Frank Gassner ist einer dieser Aussteiger. Nach einem langen Prozess hat Gassner es geschafft, sich von der DVAG zu lösen. Rückblickend auf die Ausbildung der Vermögensberater resümiert er: „Was man lernt, ist Motivation und strukturiertes Arbeiten. Aber den Kunden optimal bedienen zu können - ist es leider nicht“. Vielmehr sei man zum Scheuklappendenken erzogen worden, sagt Gassner. Er ist mittlerweile als Makler aktiv. Vor allem deshalb, weil er seine Kunden nun wirklich unabhängig betreuen könne.

Der Begriff der Unabhängigkeit begegnet uns in der Reportage noch einige Male. Nach eigener Aussage ist die DVAG der Marktführer unter den eigenständigen Finanzbetrieben. Das Beratungsunternehmen zählt die Deutsche Bank AG oder Generali zu seinen Premium-Partnern und will sich so als branchenübergreifender Allfinanzberater ausweisen. Für „Otto Normalverbraucher“ mögen die Verweise auf Aachener und Münchner Versicherung, Central Krankenversicherung, Deutsche Bank AG oder Badenia Bausparkasse wirklich neutral wirken. Die DVAG ähnelt einem Ausschließlichkeitsvertrieb mit Pyramidenaufbau.

Höhepunkt mehrerer Interviews mit gezielten Fragen zur Unabhängigkeit der DVAG ist ein Berater, der feststellte, dass man doch mit einem LKW zum Kunden kommen müsse, wenn man 100 Partner hätte. Das wäre in der Praxis nicht möglich. Was dazu wohl Versicherungsmakler sagen?

Das Modell "Strukturvertrieb"

Das Modell „Strukturvertrieb“, wie es bei der DVAG, OVB oder Ergo Pro (früher HMI) vorzufinden ist, sei ein rein auf Verkauf und mit niedrigen Qualifikationsstandards basierendes System. So stellte es das Verbraucherschutzministerium im Rahmen der Studie: „Anforderungen an Finanzvermittler – mehr Qualität, bessere Entscheidungen“ fest.

Strukturvertriebe sind aufgebaut wie ein Pyramidensystem. Jede Hierarchiestufe verdient an der untergeordneten direkt mit, weshalb die Vermittler in den unteren Rängen den größten Teil ihrer Provisionen nach oben abgeben müssen. Daraus resultierend gibt es zwei grundlegende Ziele der Berater. Zum einen die aktive Akquise von Neukunden und Neugeschäft und zum anderen die Anwerbung von neuen Mitarbeitern. Denn jeder Mitarbeiter kann bare Münze wert sein. Nicht nur, dass jeder Vertrag des eigens geworbenen Mitarbeiters auch Provision abwirft, auch die vom Mitarbeiter geworbenen Mitarbeiter bringen, in der zweiten Ebene, auch Geld ein. So ist das Ziel klar: Es müssen schnell viele neue Mitarbeiter gefunden und motiviert werden.

Diese Aussage bestätigt auch Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur der Zeitschrift Finanztest. Im Vordergrund der Arbeit eines Vermögensberaters stünde nicht die Kundenbetreuung, so Tenhagen, sondern eher die Gewinnung neuer Mitarbeiter. Die Mitarbeiter seien dabei einem enormen Verkaufs- und Provisionsdruck ausgesetzt.

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"Beraten und Verkauft" - Egizzi über die DVAG

„Fachidiot schlägt Kunden tot“

Der Film zeigt auf, dass „gut mit Menschen können“ im Prinzip schon das Wichtigste sei. Dies wurde in Bewerbungsgesprächen offen kommuniziert. Ein Interviewpartner bemerkt dazu: „Vorkenntnisse? Das ist sowas von egal. Das ist mitunter manchmal ganz gut. Man kommt da schnell rein. Ein Begriff der Branche heißt: Fachidiot schlägt Kunden tot.“

Auch in der späteren Mitarbeiterschulung ist ein ähnlicher Tenor zu hören: „Wenn man bei uns anfängt, hat man keine Ahnung und das ist auch ganz gut so. Das ist wie bei einer Festplatte, die kann man von vorne bespielen. Wenn da erstmal ein paar Viren und Würmer drauf sind, dann ist das schwierig das alles erstmal runterzubringen.“

Eindrucksvoll gestaltet sich auch die jährliche Eigenveranstaltung der DVAG, der "Vermögensberater-Tag":

Bei diesem aufwendig und pompös gestalteten Event versammeln sich etwa 15.000 Unternehmensangehörige zum Selbstbeweihräucherungsakt. Betont wird der Zusammenhalt als eine "berufliche Familie".

Wie es im Film heißt, gibt die DVAG jährlich rund 50 Millionen Euro für Aus- und Weiterbildung aus. Da 60 Prozent der Berater nebenberuflich aktiv sind, ist die qualitativ hochwertige Beratung zusätzlich eher schwer zu garantieren. Da ist es kaum verwunderlich, dass einer Kundin sowohl eine Riester- als auch eine Rüruprente verkauft wurden. In einer Testberatung, in welcher der Berater zufällig ausgewählt wurde, ist diese Kombination sogar erneut verkauft worden.

Der Film zeigt auch, welche Schwierigkeiten damit verbunden sein können, sich von der Gesellschaft zu lösen. Denn die Berater sind in der Regel Handelsvertreter, vertraglich fest an die DVAG gebunden. Die Kündigungsfrist beträgt 15 Monate. Zusätzlich werden Provisionen zum Teil eingefroren werden. Dies macht es nicht einfacher, den Vertrieb zu verlassen. Mittlerweile sind diesbezüglich mehrere Klagen anhängig.

Der große Erfolg der DVAG zeichnet sich aber auch durch die gute Vernetzung mit der Politik aus. So hielten in den vergangen Jahren unter anderem Kanzlerin Angela Merkel und der damalige Außenminister Guido Westerwelle flammende Reden vor den Vertrieblern. Auffällig ist ebenfalls, dass viele Politiker in verschiedenen Positionen bei der DVAG tätig waren oder sind. So ist zum Beispiel Altkanzler Helmut Kohl im DVAG-Beirat, der ehemalige Finanzminister Theo Waigel ist im Aufsichtsrat und auch Westerwelle war bereits im DVAG-Beirat tätig. Ob dabei größere Parteispenden eine Rolle gespielt haben? So wird die enge Verknüpfung mit der Politik seit längerem wegen möglicher Einflussnahmen auf Gesetzesprojekte kritisch betrachtet. Laut TAZ-Parteispenden-Watch erhielt die CDU zwischen 2004 und 2010 knapp 860.000 Euro von der DVAG. Bei der FDP waren es immerhin noch 449.000 Euro.

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