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ein Gastkommentar von Udo Rummelt, Gesellschafter des Leipziger Maklerpools Invers GmbH

IDD - Staatssekretär Gerd Billen ohne Vorstellungskraft zur Praxis?

Ist Herr Billen einer jener Staatssekretäre, die tatsächlich meinen, dass Verbraucherschutz genau so betrieben wird, wie er auf dem Papier steht? Wenn ja, dann verdrängt Billen, dass die Praxis ganz anders läuft. Zwei Beispiele für den Herrn Staatssekretär:

Praxis-Fall "A"

Herr Meier (31 Jahre jung, verheiratet, 2 Kinder) erhält von einem Versicherungsberater eine Beratung zur Altersvorsorge. Empfohlen wird vom Versicherungsberater eine Rentenversicherung zum Nettotarif mit 36 Jahren Laufzeit (EA 67) und 200 Euro Monatsbeitrag. Die Beitragssumme der Rentenversicherung beläuft sich auf 86.400 Euro. In Ermangelung einer Honorarordnung oder sonstiger verpflichtender Berechnungsgrundlagen für Honorare berechnet der Versicherungsberater fünf Prozent der Beitragssumme als Honorar, mithin 4.320 Euro zuzüglich 19 Prozent Umsatzsteuer (821 Euro), insgesamt also 5.141 Euro.

Herrn Meier erläutert der Versicherungsberater, dass er durch den tollen Nettotarif die Beratung quasi umsonst erhält und noch Gewinn macht, da der Nettotarif derart vorteilhaft ist, dass er in 36 Jahren ca. 9.000 Euro mehr Leistung erhält. Herr Meier erkennt sofort die Chance auf fast 4.000 Euro Gewinn, der bei Abschluss eines courtagepflichtigen Vertrages bei einem Versicherungsmakler in dieser Art "vermeintlich" nicht angefallen wäre.

Was Herr Meier dabei alles nicht erkennt

  • Das Bruttohonorar von 5.141 Euro bedeutet unter Berücksichtigung der historischen Inflation auf die Laufzeit von 36 Jahren, dass Herr Meier eigentlich 11.023 Euro bezahlt und sich damit ein Minusgeschäft von ca. 2.000 Euro eingefangen hat (Quelle: finanzen-rechner).
  • Herr Meier wird in 14 Monaten arbeitslos werden und den Vertrag dann aus finanzieller Notsituation heraus kündigen. Eingezahlt hat er bis dahin 2.800 Euro + 5.141 Euro Beratungshonorar – in Summe also 7.941 Euro. Der Rückkaufswert dürfte bei einem Nettotarif um die 2.500 Euro liegen. Der Gesamtverlust von Herrn Meier beträgt also in diesem Fall ca. 5.440 Euro. Ja, ein tolles Geschäft - nur nicht für Herrn Meier! Denn jetzt verdient plötzlich nicht nur der Versicherungsberater völlig unabhängig vom Schicksal des Vertrages, sondern auch der Staat hat seine 19 Prozent Umsatzsteuer (821 Euro) sicher im Säckel.
  • Herr Meier hätte eine Altersvorsorge ohne die Kosten eines Versicherungsmantels wählen können.
  • Eine wirklich schöne neue Welt für die Verbraucher!?

Praxis-Fall "B"

Herr Meier wendet sich wegen seiner Altersvorsorge an einen Versicherungsmakler. Bekanntlich sollen Versicherungsmakler zukünftig ausschließlich vom Versicherer bezahlt werden, wie es die zukünftige Gewerbeordnung vorschreiben soll. Der Versicherungsmakler ist gleichzeitig auch freier Finanzanlagenvermittler. In dieser Doppel-Eigenschaft empfiehlt der Versicherungsmakler/Finanzanlagenberater Herrn Meier angesichts seiner familiären Situation zuvorderst eine Risikolebensversicherung zur Absicherung des Todesfallrisikos (eine ausreichende BU und UV ist bereits vorhanden) und einen aktiv gemanagten Aktienfonds-Korb mit Airbag zur Altersvorsorge. Herr Meier hat für diese Beratung die Zeit des Versicherungsmaklers/Finanzanlagenvermittlers an zwei Tagen jeweils fast 3 Stunden in Anspruch genommen.

Anschließend findet Herr Meier im Internet bei einem Versicherungsberater-Fintech ein seiner Meinung nach unschlagbares Angebot. Er müsse nur eine Fondsgebundene Lebensversicherung abschließen, die ja auch auf Aktien basiere, ebenfalls eine (wenn auch kleinere) Todesfallsumme beinhaltet und das alles auch noch in einem einzigen Vertrag. Doch der Clou ist, dass Herr Meier nur eine Honorarvereinbarung unterschreiben muss, die dann vom Fintech dem Versicherer vorgelegt wird. Dann erhält Herr Meier eine Gutschrift auf sein Beitragskonto in Höhe von 80 Prozent der für den Vertrag vorgesehenen Provisionen und sonstigen Zuwendungen - so verspricht es großvolumige Werbung auf der Internetseite des Fintech-Versicherungsberaters. Das Beratungshonorar des Fintechs ist auf Grund der tollen Digitalisierung eher als gering einzustufen. Herr Meier ist total begeistert und nutzt dieses herausragende Angebot.

