Versicherungsbote: Klassische Vorsorgeformen verlieren immer mehr an Zuspruch. Worin sehen Sie Probleme?

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Hans-Jörg Naumer: Das Hautproblem liegt unverändert in dem Niedrig-/Negativzinsumfeld begründet, ein Phänomen, auf das wir schon seit einigen Jahren hinweisen, und das uns auch so schnell nicht mehr verlassen wird. Wie unser QE-Monitor zeigt, heißt das konkret: Ca. 60% aller umlaufenden deutschen und ca. 40% aller Euroland-Staatsanleihen haben nominal (!) eine negative Rendite, d.h. bei Anleihelaufzeiten bis zu vier Jahren bekommen die Anleger, die jetzt einsteigen, mit Sicherheit weniger zurück als sie angelegt haben. Bei längeren Laufzeiten lässt sich nur noch das Schwarze unter dem Fingernagel verdienen, wobei Kaufkraftverluste durch Inflation unberücksichtigt bleiben. Die Versicherungsbranche ist also gut beraten, hier neue Wege zu gehen.

Global Head of Capital Markets & Thematic Research Allianz Global Investors

Versicherungsbote: Was halten Sie von anderen Konstrukten: Riester-Rente, Rürup, ... Geldvernichter oder sinnvolle Modelle?

Hans-Jörg Naumer: Ich bin ein absoluter Fan von allen Ansätzen, die weg von der gesetzlichen Rentenversicherung hin zur privaten Vorsorge führen. Die gesetzliche Rente ist für mich, gerade in Anbetracht der demographischen Entwicklung, nichts anderes als eine Zwangsanleihe mit geringer Ertragserwartung. Dabei sollte bei allen privaten Vorsorgekonstrukten darauf geachtet werden, dass diese vom Kapitalmarkt – und damit möglichst auch an der Entwicklung von Aktien – partizipieren können. Bei Riester und Rürup sind diese Möglichkeiten gegeben, allerdings sorgt die Garantie für die eingezahlten Beiträge dafür, dass Aktieninvestments nur in einem eingeschränkten Umfang möglich sind. Garantien kosten eben immer auch Rendite. Mehr Wahlfreiheit in Richtung mehr Risiko und damit in Richtung mehr renditeträchtigeren Anlageformen wäre wünschenswert.

Versicherungsbote: Zu welcher expliziten Altersvorsorge raten Sie dringend? Was würden Sie persönlich momentan für Ihre Altersvorsorge machen?

Hans-Jörg Naumer: Das, was ich schon immer mache: Die Grundlage muss stehen. Haftpflicht und BU gehören für mich zur Altersvorsorge dazu. Das sind die Grundbausteine. Als Familienvater muss ich meine biometrischen Risiken absichern und Kapital aufbauen. Dafür habe ich eine Fondsrente, die auf Aktienfonds läuft. Der Durchschnittskosteneffekt dieser Ansparform ist für mich ein unschlagbarer Vorteil. Beispiel: Trotz der massiven Schwankungen an den Kapitalmärkten hat ein auf europäische Standardwerte laufender Sparplan, im Schnitt der letzten über 20 Jahre gut 10% gebracht. Wo möglich, sollte noch zusätzlich liquides Kapital aufgebaut werden.

Versicherungsbote: LV und RV sind aktuell bei einem Neuabschluss schon kaum noch rentabel. Ob der geplanten Abschaffung des Garantiezinses sind derartige Produkte de facto nicht mehr verkaufenswert.

Hans-Jörg Naumer: Das ist für mich aber noch lange kein Todesurteil für LV oder RV. Mir gefallen Lösungen, die flexibel sind. Motto: Steigen die Zinsen wieder, dann steigt auch die Verzinsung. Das ist ein erster, guter Ausweg, da er das aktuelle Zinsniveau nicht auf die nächsten Jahrzehnte in dem Produkt einfriert. Nichts anderes täte ein Garantiezins. Dazu kommt: Renten- wie Lebensversicherungen lassen sich wunderbar mit Fonds kombinieren. Und Fonds können dem Risikoprofil des Anlegers angepasst werden. Ist dieser risikogeneigter, wird er einen größeren Aktienanteil wählen und kann dafür auch eine höhere Risikoprämie (also einen Renditezuschlag) gegenüber dem Anleger/Sparer erwarten, der mehr in Anleihen geht. Idealerweise wird die Fondslösung aktiv gemanaged, d.h. die Aufteilung der unterschiedlichen Anlageformen wird entsprechend der erwarteten Marktentwicklung angepasst. Das dürfte den Wohlstandsfaktor erhöhen.

Versicherungsbote: Stichwort "Abschaffung des Garantiezins": Halten Sie es wie die Lebensversicherer, die die Alternative in fondsgebundenen Kapitalanlagen sehen? Warum?

