Seit die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen mehrfach angehoben hat, sind auch die Chancen der deutschen Lebensversicherer wieder gestiegen, die Garantieversprechen aus hochverzinsten Altverträgen zu erfüllen: Die Anbieter können das Geld der Anleger nun wieder höher verzinst anlegen. Dennoch rechnet Tilo Dresig, CEO der Viridium Gruppe mit Sitz in Neu-Isenburg, damit, dass sich die Lebensversicherer weiterhin von Altverträgen trennen und diese an externe Abwickler übergeben werden. Demnach sieht er ein erhebliches Wachstumspotential für den externen Run-off.

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„Die Transaktionen der letzten Jahre waren erst der Anfang“, sagte Dresig am Dienstag bei einem Pressegespräch in Frankfurt am Main. „An einer weiteren Konsolidierung führt kein Weg vorbei, wenn wir die strukturellen Herausforderungen der Branche adressieren und die bestehenden Lebensversicherungen für die Kundinnen und Kunden attraktiver machen wollen. Als deutscher Marktführer werden wir bei dieser Konsolidierung eine wesentliche Rolle spielen“, so der Vorstand.

Deutscher Markt stark fragmentiert

Dreisig verweist darauf, dass die deutsche Lebensversicherungsbranche ungewöhnlich stark fragmentiert ist. Das bedeutet: Es gibt viele kleine Anbieter mit geringen Marktanteilen. Von mehr als 80 Lebensversicherern, die aktuell auf dem deutschen Markt aktiv sind, würden nur die fünf größten Gruppen überhaupt einen Marktanteil von mehr als fünf Prozent erreichen. Und die Anbieter würden sich nach wie vor mit finanziellen und operativen Herausforderungen konfrontiert sehen: unter anderem oftmals veraltete IT-Systeme und eine sehr hohe Anzahl an verschiedenen Tarifen. Entsprechend sind die Bestandssysteme wartungs- und kostenintensiv und umfassende Investitionen in Altbestände notwendig.

„Mit dem Verkauf von Altbeständen können Erstversicherer Kapital, Managementkapazitäten und operative Ressourcen für den Ausbau ihres Kerngeschäfts freisetzen, und sich damit zukünftiges Wachstum ermöglichen. Die Kundinnen und Kunden profitieren von höheren Überschüssen, hoher Kapitalstärke und langfristig nachhaltiger operativer Stabilität“, sagt Dresig.

Laut Dresig habe die Proxalto, der größte Bestandsversicherer der Viridium Gruppe, seit der Übernahme vor fünf Jahren rund eine Milliarde Euro mehr der Rückstellung für Beitragsrückerstattung (RfB) zugeführt als zuvor. Die Proxalto verwaltet frühere Leben-Verträge der Generali. Die Proxalto habe bereits im vergangenen Jahr die laufende Verzinsung von 1,25 Prozent auf 2,35 Prozent erhöhen können, berichtet der Vorstand. Mit einer laufenden Verzinsung von 3,25 Prozent liege die Viridium-Gesellschaft Entis sogar an der Spitze des deutschen Marktes.

Weitere Wachstumspläne trotz gescheiterter Übernahme von Zurich-Verträgen

Geplatzt ist zum Jahresanfang allerdings die Übernahme von Altbeständen der Zurich Leben: obwohl beide Unternehmen sie angestrebt haben. Viridium schrieb zur Begründung, dass der geplante Deal „im Hinblick auf unsere derzeitige Eigentümerstruktur nicht wie geplant durchgeführt werden“ konnte. Branchenbeobachter haben deshalb vermutet, dass es zu Problemen beim Inhaberkontrollverfahren der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) kam. In diesen Verfahren wird u.a. geprüft, ob den Versicherten Nachteile durch den Deal entstehen könnten und ob der Käufer seine finanziellen Verpflichtungen erfüllen kann. Der Hintergrund für ein mögliches Nein: Mehrheitseigner von Viridium ist der Londoner Investor Cinven, dem auch der italienische Lebensversicherer Eurovita gehört. Als dieser ins Straucheln geriet, weigerte sich Cinven zunächst Geld nachzuschießen, sodass die Zahlungen an Versicherte in Gefahr gerieten.

Die gescheiterte Übernahme der Zurich-Verträge "war keine Absage an Run-Off im Allgemeinen, unser Geschäftsmodell oder Viridium“, positioniert Dresig sich nun. „Wir werden deshalb unsere Strategie weiterverfolgen und perspektivisch wieder Wachstumschancen wahrnehmen.“ Viridium sei mit rund 3,4 Millionen Verträgen und 67 Milliarden Euro Kapitalanlagen eine der größten deutschen Lebensversicherungsgruppen, berichtet der Vorstand. Das Prämienvolumen lag im vergangenen Geschäftsjahr bei 3,0 Milliarden EUR (2022: 3,1 Milliarden EUR). Das Konzernergebnis nach Steuern betrug 342 Millionen Euro (2022: 331 Millionen Euro). Finale Zahlen sollen Ende Mai bekanntgegeben werden.

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Seit dem Sommer 2022 sorgte Viridium jedoch auch für negative Schlagzeilen. Wie Finanztest berichtete, zahlte die Unternehmenstochter Proxalto Lebensversicherungen an Kundinnen und Kunden verspätet aus. Proxalto hat 2019 rund 3,8 Millionen Renten- und Lebens­versicherungs­verträge der Generali über­nommen und führt sie bis zum Ablauf fort. Dem Versicherungsbote bekannt ist ein Fall, in dem ein Versicherter viereinhalb Monate auf seine Leben-Rente warten musste. Die Verbraucherzentrale Hamburg hat deshalb extra eine Seite eingerichtet, in der Kundinnen und Kunden sich beschweren können - und auch rechtliche Schritte in Erwägung gezogen.

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