„bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen“, twitterte die Schülerin Naina Anfang des Jahres 2015. Damit traf sie einen Nerv, denn schnell entspannte sich die Debatte, wie lebensfern die Schulbildung ist. Müssen Schüler Gedichte interpretieren können, um im späteren Leben zu bestehen? Oder sollte man ihnen nicht besser im Unterricht beibringen, wie man eine Steuererklärung ausfüllt und welche Versicherungen wichtig sind?

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Glaubt man einer aktuellen Umfrage im Auftrag Provinzial Rheinland Versicherungen, wünschen sich viele Bürger einen praxisnaheren Unterricht. Demnach stimmt jeder zweite Befragte (50 Prozent) in den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zu, dass das Thema „Versicherung“ stärker im Lehrplan verankert werden sollte. Insgesamt nahmen an der Studie über 1.000 Rheinländer zwischen 18 und 65 Jahren Teil.

Versicherungsbedingungen statt Gedichtanalysen

Vor allem bei den Jüngeren ist der Wunsch nach einem stärkeren Praxisbezug im Unterricht stark ausgeprägt. 80 Prozent der 18- bis 24-jährigen seien der Meinung, dass Schüler früh lernen sollten, welche Versicherungen es gibt, wie man Beiträge berechnet und welche Risiken sie abdecken, berichtet die Provinzial in einer Pressemeldung. Bei den 25- bis 34jährigen seien es immerhin noch knapp zwei Drittel.

„Nach der Schule merken viele sehr schnell, dass das Leben nicht nur Matheformeln und Gedichtsanalysen [sic!] erfordert. Gerade Jüngere müssen sich das Wissen über Themen wie Versicherungen selbst aneignen“, sagt Christoph Hartmann, Pressesprecher und Leiter Unternehmenskommunikation der Provinzial Rheinland.

Der Experte wünscht sich, dass die Schulbehörden diesen Wunsch ernst nehmen. Die Resonanz auf Nainas Tweet habe gezeigt, „dass die jüngere Generation ein großes Interesse an praxisnahen Themen wie Versicherungen im Unterricht hat. Dahinter steht das klare Bedürfnis, besser auf das spätere Leben vorbereitet zu werden“.

Ein praxisorientiertes Schulfach „Wirtschaft“ scheitert auch an ideologischen Gesichtspunkten

Tatsächlich mangelt es vielen Deutschen an Wissen zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Nur 17 Prozent aller Bundesbürger ist beispielsweise bewusst, dass bei einer Finanzberatung Provisionen und andere Vergütungen fließen, wie eine Umfrage der EBS Business School Wiesbaden ergab. Und als Vertriebe wie Infinus oder S&K mit windigen Versprechungen lockten, trafen sie auf treuherzige Kunden, die selbst irrwitzigste Renditen nicht hinterfragen wollten.

Laut einer weiteren Studie der Bertelsmann Stiftung wünschen sich 86 Prozent der Deutschen „wirtschaftliche Bildung“ als Unterrichtsfach. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen hat vier Jahre lang das Fach „Wirtschaft“ an 70 Realschulen erprobt, die Erfahrungen waren positiv. Danach sprachen sich der Lehrerverband und die FDP für eine verpflichtende Einführung aus, was die rot-grüne Landesregierung jedoch abschmetterte. Immer ging es auch darum, Ökonomie „lebensnah und praxisorientiert“ zu vermitteln. Wie errechne ich den Zins einer Geldanlage? Was bedeutet Geldentwertung durch Inflation? Solche Themen.

Doch eine Einführung scheitert auch an ideologischen Gesichtspunkten. Wie sehr soll es beispielsweise Unternehmen gestattet werden, sich an der Bildung der Schüler zu beteiligen? Ist nicht zu befürchten, dass sie ihre Lobbymacht nutzen, um Werbebotschaften in die Schulen hineinzutragen? Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fürchtet gar, mit einem Pflichtfach Wirtschaft werde der Unterricht auf die „Leitvorstellung von Werteffizienz“ verkürzt. Das Leitbild der Schulbildung sollte schließlich der mündige und kritikfähige Bürger sein, nicht der konsumorientierte Karrierist. Hier wäre es Aufgabe der Schulämter, einen entsprechend wertneutralen Unterricht zu garantieren.

Auch die Gedichtanalyse schärft komplexes Denken

Solange es ein praxisnahes Fach „Wirtschaft und Versicherung“ nicht gibt, tröstet es vielleicht, dass auch die Gedichtanalyse auf die Beschäftigung mit Versicherungsverträgen vorbereiten kann. Die Gedichtanalyse schärft nicht nur das Verstehen von Sprache und das Denken in komplexen Zusammenhängen, etwa wenn einzelne Verse und Strophen aufeinander bezogen werden müssen. Es lehrt auch, dass sich die Bedeutung eines Textes ändern kann, wenn man ihn öfter und genauer liest und im Kontext begreift. All das sind Schlüsselkompetenzen, die beim Lesen eines Versicherungsvertrages helfen können.

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Das konkrete Wissen zu einzelnen Versicherungen werden sich Schüler und Schulabgänger aber vorerst selbst aneignen müssen. Das Problem dürfte sein, eine unabhängige und verlässliche Quelle zu finden. Christoph Hartmann von der Provinzial empfiehlt jungen Leuten, bei Bedarf den Rat eines Versicherungsexperten einzuholen. So könne verhindert werden, dass im Schadensfall durch fehlende Absicherung teure Kosten entstehen. Zumindest so lange, wie Abbruchklauseln, Ablehnungsfristen und Abstrakte Verweisbarkeit kein Thema auf deutschen Lehrplänen sind.

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