Weniger Unfälle und Verkehrstote, mehr Sicherheit und Zeit zum Lesen, Arbeiten oder Schlafen – alles das und noch mehr prophezeien uns die Automobilhersteller, wenn sie über die Chancen des automatisierten Fahrens sprechen. Der Tod eines Tesla-Fahrers im vergangenen Mai in Florida macht zumindest nachdenklich: Sein Auto fuhr im „Autopilot“-Modus an einem sonnigen Tag ungebremst in einen mitten auf der Straße stehenden Sattelschlepper. Hätte ein menschlicher Fahrer diesen übersehen? Wohl kaum. Vorerst lässt sich festhalten, dass das automatisierte Fahren nicht nur Chancen, sondern auch neue Risiken birgt.

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Vorerst bleibt der Fahrer die entscheidende Instanz

Für alle derzeit zugelassenen Assistenzsysteme gilt: Wenn der Fahrer seine Aufmerksamkeit vom Verkehr und der vor ihm liegenden Straße abwendet, gefährdet er sich und andere. Wie gefährlich das geistige Abschalten während der Fahrt sein kann, zeigt auch eine aktuelle Studie unserer Unfallforschung: Wenn sich ein Fahrer – auf sein automatisiert fahrendes Auto vertrauend – mit anderen Tätigkeiten beschäftigt und den Straßenverkehr völlig außer Acht lässt, vergehen bis zu 14 Sekunden, bevor er sein Auto wieder sicher kontrollieren kann. Bei Tempo 130 legt ein Auto in dieser Zeit über 500 Meter zurück.

Auch wenn der Wettlauf um die Technologieführerschaft beim automatisierten Fahren für erstaunliche Fortschritte sorgt, ist und bleibt der Fahrer auf absehbare Zeit die entscheidende Instanz. Besorgnis erregend ist daher das scheinbar grenzenlose Vertrauen in die neue Technik, das zahlreiche Fahrer ihr entgegenbringen. Die Mahnung, trotz des angeschalteten Autopiloten das Lenkrad anfassen und den Verkehr beobachten zu müssen, stößt bei manchen Fahrern offenbar auf taube Ohren – wie man sich durch einschlägige Youtube-Videos überzeugen kann, setzen sich manche während der Fahrt mit einem Autopiloten sogar auf die Rückbank.

Bei sicherheitsrelevanten Systemen geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit

Um es klar zu sagen: Dieses Verhalten ist vollkommen verantwortungslos. Und mehr noch: Es hat das Potenzial, das Vertrauen der Öffentlichkeit in das automatisierte Fahren langfristig zu untergraben. Damit aber die automobile Revolution gesellschaftlich akzeptiert wird, müssen Autohersteller, Gesetzgeber und Versicherer gemeinsam verantwortlich handeln. Für die Automobilindustrie heißt das: Bei sicherheitsrelevanten Systemen, wie es das automatisierte Fahrsystem ist, geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Bevor neue Technik oder Software-Updates auf den Markt kommen, müssen sie so sicher wie möglich sein. Ein Autopilot genanntes Assistenzsystem, das am helllichten Tag einen auf dem Highway querstehenden Sattelschlepper ganz einfach übersieht, genügt diesem Anspruch mit Sicherheit nicht.

Automatisiertes Fahren betrifft die Gesellschaft als Ganzes

Automatisiertes Fahren betrifft aber nicht nur die Käufer entsprechender Autos, sondern die Gesellschaft insgesamt. Die Verkehrs- und Rechtssicherheit von Fußgängern, Radfahrern und anderen Autofahrern ist für die Akzeptanz des automatisierten Fahrens unabdingbar. Um das Vertrauen aller Verkehrsteilnehmer zu sichern, sollten für alle neuen automatischen Systeme im Auto allgemeinverbindliche Prüf- und Testverfahren geschaffen werden. Selbsttests der Sensoren und andere Sicherheitsvorkehrungen müssen gewährleisten, dass die Technik bei jeder Fahrt zuverlässig erkennt, wenn sie fehlerhaft arbeitet.

Auch die Erkenntnisse unserer Unfallforscher werden vom Gesetzgeber zu berücksichtigen sein, wenn er den Fahrern automatisiert lenkender, bremsender und beschleunigender Wagen erlauben will, die Hände vom Lenkrad zu nehmen und sich auch für längere Streckenabschnitte entspannt zurückzulehnen. Klar ist: Den zeitunglesenden oder gar schlafenden Fahrer wird es auf absehbare Zeit nicht geben können. Der Fahrer muss auch weiterhin eine Grundaufmerksamkeit beibehalten. Er muss bereit sein, die Kontrolle zu übernehmen, wenn ihn das Fahrzeug dazu auffordert – oder er von selbst erkennt, dass sein Auto auf eine Situation nicht angemessen reagiert. Dem tödlich verunglückten Tesla-Fahrer jedenfalls hätte ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit möglicherweise das Leben gerettet.

