Es war eine Nachricht, die Anfang der Woche aufhorchen ließ: TK-Chef Jens Baas berichtete, einige gesetzlichen Krankenkassen würden Ärzte für Falschdiagnosen belohnen. Wenn die Mediziner nämlich ihre Patienten auf dem Papier kranker machen als diese tatsächlich sind, könnten die Kassen mehr Geld aus dem Risikofinanzausgleich abzwacken. „Die Kassen bezahlen zum Beispiel Prämien von zehn Euro je Fall für Ärzte, wenn sie den Patienten auf dem Papier kränker machen“, sagte Baas der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Das bringe je Fall bis zu 1.000 Euro mehr im Jahr.

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Falsche Arzt-Diagnosen gefährden Risikovorsorge der Patienten

So weit, so bitter. Doch das Fehlverhalten der Ärzte hat auch Folgen für die Risikovorsorge der Patienten. Zum Beispiel dann, wenn die Betroffenen eine Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen wollen.

Die Versicherer fragen in ihren Anträgen danach, welche Vorerkrankungen der Antragsteller hatte und welche medizinischen Behandlungen in den letzten Jahren notwendig waren. Diese Angaben müssen genauestens vom Verbraucher ausgefüllt werden. Wenn der Antragsteller hingegen Behandlungen oder Krankheiten verschweigt, kann der Versicherer bei Eintritt des Leistungsfalls eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht geltend machen und vom Vertrag zurücktreten. Die bittere Konsequenz: der Betroffene erhält keine Rente und steht ohne Risiko-Schutz da.

Hier kommen die falschen Arzt-Diagnosen ins Spiel. Wer eine solche in seiner Krankenakte hat, muss erstens damit rechnen, dass er einen saftigen Aufpreis für seine BU-Versicherung zahlen muss oder ihm der Schutz ganz verwehrt wird. Zu Unrecht!

Zweitens besteht sogar die Gefahr, dass der Patient seinen Risikoschutz verliert, sollte er den Antrag korrekt ausgefüllt haben – aber der Versicherer die falsche Diagnose in der Krankenakte finden. Denn ob die Angaben des Versicherten richtig waren, prüft der Versicherer aus Kostengründen erst im Leistungsfall - anhand der Krankenakte. Wurde diese gefälscht und der Patient "krankgedichtet", dürfte es schwerfallen, dem Arzt diese Manipulation nachzuweisen. Trotz jahrelanger Beitragszahlung erhält der Patient im schlimmsten Fall keine Rente von seiner Versicherung.

Versicherungsvermittler berichten über gefälschte Diagnosen bei ihren Kunden

Dass solche Beispiele keineswegs aus der Luft gegriffen sind, sondern die Erfahrung vieler Vermittler widerspiegeln, berichtet der auf BU-Schutz spezialisierte Versicherungsmakler Matthias Helberg auf seiner Webseite. Ungefähr jeder fünfte Kunde, der seine Arztakte überprüfe, würde über „manipulierte“ Diagnosen klagen, so Helberg.

Helberg zitiert ein Beispiel, dass auch Jens Baas in seinem Interview anführt: aus einer depressiven Verstimmung werde eine echte Depression gemacht. Für viele Versicherer ein Grund, dem Betroffenen keine Berufsunfähigkeitsversicherung zu geben.

Auch Privatpatienten können betroffen sein

Auch die Versicherungsberaterin Angela Baumeister schreibt auf ihrer Webseite von gefälschten Krankenakten bei ihren Kunden. Sie warnt, dass nicht nur Kassenpatienten betroffen sein können, sondern auch Privatversicherte.

Privatpatienten erhalten zwar nach der Behandlung von ihrem Arzt eine Rechnung ausgehändigt und können deshalb genauer überprüfen als gesetzlich Versicherte, welche Diagnose ihr Arzt gestellt hat. Aber die wenigsten Patienten sind mit den medizinischen Fachbegriffen vertraut. Viele legen die Abrechnung beiseite, ohne einen genauen Blick darauf zu werfen.

Baumeister nennt ein Beispiel: Einem ihrer Mandanten, der nach einem Auffahrunfall aufgrund einer Rückenverstauchung nur wenige Tage krank geschrieben war, wurde vom Arzt ein schweres verschleißbedingtes Bandscheiben-Leiden angedichtet. Seine Wirbelsäule war zu diesem Zeitpunkt gesund. Erst nachdem der Patient sich die damaligen Röntgenaufnahmen aushändigen ließ und einem Zweitarzt zeigte, konnte die fehlerhafte Krankenakte korrigiert werden.

Vor BU-Antragstellung Krankenakte aufarbeiten!

Leidtragende dieser Betrügereien sind sowohl die Patienten als auch Vermittler. Sie haben -so bezeichnet es Baumeister- „mehr Arbeit und mehr Rennerei“. Denn aufgrund der Manipulationen müssen sie ihre Krankheitsgeschichte inklusive der Arztdiagnosen aufarbeiten, bevor eine BU- oder Lebensversicherung beantragt werden kann. Das Recht auf Einsicht in die Patientenakte ist laut BGB § 630g gesetzlich festgeschrieben.

Für Makler droht zudem ein nicht unerhebliches Haftungsrisiko, sollten sie verdächtigt werden, den Kunden bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen falsch beraten zu haben. Den Vermittlern drohen lange juristische Streitereien und Schadensersatzforderungen.

Unbekannt ist das Problem freilich nicht. Bereits ein Beitrag des ARD-Magazins Plus Minus thematisierte im Juli 2015 den Abrechnungsbetrug durch Krankenkassen. Auch damals schon wies der Versicherungsbote auf das Risiko für BU- und Lebensversicherungs-Kunden hin. Die Politik hat seither nicht reagiert.

GKV-Versicherte haben Anrecht auf Patientenquittung

Ein weiteres Problem: Ärzte verhalten sich nicht immer kooperativ, wenn der Patient eine Auskunft verlangt. Versicherungsmakler Helberg berichtet von einem Arzt, den der - berechtigte - Wunsch seines Patienten nach Aushändigung sämtlicher Unterlagen „enttäuscht“. Schließlich sei er „von einem vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnis“ ausgegangen.

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Hier kann schon unmittelbar nach der Behandlung Abhilfe geschaffen werden. Tatsächlich haben auch gesetzlich Versicherte ein Recht auf eine Patientenquittung ähnlich wie ein Privatpatient, so berichtet die ARD. Auch kann der GKV-Patient von seiner Krankenkasse oder der Kassenärztlichen Vereinigung eine Versichertenauskunft verlangen, in der alle ärztlichen Diagnosen und Honorare aufgeführt sind.

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