Ertragsstark wie selten, aber ohne Aufbruchstimmung: Die private Unfallversicherung bleibt wirtschaftlich stabil, wächst jedoch kaum. Lediglich 17 von 50 Versicherern steigerten 2024 ihre Vertragszahlen. Versicherungsbote stellt die aktuellen Kennzahlen vor.
Vergleicht man die großen Kompositsparten, wirtschaftet derzeit keine so auskömmlich wie die private Unfallversicherung. Sie hat die Hausratversicherung als profitabelste Teilsparte abgelöst und gilt inzwischen als stabiler Ergebnisträger der Branche. Die durchschnittliche Schaden-Kosten-Quote bzw. Combined Ratio (CR) liegt bei 76,65 Prozent – dem besten Wert seit 2018 und nochmals besser als im Vorjahr mit 77,95 Prozent. Keine andere Sparte arbeitet aktuell mit vergleichbarer Wirtschaftlichkeit.
Trotz der hohen Profitabilität bleibt das Wachstum begrenzt. Die gebuchten Bruttoprämien stiegen 2024 von 126,38 Millionen Euro auf 128,24 Millionen Euro je Versicherer – ein Plus von 1,5 Prozent. Der Vertragsbestand erhöhte sich leicht von 587.704 auf 591.002 Policen, was einem Zuwachs von 0,6 Prozent entspricht. Dieses Plus beruht jedoch auf einer Minderheit der Gesellschaften: Nur 17 Anbieter konnten ihre Bestände tatsächlich ausbauen, während die Mehrheit stagnierende oder rückläufige Zahlen meldete. Der Markt bleibt damit weitgehend gesättigt.
Auch beim Preis des Versicherungsschutzes zeigt sich eine moderate Entwicklung. Durchschnittlich 223,11 Euro mussten 2024 je Vertrag gezahlt werden – rund vier Euro mehr als im Vorjahr. Damit steigen die Prämien zwar, aber deutlich verhaltener als in anderen Sparten wie der Rechtsschutz- oder Kfz-Versicherung.
Weniger Gesamtbelastung, aber teurere Einzelfälle
Nach mehreren Jahren mit wechselnden Ausschlägen bei den Schadenaufwendungen zeigt sich 2024 erneut eine moderate Entlastung. Die durchschnittlichen Schadenaufwendungen der fünfzig größten Unfallversicherer sanken von 74,69 Millionen Euro im Jahr 2023 auf 73,32 Millionen Euro – ein Minus von rund 1,8 Prozent. In den Jahren zuvor hatte die Sparte teils deutliche Schwankungen verzeichnet: Nach dem Anstieg von 70,39 Millionen Euro im Jahr 2020 auf den Höchstwert von 75,35 Millionen Euro im Jahr 2022 folgte 2023 erstmals wieder ein Rückgang. Damit liegen die Aufwendungen zwar unter den Vorjahreswerten, aber weiterhin rund fünf Prozent über dem Niveau von 2019 (69,54 Millionen Euro).
Anders fällt die Entwicklung auf Vertragsebene aus: Trotz sinkender Gesamtaufwendungen stiegen die Schadenaufwendungen je Vertrag weiter an – von 99,98 Euro im Jahr 2023 auf 103,72 Euro im Jahr 2024. Damit überschreiten sie erstmals die Marke von 100 Euro und liegen fast acht Prozent über dem Wert von 2019 (95,96 Euro). Dieser Anstieg deutet auf höhere Durchschnittskosten je Schaden hin, etwa durch teurere Rehabilitationsmaßnahmen oder längere Leistungszeiträume bei Invaliditätsfällen.
Die durchschnittliche Schadenquote blieb dabei nahezu stabil: Nach 43,12 Prozent im Vorjahr erreichte sie 2024 nur einen minimal höheren Wert von 43,40 Prozent. Damit bewegt sich die Sparte weiterhin auf konstant niedrigem Niveau – ein Zeichen dafür, dass steigende Kosten je Schaden durch moderate Schadenhäufigkeit und angepasste Prämien weitgehend ausgeglichen werden konnten.
Hohe Schaden-Kosten-Quoten, starke Ergebnisse – das Unfall-Paradox
Eigentlich spricht alles für Stabilität: Mit einer durchschnittlichen Schaden-Kosten-Quote von nur 76,65 Prozent gilt die Unfallversicherung als profitabelste Sparte der Kompositversicherer. Doch bei genauerem Blick offenbart sich ein auffälliger Kontrast. Während die große Mehrheit der Anbieter deutlich unter der 100-Prozent-Marke bleibt, gibt es 2024 gleich fünf Gesellschaften, die darüber liegen – und ausgerechnet der Marktführer führt diese Gruppe an.
Janitos verzeichnet eine Combined Ratio von 100,45 Prozent, die Rhion Versicherung 104,19 Prozent, der Bayerische Versicherungsverband 106,38 Prozent, Axa 111,04 Prozent – und die Allianz sogar 122,55 Prozent, den höchsten Wert der gesamten Branche. Auf den ersten Blick wirkt das wie ein Alarmzeichen: Wer mehr für Schäden und Verwaltung ausgibt, als er an Beiträgen einnimmt, müsste eigentlich rote Zahlen schreiben.
