Mit ihrer Ankündigung, ein Provisionsverbot für Kapitalanlageprodukte einzuführen, löste die EU-Kommission erneut eine Debatte um Für und Wider von Provisionen im Vertrieb aus. Gegner und Befürworter eines solchen Provisionsverbots brachten sich in Stellung.

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So zeigte eine Studie der Universität Regensburg, dass OECD-Länder mit einem Provisionsverbot zwischen 1997 und 2020 eine durchschnittliche Rendite von 1,7 Prozent pro Jahr erzielten. Dies könne sich im Laufe von 40 Jahren auf eine Erhöhung des Vermögens um 50 Prozent (bei kontinuierlichen Sparplänen) bis zu 90 Prozent (bei Einmalanlagen zu Vertragsbeginn) summieren. Die Forscher sehen dies als klaren Beweis für die Vorteile eines Provisionsverbots. Die Studie wurde auch in einem Podcast der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg vor Veröffentlichung besprochen.

Allerdings gab es aus der Versicherungsbranche starke Kritik an den Ergebnissen der Regensburger Forscher. Martin Klein, Vorstand von Votum, bemängelte methodische Fehler und eine unzureichende Datenbasis der Studie. Er betonte, dass diese nicht die Vermögenssituation einer repräsentativen Anzahl von Haushalten erfasst und die Entwicklung vor und nach der Einführung eines Provisionsverbots vergleicht. Ohne solche Daten könne kein seriöser kausaler Zusammenhang mit einer solchen Einzelmaßnahme hergestellt werden.
Zusätzlich wies Matthias Beenken, Professor an der Fachhochschule Dortmund, darauf hin, dass die Studienautoren Steffen Sebastian, Albert Grafe und Lukas Noth die Kosten für Beratungshonorare in ihrer Studie außer Acht ließen.

Diese Kritik betrachtet Prof. Dr. Steffen Sebastian als „gegenstandslos“. Deshalb wurde vom methodischen Ansatz bei einem kürzlich veröffentlichten Update zur Studie nicht abgerückt. Dessen Tenor: Der Verzicht auf ein Provisionsverbot würde einen hohen Vermögensschaden für die EU-Länder nach sich ziehen. „Europaweit entsteht ein Schaden von 375 Mrd. Euro. Allein für Deutschland sind dies 98 Mrd. Euro – und zwar Jahr für Jahr. Das entspricht pro Haushalt einem Verlust von etwa 2.400 Euro jährlich“, wird Professor Sebastian bei procontra-online zitiert.

Noch vor Veröffentlichung dieses Updates übersandte Versicherungsbote dem Regensburger Professor einen Fragenkatalog. Nun liegen die Antworten vor:

Versicherungsbote: In Ihrer bisherigen wissenschaftlichen Laufbahn haben Sie sich beinahe ausschließlich auf den Immobiliensektor fokussiert. Woher stammt Ihr Interesse am Provisionsvertrieb im Versicherungssektor? Wer hat die Studie beauftragt und finanziert?

Prof. Dr. Steffen Sebastian: Ich habe am Lehrstuhl für ABWL, Risikomanagement und Risikotheorie, Portfolio Management und Versicherungswirtschaft an der Universität Mannheim als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Albrecht, Gründungsvorstand und ehemaliges Vorstandsmitglied der Deutschen Aktuarvereinigung, gearbeitet und promoviert. Danach war ich Akademischer Rat und Habilitand am Lehrstuhl für Investment, Portfolio Management und Alterssicherung bei Prof. Dr. Dr. h. c. Maurer an der Goethe-Universität Frankfurt. Hier bestanden intensive Kontakte insbesondere mit dem BVI und seinen Mitgliedern.
Im Rahmen meiner Tätigkeit an der Universität Regensburg habe ich intensiven Austausch mit Versicherungsunternehmen und anderen institutionellen Investoren, die direkt oder indirekt in Immobilien investieren. Unter anderem habe ich intensiv über Offene Immobilienfonds geforscht. Bei diesen, aber auch bei geschlossenen Immobilienfonds, Bausparverträgen, anderen immobiliennahen Anlagen und Immobilienfinanzierungen spielt der Vertrieb und dessen Regulierung eine sehr wichtige Rolle. Aufgrund der o. a. Berufs- und Forschungserfahrung findet sich die Regulierung des Vertriebs immer wieder in meiner Forschung, Lehre und Wissenschaftskommunikation wieder. Konkret habe ich mich bereits 2012 im Kontext der Regulierung von Offenen Immobilienfonds gegen den Provisionsvertrieb ausgesprochen („Gute Regulierung geht besser“ Immobilienzeitung 46/2012).
Die Studie hat niemand beauftragt oder finanziert. Sie ist Teil meiner freien und unabhängigen Forschung.

Ihre Studie wurde am 05. April 2023 veröffentlicht. Am 04. April waren Sie bereits zu Gast im Podcast der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg und sprachen dort über Teilergebnisse der Studie. Welche Verbindungen bestehen zwischen Ihnen und der Verbraucherzentrale und seit wann?

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Mit der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg als auch mit der Verbraucherzentrale Bundesverband, aber auch mit anderen Interessensvertretern wie etwa BVI, BIIS, ZIA oder gif besteht seit Jahren ein anlassbezogener inhaltlicher Austausch über Sachthemen mit Immobilien- und/oder Finanzierungsbezug. Weder die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg noch der Verbraucherzentrale Bundesverband haben unsere Forschungen finanziell unterstützt.

