Heute ist es soweit: Die Bundesregierung will das seit Monaten angekündigte Rentenpaket vorstellen. Also jene Reform, mit dem die gesetzliche Rentenversicherung zukunftsfest gemacht werden soll: keine leichte Aufgabe, da doch immer weniger Beitragszahler immer mehr Ruheständlern gegenüber stehen. Deutschland hat die älteste Bevölkerung innerhalb der Europäischen Union und die achtälteste Bevölkerung weltweit. Nun muss der Spagat gelingen, zukünftige Beitragszahler nicht zu stark zu belasten - und dennoch das Rentenniveau auf einem halbwegs akzeptablen Wert zu halten.

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Doch schon im Vorfeld wird Kritik am sogenannten Rentenpaket II laut. Die fast einhellige Einschätzung von Experten: Die Bundesregierung reformiert nicht genug und klebt nur ein Pflaster drauf, wo eigentlich eine große Wunde klafft. Es sei ein „weiter so“, wo eigentlich größere Reform notwendig wäre.

Rentenniveau soll langfristig festgeschrieben werden

Konkret plant die Bundesregierung, das Rentenniveau -als stark vereinfachend das Verhältnis von Durchschnittslöhnen zur Durchschnittsrente- langfristig festzuschreiben. Bis weit in die 2030er Jahre hinein soll das Rentenniveau bei mindestens 48 Prozent des Durchschnittseinkommens stabilisiert werden. Im Gegenzug sollen die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht übermäßig angehoben werden. Allerdings müsste der Beitragssatz zur Rente von jetzt 18,6 Prozent auf 22 Prozent im Jahr 2040 steigen, um die Pläne der Ampel-Regierung zu finanzieren, so rechnet das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln vor. Und dennoch müssten die Steuerzuschüsse enorm angehoben werden. Eine Folge davon, dass im Umlageverfahren die gezahlten Beiträge der Rentenversicherten direkt auf das Konto der Rentnerinnen und Rentner fließt.

Doch auch beim Umlageverfahren will die Ampel-Regierung nachbessern. Ein Kapitalstock soll aufgebaut werden, verwaltet von einer öffentlichen Stiftung. Das Geld will der Bund der Stiftung leihen, sie soll es am Kapitalmarkt anlegen. Ab Mitte der 2030er Jahre sollen die Kapitalerträge -und nur diese- dann genutzt werden, um Beitragszahler zu entlasten, und nach und nach der Rentenversicherung zufließen.

“Rentensystem, das uns in den Abgrund führen wird“

Doch reicht das, um die Rente zukunftsfest zu machen - und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Rente zu stärken? Aus dem „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“, besser bekannt als die „Wirtschaftsweisen“, kommen gleich mehrere kritische Stimmen. Ulrike Malmendier kritisierte in der Zeit, dass die Reformbereitschaft in der Regierung bei vielen Politikern nicht hoch sei und man das Risiko scheue. Und sie findet drastische Worte. „Die bleiben lieber bei dem Rentensystem, das wir kennen – und das uns in den Abgrund führen wird, weil es einfach nicht finanzierbar sein wird, weil die junge Generation sich für die ältere zu Tode bezahlen wird“, warnt sie.

Ähnlich äußerte sich der Wirtschaftsweise Martin Werding. Die Rentenpläne der Bundesregierung reichten einfach nicht aus, sagte er am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin. Er hoffe insbesondere, dass in dieser Legislaturperiode noch etwas in Richtung private Altersvorsorge passiere. „Das kann und muss man tun“, positionierte sich der Ökonom.

Werding ärgert sich vor allem darüber, dass von den ursprünglichen Plänen der FDP zur Aktienrente nicht viel übrig geblieben ist. Ursprünglich war geplant, dass die Bürgerinnen und Bürger verpflichtend zwei Prozent ihres Bruttoeinkommens in eine kapitalgedeckte und aktienbasierte Altersvorsorge investieren - nach dem Vorbild des schwedischen Staatsfonds. Die Bürgerinnen und Bürger hätten dann direkt von diesem Geld profitiert, es wäre ihr Eigentum gewesen: Sie hätten, wenn sie wollten, auch mehr Geld in diese Vorsorge stecken können. Doch von diesem Konzept ist nicht viel übrig. Nun soll ein öffentlicher Fonds die Gelder ansparen, um sie später in das Rentensystem zu geben: Die Bürgerinnen und Bürger erwerben aus dem sogenannten Generationenkapital keinerlei individuellen Ansprüche.

Aber Werding fand auch positive Worte. “Das ist im Grunde der Weg, mit einer geänderten Altersstruktur langfristig vorzusorgen“, sagte er. Die Reformen würden schlicht nicht ausreichen. Die Wirtschaftsweisen hatten in ihrem Jahresgutachten 2023/24 einen umfassenden Reformkatalog vorgelegt, der unter anderem die Anpassung des Rentenalters an die steigende Lebenserwartung, einen Staatsfonds nach Schwedischem Vorbild und eine progressive Rentenberechnung vorsieht - Menschen mit geringem Einkommen sollen demnach künftig höhere Rentenanwartschaften erwerben.

Bert Rürup: Rentner finanzieren ihre eigene Rentenerhöhung

Auch Bert Rürup, einstiger Vorsitzender der Wirtschaftsweisen, äußert Kritik. Er stört sich an der Festschreibung des Rentenniveaus bei 48 Prozent - und anderen Garantiezusagen, die die Bundesregierung gegenüber Bürgerinnen und Bürgern machen will. Das Rentensystem habe fünf Stellschrauben, sagte er dem „Tagesspiegel“: Beitragssatz, Rentenniveau, Regelaltersgrenze, Steuerzuschuss und Renteneintrittsalter. „Wenn man eine oder gar mehrere dieser Stellschrauben fixiert, wird es zunehmend schwieriger, das System ohne gravierende Verwerfungen nachhaltig zu finanzieren“, so Rürup. Absehbare Folge sei, dass immer mehr Steuergelder in das Rentensystem fließen müssten. Den höheren Zuschuss finanzieren die Rentnerinnen und Rentner sogar zunehmend selbst mit, wenn die Besteuerung der Renten bis 2040 auf 100 Prozent steige, betonte Rürup.

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Die zunehmende Besteuerung der Renten führt laut Rürup zu dem Paradoxon, dass die Rentnerinnen und Rentner über ihre gezahlten Steuern die eigene Rentenerhöhung mitfinanzieren: zumindest jene mit entsprechend hohen Rentenbezügen. Hier könnte man einwenden, dass dies durchaus im Sinne der erwerbstätigen Beitragszahler ist. Die Aktienrente hält Rürup im Prinzip für richtig, sagt aber auch: „Die Aktienrente kommt viel zu spät“. Solche kapitalgedeckten Systeme beruhen auf dem Zinseszinseffekt. „Es braucht eine Ansparphase von mindestens 15 Jahren, bis ein solches System nennenswerte Erträge abwirft", so der Ökonom.

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