Doch die Realität sieht anders aus. Mit Ausnahme der Rhion Versicherung schließen alle genannten Unternehmen das Jahr mit Gewinn ab. Die Allianz erzielt trotz ihrer außergewöhnlich hohen Quote mit 213,01 Millionen Euro erneut das mit Abstand beste versicherungstechnische Ergebnis der Branche (vor Veränderung der Schwankungsrückstellung). Auch Axa (21,99 Millionen Euro), der Bayerische Versicherungsverband (5,03 Millionen Euro) und Janitos (1,11 Millionen Euro) bewegen sich klar im positiven Bereich. Nur zwei Versicherer im gesamten Markt – die Rhion Versicherung (–0,87 Millionen Euro) und die Haftpflichtkasse (–1,03 Millionen Euro) – schreiben überhaupt ein negatives Ergebnis.
Rückversicherung als Teil-, nicht Hauptursache
Eine mögliche Erklärung für die abweichenden Ergebnisse liegt in der Rückversicherungspolitik – allerdings nur teilweise. Besonders deutlich zeigt sich das bei der Rhion Versicherung: Mit einer außergewöhnlich hohen Rückversicherungsquote von 96,33 Prozent gibt sie nahezu ihr gesamtes Risiko an Rückversicherer ab. Dadurch werden erhebliche Prämien- und Schadenanteile bilanziell ausgelagert, was die eigene Schaden-Kosten-Quote rechnerisch stark erhöht. Die Rhion Versicherung nimmt damit eine Combined Ratio von 104,19 Prozent in Kauf – ein unmittelbares Resultat ihrer nahezu vollständigen Risikoabgabe. Auf der Ertragsseite profitiert sie jedoch kaum von Rückversicherungseffekten, sodass ihr versicherungstechnisches Ergebnis mit minus 0,87 Millionen Euro entsprechend schwach ausfällt.
Ganz anders die Allianz. Sie nutzt Rückversicherung nicht zur Risikoabwälzung, sondern gezielt zur Kapazitätssteuerung – also vor allem für hohe Einzelrisiken, während der Großteil der Verträge im eigenen Bestand verbleibt. Ihre Rückversicherungsquote liegt mit 30,11 Prozent auf einem mittleren, für einen Marktführer aber hohen Niveau. Das Ergebnis aus passiver Rückversicherung ist mit –61,93 Millionen Euro klar negativ – ein Hinweis auf spürbare Rückversicherungsaufwendungen. Gleichwohl erzielt die Allianz mit 213,01 Millionen Euro das höchste versicherungstechnische Ergebnis der gesamten Branche. Rückversicherungskosten können die Diskrepanz zwischen Quote und Gewinn somit nicht erklären – im Gegenteil: Trotz erheblicher Belastungen bleibt das Ergebnis außerordentlich stark. Verantwortlich dafür sind vielmehr die operative Ertragskraft und eine konservative Bilanzierung, die langfristige Stabilität über kurzfristige Quoten stellt.
Die übrigen Gesellschaften im Feld der hohen Schaden-Kosten-Quoten – etwa Axa (Combined Ratio: 111,04 Prozent bei einer Rückversicherungsquote von nur 0,72 Prozent), der Bayerische Versicherungsverband (106,38 Prozent / 11,99 Prozent) und Janitos (100,45 Prozent / 24,36 Prozent) – bestätigen dieses Bild. Wo Rückversicherung kaum ins Gewicht fällt, bestimmen andere Faktoren die Differenz zwischen hoher Combined Ratio und positivem Ergebnis.
Strukturelle Besonderheiten der Unfallversicherung
Neben der Rückversicherung spielen in der Unfallversicherung vor allem Bilanzierungs- und Abwicklungseffekte eine entscheidende Rolle. Viele Leistungsfälle ziehen sich über Jahre hin – etwa bei Invaliditätsrenten, Rehabilitationsmaßnahmen oder Langzeitbetreuung nach schweren Unfällen. Dadurch können Schadenrückstellungen im Zeitverlauf angepasst oder teilweise aufgelöst werden, wenn sich Schadenverläufe günstiger entwickeln als erwartet. Diese Abwicklungsergebnisse verbessern das versicherungstechnische Ergebnis, ohne die aktuelle Schaden-Kosten-Quote unmittelbar zu beeinflussen.
Hinzu kommt, dass Kapitalerträge aus der Deckungsrückstellung in der Unfallversicherung stärker in die technische Rechnung einfließen als in anderen Kompositsparten. Je nach Bilanzierungspraxis können so Zins- und Abwicklungseffekte über mehrere Jahre hinweg wirken und kurzfristige Ausschläge in der Combined Ratio abfedern. Auch Rückstellungsauflösungen aus gekündigten Verträgen mit Beitragsrückgewähr können das Ergebnis zusätzlich stützen – insbesondere bei Unternehmen mit großen Altbeständen.