Hans-Jörg Naumer: Ja! Machen Sie sich klar: Unser Wohlstand kommt aus der unternehmerischen Tätigkeit, kommt aus den Gewinnen, die Firmen produzieren. An Aktien führt – gerade im vorherrschenden Negativzinsumfeld - kein Weg vorbei. Die einfachste Lösung, einen gesunden Mix aus Anleihen und Aktien als Renditetreiber einer LV oder RV zu unterlegen, sind Fondslösungen.

Versicherungsbote: Wieviel sollte man (nach Altersgruppe) sparen?

Hans-Jörg Naumer: Für mich gilt die gute alte Regel: „100 – aktuellem Lebensalter = Aktienquote“. Natürlich muss das individuell angepasst werden, aber die Logik ist klar: Je jünger jemand ist, desto mehr Aktien benötigt er. Ich folge dabei einem holistischen Ansatz: Die eigene Arbeitskraft, das eigene Häuschen, die gesetzliche Rente, der Bausparvertrag, ...das alles sind anleiheähnliche Anlageformen. Da muss für Aktien mehr Platz sein. Meinen Freunden z.B. gratuliere ich immer zur Geburt eines Kindes, mit dem Spruch: „Herzlichen Glückwunsch! Und falls Du einen Fondssparplan auswählst – mit weniger als 100% Aktien machst Du einen Fehler.“ Für Gesprächsstoff ist dann gesorgt.

Versicherungsbote: Folgendes Szenario: Nach dem Studium (25 Jahre) habe ich nun endlich einen festen Job. Was raten Sie dieser Person in einem solchen Fall für eine gute Altersversorgung?

Sofort einen Fondssparplan beginnen. 75% Aktien heißt die Daumenregel. Wenn die Familie dann wächst, sollten biometrische Risiken abgesichert werden.

Versicherungsbote: Was würden Sie jungen Familien (25 - 35 Jahre) raten?

Hans-Jörg Naumer: Nicht viel anderes. Ohne ein gewisses Maß an Risiko gibt es keinen Wohlstand. Natürlich müssen dann auch so langsam die eigene vier Wände in den Blick genommen werden.

Versicherungsbote: ... und was raten Sie Menschen um die 50 Jahre oder kurz vor der Rente?

Hans-Jörg Naumer: Denken Sie bei Ihrer gesamten Vermögensanlage an Ihre tatsächliche Lebenserwartung. Mit 67 ist noch lange nicht Schluss, aber das Risiko, dass am Ende des Geldes noch zu viel vom Leben übrig ist, ist hoch. Nach Zahlen der Deutschen Aktuarvereinigung kann ein heute 50-jähriger Mann mit einer Lebenserwartung von knapp 86 Jahren rechnen, eine ebenso alte Frau mit 90 Jahren.

Versicherungsbote: Mit welchen Renditen kann man im Durchschnitt mit Fondsanlagen rechnen? Haben Sie Beispiele aus der Vergangenheit?

Hans-Jörg Naumer: Das ist ein weites, nicht wirklich prognostizierbares Feld, da zum einen die Vergangenheit nichts über die Zukunft aussagt und es zum anderen ganz unterschiedliche Fonds mit sehr unterschiedlichen Anlageprofilen gibt. Ich würde die Aktienrendite als eine Indikation nehmen. Der deutsche Aktienmarkt (DAX) hat über die letzten 25 Jahre bei einer Einmalanlage (nicht zu verwechseln mit einem Sparplan) eine durchschnittliche Rendite von 8% gebracht. Ich würde einen Sicherheitsabschlag für die Zukunft vornehmen, auch wegen der Annahme, dass demographische Entwicklung die Wachstumsmöglichkeiten einschränkt, und 6% ansetzen. Anleiherenditen würde ich im normalen Fahrwasser (in das wir aber erst einmal kommen müssen, und das wird viele Jahre dauern) mit 4% ansetzen.

Versicherungsbote: ETFs sind in aller Munde. Vor allem Verbraucherschützer empfehlen diese immer wieder. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Hans-Jörg Naumer: Billig ist nicht zwangsläufig gut. Wer billig kauft, bekommt kein aktives Management wie bei Fonds, denn ETFs bauen nur einen Index nach. Wir brauchen aber jeden Renditetreiber, d.h. aktives Management muss Zusatzrendite erwirtschaften. Und: Wer ETFs kauft, kauft die Welt von gestern. ETFs folgen nur der Kursentwicklung und nehmen damit jede Übertreibungsphase mit. Im Jahr 2000 waren Aktien von Telekommunikations-, Medien- und Technologieunternehmen hipp. Ein gutes, aktives Fondsmanagement hat frühzeitig gegengesteuert.

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Versicherungsbote: Vielen Dank für das Interview! (Die Fragen stellte Jenny Müller)

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