Praktische Effekte daraus

  • Der Versicherungsmakler hat mindestens 6 Stunden (ohne Vorbereitungszeit) völlig umsonst gearbeitet.
  • Herr Meier hat den falschen Vertrag – völlig am eigentlichen Bedarf vorbei, den der Versicherungsmakler richtig ermittelt und erkannt hatte.
  • Das Fintech wird für die "Beratung" kaum haften, denn auf dieselbe hat Herr Meier in Textform auf der Internetseite verzichtet, da er sonst dort hätte nicht abschließen können.
  • Eine wirklich schöne neue Welt für die Verbraucher!?

Weitere Praxis Beispiele

Diese Fälle lassen sich beliebig fortsetzen, ganz unabhängig davon, um welchen Versicherungsbereich es sich handelt. Weitere Beispiele:

  • Wie oft wird ein Versicherungsberater feststellen, dass wiederholter Beratungsbedarf bei Herrn Meier besteht? Stets wird dann Beratungshonorar fällig, stets verdient der Staat an der dann ebenfalls fälligen Umsatzsteuer - zusätzlich (!) zur Versicherungssteuer.
  • Was, wenn Herr Meier später doch zu einem Versicherungsmakler oder anderen Versicherungsvermittler wechseln möchte, weil er es leid ist stets neue Beratungshonorare zahlen zu müssen? Die Verträge sind dann netto, eine Entlohnung des Versicherungsmaklers über Courtage ist daher nicht möglich. Und eine Entlohnung über ein gegebenenfalls geringeres Honorar ist einem Versicherungsmakler verboten. Welcher Versicherungsmakler / Versicherungsvermittler kann umsonst arbeiten?
  • Was, wenn die Versicherer beschließen die Courtagen (gleich in welchem Bereich) zu senken? Müssen dann alle Versicherungsmakler aus wirtschaftlichen Gründen aufgeben? Der Versicherungsmakler als Interessenvertreter seiner Kunden in 100 Prozent wirtschaftlicher Abhängigkeit von den Produktgebern? Ist das Verbraucherschutz?

IDD Umsetzung - Theorie, Praxis, Interessen und "Feuer unterm Hintern"

Gut in Theorie gedacht ist in Praxis nicht gut gemacht! Der ganze Referentenentwurf zur Umsetzung der IDD in deutsches Recht stinkt meiner Meinung nach regelrecht zum Himmel – übrigens nicht nur in Sachen Honorarberater und Versicherungsmakler, sondern zum Beispiel auch in Sachen Querverkäufe. Irgendwie bekomme ich das Gefühl nicht los, dass versucht wird die EU-Gesetzgebung zur IDD bei der Umsetzung in deutsches Recht zu verdrehen. Über das "warum" und "in wessen Interessen" darf sich jeder selbst Gedanken machen.

Dies gilt insbesondere in Bezug auf das in der EU-IDD Gesetzgebung vorgesehene Recht, dass JEDER Versicherungsvermittler sowohl Honorare als auch Courtagen/Provisionen beziehungsweise auch Mischformen davon vereinnahmen darf. Dies gilt im Weiteren auch in Bezug auf den schon zur ersten Vermittlerrichtlinie falsch gefassten § 6 Abs. (6) VVG, der nun im IDD-Referentenentwurf nochmals "verschlimmbessert" wurde. Daran ändert auch die im Kabinett beschlossene Nachjustierung der Gesetzesbegründung zu § 6 Abs. (6) VVG nichts, denn eine Begründung ist eben gerade nicht der Gesetzestext selbst! Nachzulesen ist die meines Erachtens eigentlich richtige Fassung des § 6 Abs. (6) VVG etwa in einer Stellungnahme des Leipziger Maklerpools Invers GmbH zum IDD Referentenentwurf. Dort ist auch nachzulesen, warum in Deutschland nach meiner Einschätzung starke Versicherungsmakler, aber keine Versicherungsberater notwendig sind und welche Voraussetzungen dafür erforderlich sind.

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Zu hoffen ist, dass die Verantwortlichen noch einmal sehr genau über die praktischen Auswirkungen ihrer Theorien und deren praktischen (!) Folgen nachdenken und sich entsprechend von den damit befassten Verbänden (wie AfW, IGVM) beraten lassen. Noch ist genügend Zeit; die Politiker sollten diese unbedingt nutzen, um den Referentenentwurf unter Praxisgesichtspunkten und unter der Maßgabe wirklichen Verbraucherschutzes grundlegend zu überarbeiten. Versicherungsmaklern ist dringend zu raten ihren jeweiligen Bundesstagsabgeordneten in dieser Sache "Feuer unterm Hintern" zu machen.

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