Damit wird deutlich: Die jährliche Combined Ratio bildet die tatsächliche Ertragslage der Unfallversicherung nur eingeschränkt ab. Hohe Quoten müssen daher nicht auf operative Schwächen hindeuten, sondern spiegeln häufig konservative Kalkulation, langfristige Verpflichtungen und bilanzielle Vorsicht wider.
Die besten Werte: Schaden-Kosten-Quote und Ergebnis
Auf der anderen Seite weisen einige Versicherer außergewöhnlich niedrige Schaden-Kosten-Quoten aus – allen voran zwei Gesellschaften aus dem HUK-Konzern. Die HUK24 senkte ihre Combined Ratio 2024 von 50,05 Prozent auf nur noch 27,77 Prozent und erreicht damit den niedrigsten Wert im gesamten Markt. Auch die HUK-Coburg Allgemeine verzeichnet eine deutliche Verbesserung: von 98,95 Prozent im Vorjahr auf 32,41 Prozent – ein ungewöhnlich starker Rückgang innerhalb eines Jahres, der sie von Rang 46 auf Rang 2 führt.
Auf den weiteren Plätzen folgen die WGV-Versicherung mit 34,70 Prozent (nahezu unverändert zum Vorjahr), die HUK-Coburg VVaG mit 51,25 Prozent sowie die HanseMerkur mit 52,39 Prozent. Auch Regionalversicherer wie die Provinzial Nord Brandkasse oder Spezialanbieter wie Cosmos und InterRisk bewegen sich mit Werten zwischen 53 und 56 Prozent auf einem ausgesprochen niedrigen Niveau. Im Branchenschnitt bleiben derartige Quoten die Ausnahme – sie unterstreichen die große Spannweite der Ergebnisse innerhalb der Unfallversicherung. Die besten CR in der Übersicht:
- HUK24: 27,77 % (2023: 50,05)
- HUK-Coburg Allgemeine: 32,41 % (2023: 98,95)
- WGV Versicherung: 34,70 % (2023: 34,59)
- HUK-Coburg VVaG: 51,25 % (2023: 73,22)
- HanseMerkur: 52,39 % (2023: 65,73)
- Provinzial Nord Brandkasse: 53,42 % (2023: 52,63)
- Cosmos: 54,64 % (2023: 33,90)
- InterRisk: 55,87 % (2023: 69,46)
Beste Ergebnisse
Wie bereits erwähnt, führt die Allianz auch 2024 die Ergebnisrangliste der Unfallversicherung mit großem Abstand an. Mit einem versicherungstechnischen Gewinn von 213,01 Millionen Euro (vor Veränderung der Schwankungsrückstellung) steht sie seit Jahren unangefochten an der Spitze und bestätigt ihre Rolle als stabiler Ergebnisträger innerhalb der Sparte.
Auf den folgenden Plätzen finden sich weitere Anbieter mit konstant hoher Ertragskraft: Die Ergo erreicht 149,89 Millionen Euro, die Generali Deutschland 110,95 Millionen Euro. Beide zählen seit Jahren zu den zuverlässigsten Ergebnislieferanten in der privaten Unfallversicherung. Auch Signal Iduna Allgemeine, Provinzial Versicherung, R+V Allgemeine, LVM und Debeka Allgemeine zeigen stabile Resultate und bewegen sich in einem Bereich, der die nachhaltige Profitabilität dieser Sparte unterstreicht:
- Allianz: 213,01 Mio. € (2023: 231,89)
- Ergo: 149,89 Mio. € (2023: 157,01)
- Generali Deutschland: 110,95 Mio. € (2023: 103,19)
- Signal Iduna Allgemeine: 91,14 Mio. € (2023: 87,99)
- Provinzial Versicherung: 67,19 Mio. € (2023: 70,24)
- R+V Allgemeine: 61,95 Mio. € (2023: 66,14)
- LVM: 57,20 Mio. € (2023: 43,94)
- Debeka Allgemeine: 54,53 Mio. € (2023: 65,81)
Hintergrund
Die hier präsentierten Daten stammen aus dem Branchenmonitor Unfallversicherung 2025 der V.E.R.S. Leipzig GmbH. Die Studie vergleicht die 50 größten Anbieter am deutschen Markt und deckt damit rund 94 Prozent des gesamten Prämienvolumens in der privaten Unfallversicherung ab. Untersucht werden zentrale Kennzahlen der Geschäftsjahre 2019 bis 2024 – darunter Prämien- und Vertragsentwicklung, Schaden-Kosten-Quoten, Betriebskosten sowie versicherungstechnische Ergebnisse.
Der Branchenmonitor Unfallversicherung 2025 ist Teil einer fortlaufenden Studienreihe zu den großen Kompositsparten. Dieser und weitere aktuelle Branchenmonitore der V.E.R.S. Leipzig GmbH stehen kostenpflichtig auf der Webseite der Leipziger Analysten zum Download bereit.