Unfallversicherung 2024: Stabile Gewinne, gesättigter Markt

Quelle: DALL-E

Eigentlich spricht alles für Stabilität: Mit einer durchschnittlichen Schaden-Kosten-Quote von nur 76,65 Prozent gilt die Unfallversicherung als profitabelste Sparte der Kompositversicherer. Doch bei genauerem Blick offenbart sich ein auffälliger Kontrast. Während die große Mehrheit der Anbieter deutlich unter der 100-Prozent-Marke bleibt, gibt es 2024 gleich fünf Gesellschaften, die darüber liegen – und ausgerechnet der Marktführer führt diese Gruppe an.

Janitos verzeichnet eine Combined Ratio von 100,45 Prozent, die Rhion Versicherung 104,19 Prozent, der Bayerische Versicherungsverband 106,38 Prozent, Axa 111,04 Prozent – und die Allianz sogar 122,55 Prozent, den höchsten Wert der gesamten Branche. Auf den ersten Blick wirkt das wie ein Alarmzeichen: Wer mehr für Schäden und Verwaltung ausgibt, als er an Beiträgen einnimmt, müsste eigentlich rote Zahlen schreiben.

Doch die Realität sieht anders aus. Mit Ausnahme der Rhion Versicherung schließen alle genannten Unternehmen das Jahr mit Gewinn ab. Die Allianz erzielt trotz ihrer außergewöhnlich hohen Quote mit 213,01 Millionen Euro erneut das mit Abstand beste versicherungstechnische Ergebnis der Branche (vor Veränderung der Schwankungsrückstellung). Auch Axa (21,99 Millionen Euro), der Bayerische Versicherungsverband (5,03 Millionen Euro) und Janitos (1,11 Millionen Euro) bewegen sich klar im positiven Bereich. Nur zwei Versicherer im gesamten Markt – die Rhion Versicherung (–0,87 Millionen Euro) und die Haftpflichtkasse (–1,03 Millionen Euro) – schreiben überhaupt ein negatives Ergebnis.

Rückversicherung als Teil-, nicht Hauptursache

Eine mögliche Erklärung für die abweichenden Ergebnisse liegt in der Rückversicherungspolitik – allerdings nur teilweise. Besonders deutlich zeigt sich das bei der Rhion Versicherung: Mit einer außergewöhnlich hohen Rückversicherungsquote von 96,33 Prozent gibt sie nahezu ihr gesamtes Risiko an Rückversicherer ab. Dadurch werden erhebliche Prämien- und Schadenanteile bilanziell ausgelagert, was die eigene Schaden-Kosten-Quote rechnerisch stark erhöht. Die Rhion Versicherung nimmt damit eine Combined Ratio von 104,19 Prozent in Kauf – ein unmittelbares Resultat ihrer nahezu vollständigen Risikoabgabe. Auf der Ertragsseite profitiert sie jedoch kaum von Rückversicherungseffekten, sodass ihr versicherungstechnisches Ergebnis mit minus 0,87 Millionen Euro entsprechend schwach ausfällt.

Ganz anders die Allianz. Sie nutzt Rückversicherung nicht zur Risikoabwälzung, sondern gezielt zur Kapazitätssteuerung – also vor allem für hohe Einzelrisiken, während der Großteil der Verträge im eigenen Bestand verbleibt. Ihre Rückversicherungsquote liegt mit 30,11 Prozent auf einem mittleren, für einen Marktführer aber hohen Niveau. Das Ergebnis aus passiver Rückversicherung ist mit –61,93 Millionen Euro klar negativ – ein Hinweis auf spürbare Rückversicherungsaufwendungen. Gleichwohl erzielt die Allianz mit 213,01 Millionen Euro das höchste versicherungstechnische Ergebnis der gesamten Branche. Rückversicherungskosten können die Diskrepanz zwischen Quote und Gewinn somit nicht erklären – im Gegenteil: Trotz erheblicher Belastungen bleibt das Ergebnis außerordentlich stark. Verantwortlich dafür sind vielmehr die operative Ertragskraft und eine konservative Bilanzierung, die langfristige Stabilität über kurzfristige Quoten stellt.

Die übrigen Gesellschaften im Feld der hohen Schaden-Kosten-Quoten – etwa Axa (Combined Ratio: 111,04 Prozent bei einer Rückversicherungsquote von nur 0,72 Prozent), der Bayerische Versicherungsverband (106,38 Prozent / 11,99 Prozent) und Janitos (100,45 Prozent / 24,36 Prozent) – bestätigen dieses Bild. Wo Rückversicherung kaum ins Gewicht fällt, bestimmen andere Faktoren die Differenz zwischen hoher Combined Ratio und positivem Ergebnis.

Strukturelle Besonderheiten der Unfallversicherung

Neben der Rückversicherung spielen in der Unfallversicherung vor allem Bilanzierungs- und Abwicklungseffekte eine entscheidende Rolle. Viele Leistungsfälle ziehen sich über Jahre hin – etwa bei Invaliditätsrenten, Rehabilitationsmaßnahmen oder Langzeitbetreuung nach schweren Unfällen. Dadurch können Schadenrückstellungen im Zeitverlauf angepasst oder teilweise aufgelöst werden, wenn sich Schadenverläufe günstiger entwickeln als erwartet. Diese Abwicklungsergebnisse verbessern das versicherungstechnische Ergebnis, ohne die aktuelle Schaden-Kosten-Quote unmittelbar zu beeinflussen.

Hinzu kommt, dass Kapitalerträge aus der Deckungsrückstellung in der Unfallversicherung stärker in die technische Rechnung einfließen als in anderen Kompositsparten. Je nach Bilanzierungspraxis können so Zins- und Abwicklungseffekte über mehrere Jahre hinweg wirken und kurzfristige Ausschläge in der Combined Ratio abfedern. Auch Rückstellungsauflösungen aus gekündigten Verträgen mit Beitragsrückgewähr können das Ergebnis zusätzlich stützen – insbesondere bei Unternehmen mit großen Altbeständen.

Damit wird deutlich: Die jährliche Combined Ratio bildet die tatsächliche Ertragslage der Unfallversicherung nur eingeschränkt ab. Hohe Quoten müssen daher nicht auf operative Schwächen hindeuten, sondern spiegeln häufig konservative Kalkulation, langfristige Verpflichtungen und bilanzielle Vorsicht wider.