig nur noch langjährigen Geringverdienern. Das sind meistens Menschen, die körperlich sehr anspruchsvolle Tätigkeiten ausgeübt haben, häufig auch weniger gesund sind, und eine geringere Lebenserwartung haben. Da wäre ein früherer Renteneintritt eine Frage der fairen Behandlung“, sagt Werding.

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"Um das Rentensystem nachhaltig zu reformieren, müsste man eigentlich nur dem Weg folgen, den wir in der Reformphase zwischen 2001 bis 2007 eingeschlagen haben: Nachhaltigkeitsfaktor, Erhöhung der Regelaltersgrenze und kapitalgedeckte Zusatzvorsorge", so das Fazit des Wirtschaftsweisen. Mit anderen Worten: Werding empfiehlt, sich an den Reformen unter den Regierungen von Gerhard Schröder (SPD) zu orientieren.

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