Wie kann die Altersvorsorge in Deutschland gestärkt werden? Um das zu klären, hat die Bundesregierung zunächst nach einem altbekannten Motto gehandelt: „Und wenn du nicht mehr weiterweißt, dann gründe einen Arbeitskreis!“ Das Bundesfinanzministerium hat eine sogenannte Fokusgruppe unter der Leitung von Staatssekretär Florian Toncar ins Leben gerufen.

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Bis zum Sommer 2023 sollte die Gruppe zum einen die Möglichkeit eines öffentlich verantworteten Fonds prüfen, der ein unverbindliches, kostengünstiges und effizientes Angebot für die private Altersvorsorge bietet. Zum anderen soll die Fokusgruppe die Möglichkeit einer gesetzlichen Anerkennung von privaten Produkten prüfen, die eine höhere Rendite erzielen, als auf Basis der heutigen Riester-Verträge möglich ist. Und tatsächlich liefert die Gruppe pünktlich ab. Soeben hat sie ihren Abschlussbericht vorgestellt, der Grundlage für die Reform der Altersvorsorge in Deutschland werden soll.

Vertreter der Rentenversicherung und BaFin nur Zuschauer in Expertengruppe

Die Fokusgruppe versammelte allerlei bekannte Namen, darunter GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen, Dorothea Moon vom Verbraucherzentrale Bundesverband, Vertreter der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der Finanzwissenschaft und der Bundesministerien. Etwas verwunderlich ist, dass die Deutsche Rentenversicherung, die Finanzaufsicht BaFin und die Bundesbank nur als Gäste geladen waren, sich aber nicht einbringen konnten. Schließlich bilden die gesetzlichen Rententräger noch immer das Fundament der deutschen Altersvorsorge, bei ihr wäre wohl auch ein öffentlich verwalteter Staatsfonds angesiedelt gewesen. Doch in der Expertengruppe, die von Florian Toncar (FDP) geleitet wurde, hatten Vertreter der gesetzlichen Rente exakt keine Stimme.

Und so ist ein wichtiges Ergebnis des Abschlussberichtes: einen Staatsfonds nach dem Vorbild von Schweden oder Norwegen wird es in Deutschland nicht geben. Durchsetzen konnten sich hingegen jene, die für eine Reform der Riester-Rente plädieren, aber am bestehenden Riester-Modell festhalten wollen: trotz aller Kritik an den hohen Kosten und der Transparenz der Produkte. Die Fördermöglichkeiten sollen sogar noch ausgebaut werden, sodass bald noch mehr öffentliches Geld in die private Altersvorsorge fließen könnte. So schlägt die Kommission unter anderem eine Dynamisierung der Förderung vor, sodass diese regelmäßig steigt. Zwar hat der Abschlussbericht der Gruppe nur Empfehlungscharakter: Aber die Bundesregierung hat bereits signalisiert, dass sie sich an den Vorschlägen bei ihrer Rentenreform orientieren will.

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Für die private Versicherungswirtschaft ist das eine gute Nachricht: Sie hätte im Falle eines Staatsfonds um einen Großteil ihres Neugeschäftes fürchten müssen. In Schweden zum Beispiel fließen – verpflichtend – 2,5 Prozent des Lohns einer jeden Person mit gesetzlichem Rentenanspruch über die so genannte „Prämienrente“ in die kapitalgedeckte Altersvorsorge. Diese Gelder können entweder in eine vorgegebene Auswahl von etwa 800 Anlageprodukten investiert werden oder in den Staatsfonds AP7. Und das ist sehr günstig: Im Jahr 2022 hatte der Schwedische Staatsfonds Verwaltungskosten von nur 0,1 Prozent.

Riester-Reform: mehr Risiko, weniger Regeln für Verrentung

Was schlagen nun die Expertinnen und Experten vor, um die Rente in Deutschland zukunftsfest zu machen? Die private Altersvorsorge solle „grundlegend“ reformiert werden, so fasst Finanzstaatssekretär Toncar die Ergebnisse zusammen. Beim genauen Blick auf die Ergebnisse fällt aber auf, dass die Kommission doch am bisherigen Modell festhalten will: und größere Reformen ausbleiben.

