Immer mehr Menschen sind in Deutschland auf Pflege angewiesen – und immer mehr Angehörige müssen viel Zeit und sogar ihre berufliche Karriere opfern, um die Pflegebedürftigen zu Hause zu betreuen. Dies geht aus der aktuellen „Pflegestatistik 2011“ hervor, die das Statistische Bundesamt am Freitag der Öffentlichkeit vorstellte. Demnach stieg die Zahl der Pflegebedürftigen zwischen 2009 und 2011 um sieben Prozent, so dass zum Jahresende 2011 2,5 Millionen Menschen pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI) waren.

70 Prozent aller Pflegebedürftigen werden zu Hause betreut

Die aktuellen Zahlen zeigen, dass die Mehrheit der Pflegebedürftigen zu Hause betreut wird. Mehr als zwei Drittel aller Pflegefälle (70 Prozent bzw. 1,76 Millionen Menschen) werden von Angehörigen in den eigenen vier Wänden versorgt. 1,18 Millionen Pflegebedürftige nehmen zudem keine Hilfe eines ambulanten Pflegedienstes in Anspruch – hier sind allein Bekannte, Verwandte und Familienmitglieder für die Pflege zuständig.

Weitere 576.000 Pflegebedürftige leben zwar zu Hause, bei ihnen erfolgt die Pflege jedoch teilweise oder vollständig durch einen ambulanten Pflegedienst. Vollstationär in Pflegeheimen betreut wurden 2011 insgesamt 743.000 Pflegebedürftige (30 Prozent aller Pflegefälle).

In 2030 könnten 500.000 Pflegekräfte fehlen

Pflegeexperten nehmen die aktuellen Zahlen zum Anlass, weitreichendere Reformen zum Aufbau eines leistungsfähigen Pflegewesens zu fordern. Die Bundesregierung sei jetzt zum schnellen Handeln verpflichtet. „Im Moment läuft das zu langsam“, sagt die Vizepräsidentin des Deutschen Pflegerates, Gisela Bahr-Gabel, der Berliner Zeitung. „Es muss schneller gehen“.

So rechnet das Statistische Bundesamt mit einer weiteren Explosion der Pflegezahlen in den kommenden Jahren. Schon in den Jahren 2020 könnte es deutschlandweit 2,9 Millionen Pflegebedürftige geben. Für das Jahr 2030 erwarten die Statistiker sogar 3,4 Millionen Pflegefälle, wenn sich der Anteil der alten Menschen, die pflegebedürftig werden, nicht ändert.

Mit professionellen Kräften allein ist der Pflegebedarf jedoch kaum aufzufangen – schon jetzt zeichnen sich dramatische Versorgungsengpässe ab. “Wir sind schlecht vorbereitet. Wir haben zu wenige Pflegekräfte. Bis 2030 werden uns 500.000 oder mehr fehlen“, sagt Pflegeexperte Stefan Görres von der Universität Bremen der Frankfurter Rundschau. Mit einer Besserung der Situation sei kaum zu rechnen. „Der Beruf ist unattraktiv und es sind zu wenig Jugendliche da, die den Beruf ergreifen könnten.“

Experte fordert Pflegetagesstätten in Unternehmen

Einen Nachholbedarf konstatieren die Pflegeexperten vor allem bei der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Denn bisher verpuffen die Maßnahmen der Bundesregierung weitgehend wirkungslos. Eigentlich sollte das Familienpflegezeitgesetz von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) dafür sorgen, dass pflegende Angehörige entlastet werden. Für zwei Jahre dürfen Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit um die Hälfte reduzieren, wenn sie Angehörige zu Hause pflegen, und erhalten einen Lohnausgleich gezahlt.

Aber seit Inkrafttreten des Gesetzes in Januar 2012 haben kaum 200 Menschen die Familienpflegezeit beantragt. Die Regelung sei zu bürokratisch, argumentieren Kritiker. Zudem gibt es keinen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit, so dass ein Arbeitgeber den Antrag auf Familienpflegezeit immer ablehnen kann - ohne Angabe von Gründen (der Versicherungsbote berichtete).

Auch die häusliche Pflege wird den zukünftigen Mehrbedarf an Pflegekräften allein kaum auffangen können. Deshalb schlägt Pflegeexperte Stefan Görres vor, zusätzlich Tagespflegeeinrichtungen in Unternehmen aufzubauen. Auch häusliche Pflege-Netzwerke aus Familie, Nachbarn und Freunden könnten einen Beitrag zur Verbesserung der Betreuungssituation leisten.

Immer mehr Pflegebedürftige sind auf Sozialhilfe angewiesen

Wie schnell ein Pflegefall in der Familie in der Armutsfalle enden kann, belegen ebenfalls aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Denn immer häufiger muss die Sozialhilfe für die Pflege armer Menschen aufkommen. 2011 erhielten 423.000 Menschen die sogenannte "Hilfe zur Pflege", rund 2,9 Prozent mehr als im Jahr 2010. Die Kosten für die Sozialkosten betrugen rund 3,1 Milliarden Euro netto – Tendenz steigend.

„Hilfe zur Pflege“ bekommen Bedürftige, die auf fremde Hilfe angewiesen sind, die Pflegeleistungen aber nicht selbst bezahlen können und auch kein Geld aus der Pflegeversicherung erhalten. Je 1.000 Einwohner waren im Jahr 2011 in Deutschland durchschnittlich rund 7 Frauen und 4 Männer auf Hilfe zur Pflege angewiesen. Zwei Drittel (66 Prozent) der Hilfeempfänger waren Frauen. Diese waren mit 79 Jahren im Durchschnitt deutlich älter als die männlichen Leistungsbezieher mit 68 Jahren.

Statistisches Bundesamt (Destatis)