Die Daten automatisiert fahrender Autos gehören nicht den Autoherstellern

Darüber hinaus muss der Gesetzgeber die Frage beantworten, wie mit den Daten automatisiert fahrender Autos umzugehen ist. Ganz sicher gehören die Daten nicht dem Autohersteller. Stattdessen muss der Halter bzw. der Fahrer entscheiden können, wem er wann welche Daten zur Verfügung stellt. Damit dies in der Praxis auch tatsächlich umgesetzt werden kann, brauchen wir europaeinheitliche Standards für die vorzuhaltenden Daten, für die Datenformate und für eine offene, sichere und diskriminierungsfrei zugängliche Kfz-Schnittstelle.

Die Produkthaftung der Hersteller ist für die Entschädigung von Verkehrsopfern keine Lösung

Neben den Autoherstellern und dem Gesetzgeber wird auch die Versicherungswirtschaft einen wesentlichen Beitrag zur Akzeptanz des automatisierten Fahrens leisten, indem sie etwaige Verkehrsopfer entschädigt. Das System einer für jeden Halter verpflichtend vorgeschriebenen Kfz-Haftpflichtversicherung gewährleistet heute ein Höchstmaß an verlässlichem Verkehrsopferschutz und wird dies auch zukünftig tun. Die Versicherung leistet – und zwar unabhängig davon, wer oder was für den Unfall letztendlich verantwortlich ist. Beispiele für Schäden, die ohne das Verschulden des Fahrers entstehen, gibt es schon heute genug, etwa wenn wegen eines Materialfehlers ein Reifen platzt oder plötzlich und unvorhersehbar die Bremsen versagen. Egal aus welchem dieser Gründe beim Betrieb des Autos ein Schaden entsteht – die Kfz-Haftpflichtversicherung des Halters entschädigt das Opfer. Dieses System hat für Verkehrsopfer entscheidende Vorteile: Erstens haben sie mit der Versicherung einen direkten und solventen Ansprechpartner. Dieser lässt sich über das Kennzeichen leicht ausfindig machen und kann auch europaweit über das Grüne-Karte-System problemlos angesprochen werden. Und zweitens müssen Geschädigte nicht klären, welche Ursachen letztendlich den Schaden verursacht haben.

Obacht vor einem juristischen und verkehrspolitischen Irrweg

Diese Regeln gelten auch für solche Schäden, die zukünftig von automatisierten Fahrsystemen verursacht werden. Der Schutz der Kfz-Haftpflichtversicherung umfasst problemlos auch das automatisierte Fahren. Vorstellungen, dieses bewährte Prinzip verlassen zu können und Automobilhersteller für die Fehler ihrer automatisierten Systeme direkt gegenüber dem Unfallopfer haften zu lassen, führen auf einen juristischen und verkehrspolitischen Irrweg: Die Produkthaftung ist für die effiziente Entschädigung von Verkehrsopfern weder gemacht noch geeignet. In jedem Einzelfall müssten die Unfallopfer den Herstellern einen Produktfehler gerichtsfest nachweisen, und selbst dann bestünde eine Haftung nur unter bestimmten Voraussetzungen. Würden nach einem Autounfall also nicht mehr die bewährten Regeln der Halterhaftung und des Direktanspruchs gelten, wären die Unfallopfer massiv benachteiligt. Das heutige Haftungssystem ist bewährt und zuverlässig: Entschädigt werden Verkehrsopfer von der Kfz-Haftpflichtversicherung des Halters. Das ist unser Anspruch und unsere Verpflichtung. Darauf kann sich jeder verlassen, der in Deutschland in einen Autounfall verwickelt ist.

Regresse der Kfz-Versicherer gegenüber Auto-Herstellern müssen möglich sein

Darüber hinaus ist die Haftung eines Herstellers für ein fehlerhaftes Produkt eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit. Hat ein Autobauer unzureichend erprobte oder mangelhafte Systeme auf den Markt gebracht oder kann nachgewiesen werden, dass die Technik des Autos versagt hat, müssen Regresse der Kfz-Versicherer gegenüber dem Hersteller selbstverständlich möglich sein. Die Versicherer und die Automobilindustrie werden dafür Lösungen finden.

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Die technische Pionierarbeit der Autobauer und Zulieferer alleine ist nur der erste Schritt. Den ganzen Weg in eine automatisierte automobile Zukunft können und müssen wir als Gesellschaft gemeinsam gehen.

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