Nicht zu erwarten war, dass die Arbeitsgruppe vom 3-Säulen-Modell der Altersvorsorge in Deutschland aus öffentlicher, privater und betrieblicher Vorsorge abrückt. Doch statt neuer Modelle der Vorsorge laufen die Vorschläge auch bei der Privatvorsorge darauf hinaus, Korrekturen am Status Quo vorzunehmen. Riester soll erhalten bleiben, wenn auch in veränderter Form.

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Konkret schlägt die Fokusgruppe folgende Neuerungen bei der Riester-Rente vor:

  • Die „klassische“ Riester-Rente soll weiterhin angeboten werden, aber einen neuen Namen erhalten. Denn sie hat ein Imageproblem. Zwar sind über 16 Millionen Verträge abgeschlossen, doch seit Jahren stagniert das Neugeschäft und die Zahl der Verträge war zuletzt sogar rückläufig. Rund ein Fünftel sind nach Schätzungen des Bundesarbeitsministeriums ruhend gestellt, werden also nicht mehr bespart und mit Beiträgen bedient. Das liegt auch daran, dass Riester wiederholt kritisiert wird und wurde: aufgrund angeblich hoher und intransparenter Kosten, intransparenter Produkte und einem bürokratischen Förder-Prozedere.
  • Die Riester-Förderung steht grundsätzlich nicht zur Debatte: Soll aber vereinfacht werden. Eine Idee hierbei ist es, die Höhe der Förderung nicht mehr vom Einkommen abhängig zu machen, sondern vom gezahlten Beitrag. Denn die volle Förderung erhält aktuell nur, wer mindestens vier Prozent seines Vorjahreseinkommens als Mindesteigenbeitrag entrichtet. Viele Sparer seien überfordert, hier die Beiträge anzupassen. Der Fokusgruppe ist bewusst, dass bei diesem Vorschlag ein Gerechtigkeitsproblem droht: Menschen mit hohen Einkommen, die viel Geld in die Riester-Rente stecken können, werden dann stärker mit Steuergeldern gefördert als Geringverdienende. Hier sollen Matching-Zonen helfen, dass Geringverdiener eine anteilig höhere Förderung erhalten als Gutverdiener. Auch Kulanzregeln könnten unterstützend wirken: So solle etwa die volle Zulage ausgezahlt werden, wenn der Kürzungsbetrag weniger als 25 Euro betragen würde. Die Kinderzulage solle für Eltern voll gewährt werden, unabhängig vom gezahlten Beitrag, um Familien besser zu fördern.
  • In der Ansparphase soll den Versicherern und Altersvorsorge-Anbietern erlaubt sein, mehr Risiko zu gehen, um höhere Renditen erzielen zu können. Und das bedeutet auch: Ihnen soll erlaubt werden, weniger Garantien anbieten zu müssen. Hier sollen Sparerinnen und Sparer ihr Risiko wählen können: empfohlen werden nach Risiko gestaffelte Produkte, bei denen zum Beispiel 60 Prozent oder 80 Prozent der eingezahlten Beiträge garantiert sind. Bedeutet im Umkehrschluss auch, dass die Sparenden nicht einmal die eingezahlten Beiträge sicher haben.
  • Mehr Freiheit sollen die Anbieter auch in der Rentenphase erhalten. Statt gleichmäßiger monatlicher Zahlungen soll ihnen künftig erlaubt sein, zu Beginn der Rentenphase höhere Beträge auszuzahlen - und diese mit fortschreitender Dauer der Rente zu reduzieren. Nicht thematisiert wird im Bericht, dass damit auch der Versicherungs-Charakter der Verträge auf dem Spiel steht: nämlich, dass sich die Sparenden auf eine gleichbleibend hohe Rente bis zu ihrem Tod verlassen können. Die Absicherung des Langlebigkeits-Risikos ist ein von Branchenvertretern oft gebrachtes Argument für die Riester-Rente. Die Expertengruppe schlägt sogar vor, auf die Pflicht zur Zahlung einer lebenslangen Rente komplett zu verzichten.
  • Kostentransparenz soll ein Online-Vergleichsportal bringen, bei dem die Kundinnen und Kunden sowohl Abschluss- als auch Verwaltungskosten vergleichen können. Vergleichbarkeit und Transparenz der Kosten soll durch die verbindliche Angabe der Renditeminderung durch Kosten gewährleistet werden. Die Arbeitsgruppe will folglich am Prinzip der Effektivkosten festhalten, wonach Anbieter ausweisen müssen, wie stark die Kosten die Rendite mindern. Hier hatten Verbraucherschützer wiederholt moniert, dass dieses Prinzip für Laien schwer verständlich sei.
  • Die Expertengruppe schlägt zudem vor, den Wechsel zwischen den Anbietern sowohl in der Anspar- als auch Rentenphase zu erleichtern. Das soll den Wettbewerb stärken. Ferner könnte auf Abschlusskosten beim Wechsel von Altersvorsorgeprodukten und Anbietern verzichtet werden. Ob dies verpflichtend angedacht ist, sodass die Vorsorgeanbieter keine neuen Abschlussgebühren bei einem Wechsel des Produktes erheben dürfen, oder ob das eine freiwillige Option ist, lässt der Abschlussbericht offen.