„Wir bedienen uns keinem Narrativ“

Sie schreiben in der Studie selbst, dass auf die Rendite des angelegten Vermögens abgestellt wird. Ist Rendite aus Ihrer Sicht der einzige Maßstab, an dem sich ein Altersvorsorge-Produkt messen lassen muss?

Insbesondere auf lange Sicht ist die Rendite eine der wesentlichen Kernindikatoren des Anlageerfolgs. Weitere, insbesondere individuelle Faktoren (z.B. Risikopräferenzen oder asset-liablility matching), werden durch die Aggregation gemittelt, daher berücksichtigt die Analyse den gesamtvolkswirtschaftlichen Effekt und nicht kleinere, individuelle Investorengruppen.

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Im Podcast sagen Sie, dass Deutschland der ideale Kandidat für die erfolgreiche Einführung eines Provisionsverbots wäre. Das begründen Sie mit den Teilergebnissen aus Ihrer Studie, dass Länder mit starken Sozialsystemen und hohem Bildungsstand eher ein solches Verbot einführen. Gleichzeitig erwähnen Sie aber nicht, dass Ihre Studie auch zu dem Ergebnis führt, dass ein hoher Anteil der weiblichen Bevölkerung die Aussicht auf ein Provisionsverbot verringert. Warum nicht?

Naturgemäß kann in einem zeitlich begrenzten Podcast immer nur ein Teil der Inhalte eines komplexen Papers berichtet werden. Der Schwerpunkt liegt auf den Auswirkungen der Einführung eines Provisionsverbots und nicht auf der Wahrscheinlichkeit der Einführung, die wir aus wissenschaftlichem Interesse gleichsam untersucht haben, deren Ergebnisse wir aber für die politische Entscheidungsfindung für weniger relevant halten.

In Ihrer Studie stellen Sie darauf ab, dass Untersuchungen gezeigt haben, dass Finanzberater weiblichen Kunden teurere Produkte empfehlen als Männern. Welche Ursachen ziehen Sie dafür in Betracht?

Mögliche Faktoren können sie dem Aufsatz von Bucher-Koenen „Fearless Woman: Financial Literacy and Stock Market Participation” entnehmen. Diese Autor:innen sind sehr aktiv auf dem Gebiet der genderbezogenen Finanzforschung und haben hierzu auch weitere Artikel hierzu veröffentlicht, z. B. Bucher-Koenen, T., Lusardi, A., Alessie, R. und van Rooij, M. (2017).

In Ihrer Studie heißt es: „Frauen geben an, dass sie es vorziehen, Entscheidungen zu delegieren, scheinen sich aber der damit verbundenen höheren Kosten nicht bewusst zu sein.“ Welche weiteren Erklärungen - außer dem unterstellten Umstand, dass Frauen die Konsequenzen ihres Handelns nicht überblicken könnten - halten Sie für denkbar?

Auch hier verweise ich auf die genannten Autor:innen.

In Ihrer Studie heißt es: „Nach (Bleuthgen, 2008) korreliert der Männeranteil positiv mit dem Aktienanteil des jeweiligen Portfolios.“ Dazu schreiben Sie: "...unsere Ergebnisse überraschen nicht, werfen aber ein Licht auf potenziell gefährdete Gruppen, die einen stärkeren Schutz durch strenge Rechtsvorschriften wie ein Provisionsverbot benötigen.“ Was entgegnen Sie Kritikern, die darin das Narrativ der schutzbedürftigen Frau aufschimmern sehen?

Weitere wissenschaftliche Artikel beschäftigen sich bereits mit dieser Thematik, hierfür können wir Ihnen das zitierte Paper von Bleuthgen (2008) oder die Artikel von Bucher-Koenen (2021) empfehlen.
Wir bedienen uns keinem Narrativ, sondern referieren auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse unserer Kolleg:innen.

Kritik an Ihrer Studie entzündet sich auch am methodischen Ansatz: Sie würden die Entwicklung gröbster makroökonomischer Aggregate vergleichen und die Differenzen kausal auf Provisionsverbote zurückführen. Was entgegen Sie darauf? Woher kommt die Kausalität?

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Um den Effekt von einem Provisionsverbot auf die gesamte Volkswirtschaft abzuschätzen, ist es unzulässig, fallbezogene, anekdotische Evidenz heranziehen. Ein Provisionsverbot hat potenziell vielfältige Auswirkungen in der Volkswirtschaft eines Landes. Dementsprechend ist die Fragestellung grundsätzlich makroökonomisch. Dieser makroökonomische Gesamteffekt entsteht durch Finanzentscheidungen auf der Haushaltsebene.
Das verwendete two-ways fixed effects model ist ein weitverbreiteter wissenschaftlicher Ansatz, um solche Effekte empirisch zu schätzen. Dieser basiert auf der Beobachtung von Veränderungen von Ländern mit Provisionsverbot versus Ländern ohne Provisionsverbot und ist eine gewichtete, panelbasierte Variante vom differences-in-differences estimator. Sie hat den Vorteil, dass hierdurch konstruktionsbedingt alle möglichen Unterschiede zwischen den Ländern inkl. der zeitlichen Entwicklung berücksichtigt werden.
Die verschiedentlich öffentlich geäußerte Kritik an unserem methodischen Ansatz ist aus unserer Sicht gegenstandslos. Wir haben daher auch keinen Anlass gesehen, bei dem kürzlich veröffentlichten Update methodische Änderungen vorzunehmen.

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