Altersvorsorgedepot: neues Instrument der Förderung

Neben den bestehenden Möglichkeiten, staatlich gefördert für das Alter vorzusorgen, schlägt die Fokusgruppe auch neue Formen der Förderung vor. So soll es künftig möglich sein, staatlich gefördert in Fonds und ETFs zu investieren. Bedingung für die Förderung soll sein, dass die Sparenden ihr Depot bis zum Renteneintritt halten. „Grundsätzlich ist daher zukünftig auch ein förderfähiges privates Altersvorsorgedepot mit einer starken Aktienorientierung ohne Garantievorgaben sinnvoll“, empfiehlt die Expertengruppe im Bericht. Auch dieses Depot sollen ausschließlich private Vorsorgeanbieter bereitstellen dürfen.

Warum aber die starke Abneigung gegen eine Staatsfonds-Lösung wie in Norwegen und Schweden? Diese haben mit 0,05 Prozent bzw. 0,1 Prozent enorm niedrige Verwaltungskosten und arbeiten sehr erfolgreich. Hier konnten sich offenbar die Arbeitgeber und die Versicherungswirtschaft mit ihren Argumenten durchsetzen. Die -auch im internationalen Vergleich- recht hohen Kosten deutscher Altersvorsorgeverträge seien „in hohem Maße gesetzlichen Auflagen geschuldet, die für die angeführten Staatsfonds-Vorbilder im Ausland nicht gelten“, argumentiert der Arbeitgeberverband BDA in einer Stellungnahme. Dies gelte z. B. für die Verpflichtung, eine lebenslange Rentenleistung zu gewährleisten, diverse aufsichtsrechtliche Verpflichtungen, aber auch Regelungen wie die Vorgabe einer Entnahmemöglichkeit zur Verwendung für die eigene Wohnung. Auf die hohen Vertriebskosten geht der Verband nicht ein.

“Ein staatlicher Fonds hätte nicht nur keine Vorteile gegenüber privaten Anbietern, sondern würde auch Gefahren mit sich bringen. Insbesondere besteht bei einer staatlichen Trägerschaft stets die Gefahr, dass die Regeln der Kapitalanlage je nach politischer Opportunität geändert werden, z. B. um gewünschte Investitionen zu finanzieren, die Privatisierung von Staatsunternehmen zu erleichtern oder um Start-ups zu finanzieren“, argumentiert der BDA weiter. Im übrigen bedeute ein Staatsfonds „eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung zulasten privater Anbieter, schon weil in diesem Fall der Staat für die notwendige Eigenkapitalausstattung sorgen würde, die private Anbieter selbst aufbringen müssen“, so der BDA.

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Eine große Reform wird es folglich nicht geben, wenn sich die Bundesregierung am vorliegenden Expertenbericht orientiert. Stattdessen Korrekturen am Riester-Modell und eine Ausweitung der staatlichen Förderung. Im Bericht macht sich die Arbeitsgruppe mehrfach die Mühe, die bestehenden Modelle als Erfolg zu preisen. Vor allem Geringverdiener, Frauen und Familien würden von der Riester-Rente profitieren, heißt es da. Doch das stimmt nur zum Teil. Zwar hat fast jeder dritte Geförderte ein Jahreseinkommen von weniger als 20.000 Euro. Doch bei Geringverdienern ist die Riester-Rente deutlich weniger verbreitet: Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin haben nur 16,6 Prozent der Menschen im unteren Einkommens-Dezil einen entsprechenden Vertrag.

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