Die Stornohaftung sorgt im Versicherungsvertrieb immer wieder für Diskussionen. Vermittlerinnen und Vermittler haften mindestens fünf Jahre, wenn sie Verträge in der Lebens-, Restschuld- oder Krankenvollversicherung vermitteln: Kündigt der Kunde vorzeitig, müssen sie einen Teil der Abschlussprovision zurückzahlen (§ 49 Abs. 1 VAG). Das Gesetz soll die Qualität der Beratung unterstützen und verhindern, dass Vermittlerinnen und Vermittler ihren Kundinnen und Kunden ungeeignete Verträge „aufschwatzen“, weil sie eine möglichst hohe Abschlussprovision anstreben. Zwischenzeitlich wurde im Zuge der LVRG-Reform von 2014 sogar diskutiert, die Stornohaftung auf zehn Jahre auszudehnen.

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Die Stornohaftung gilt aber unabhängig davon, wie gut die Beratung tatsächlich war. Ändert sich zum Beispiel die Lebenssituation eines Kunden, so dass er aufgrund von Arbeitslosigkeit oder einer Scheidung seinen Vertrag kündigt, muss auch der Vertreter unverschuldet einen Teil der Provision bzw. der Makler seine Courtage zurückgeben. Für die Honorarberatung gibt es eine solche Haftungszeit nicht: obwohl auch hier wiederholt Missstände festgestellt werden konnten. So fordert der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), dass eine vergleichbare Regelung wie die Stornohaftung auf für Honorberater eingeführt wird: Der Kunde sollte einen Anteil seines gezahlten Honorars zurückerhalten, wenn er den Versicherungsvertrag bereits nach kurzer Laufzeit wieder kündigt.

Viele Vermittler haften in der Lebensversicherung länger

In der aktuellen BVK-Strukturanalyse 2022/23 wurden die Vermittlerinnen und Vermittler erstmals auch zu ihren Stornohaftungszeiten in der Lebensversicherung befragt. Ein Ergebnis: Gut jeder fünfte Vermittler muss aufgrund interner Regelungen mit den Versicherern länger als fünf Jahre haften, wenn der Vertrag vorzeitig gekündigt wird.

Zwar geben rund drei Viertel der befragten Vermittlerinnen und Vermittler (74,6 Prozent) an, dass sie exakt die gesetzlich vorgeschriebenen fünf Jahre haften. Bei den Einfirmenvertretern trifft dies auf 74,9 Prozent der Befragten zu, bei den Mehrfachvertretern auf 65,0 Prozent und bei den Maklern auf 75,2 Prozent. Zu beachten ist, dass sich an der Studie mehrheitlich Versicherungsvertreter beteiligt haben (93,6 Prozent), was speziell auf Maklerseite aufgrund der kleinen Stichprobe die Ergebnisse verzerren kann.

Zeitgleich zeigt sich aber eine nicht unbedeutende Zahl von Vermittlern, die auch länger haften müssen:

  • Bei den Einfirmenvertretern geben 9,2 Prozent der Befragten an, dass sie „sechs bis neun Jahre“ haften, 12,2 Prozent haften sogar zehn Jahre und mehr.
  • Bei den Mehrfachvertretern antworteten 11,7 Prozent, sie hätten eine Stornohaftungszeit von sechs bis neun Jahren, 18,3 Prozent haften zehn Jahre und mehr.
  • Bei den Versicherungsmaklern antworteten 6,9 Prozent, sie hätten Stornohaftungszeiten von sechs bis neun Jahren, 12,7 Prozent gaben eine Stornohaftung von zehn und mehr Jahren an.

Makler haben tendenziell eine etwas längere Stornohaftungszeit

"Tendenziell ist die Stornohaftungszeit bei Maklern und Mehrfachvertretern etwas höher als bei Ausschließlichkeitsvertretern, allerdings machen sich in den relativ kleinen Stichproben Ausreißerwerte bemerkbar“, berichten die Autoren der BVK-Strukturanalyse. So haben Ausschließlichkeitsvertreter im Durchschnitt eine Stornohaftungszeit von 5,8 Jahren, Mehrfachvertreter von 6,0 Jahren und Makler von 6,1 Jahren. Über alle untersuchten Vertriebswege beträgt die Stornohaftungszeit im Durchschnitt 5,8 Jahre. Die Vermutung, dass die Stornohaftungszeit mit der Höhe der Abschlussprovision korreliert, da eine höhere Abschlussprovision auch mehr Zeit benötigt, um aus dem abgeschlossenen Vertrag verdient zu werden, hat sich nicht bestätigt. Eine Korrelationsanalyse ergab keinen Zusammenhang zwischen Provisionshöhe und Stornohaftungszeit.

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Erstmals wurden auch die Bestandsprovisionen in der Lebensversicherung abgefragt. Danach verfügt immer noch mehr als die Hälfte der Ausschließlichkeitsvertreter über keine Bestandsprovisionszusage in der Lebensversicherung, wohingegen sie bei Maklern und Mehrfachvertretern weitgehend üblich ist. Wenn es eine solche Provisionszusage gibt, dann liegt sie im Mittel mehrheitlich bei einem Prozent des Jahresbeitrags im Vertretervertrieb und bei ein bis zwei Prozent im Maklervertrieb.

Blick auf einzelne Versicherer: In der Ausschließlichkeit variiert Vergütung

Ein weiteres Ergebnis überrascht möglicherweise. So variiert die Stornohaftung innerhalb der Ausschließlichkeit selbst bei Vermittlerinnen und Vermittlern ein und desselben Versicherers. „Entweder vereinbaren die Gesellschaften mit ihren Vertretern keine einheitlichen Stornohaftungszeiten oder die vertraglich vereinbarte Dauer ist vielen Befragten nicht bekannt“, kommentieren die Studienautoren. Also gängige Praxis oder potenzielle Fehlerquelle in der vorliegenden Analyse? Eine Frage, auf die man gerne eine Antwort hätte.

Grundsätzlich ist es jedoch nicht unwahrscheinlich, dass den Agenturen eines Versicherers auch hinsichtlich der Stornohaftung unterschiedliche Verträge angeboten werden, da die meisten Agenturen als Handelsvertreter und damit selbstständig tätig sind. Sollte dies der Fall sein, kann die vorliegende Studie keine Antwort auf die Frage geben, welche Faktoren diese unterschiedlichen Verträge beeinflussen: z.B. Region, Zielgruppe, Dauer der Tätigkeit, Laufzeit des Vertrages etc. Denkbar ist auch, dass der angestellte Außendienst und die selbstständigen Vertreter unterschiedliche Bedingungen mit Blick auf die Stornohaftung erhalten.

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Die durchschnittliche Stornohaftungszeit bei einzelnen Versicherern

In der aktuellen BVK-Strukturanalyse wurde auch untersucht, wie sich die Stornohaftungszeiten in der Lebensversicherung bei die einzelnen Versicherern verteilen. In die Auswertung flossen nur Versicherer ein, die mindestens 20 Stimmen auf sich vereinigen konnten. Die höchsten Durchschnittswerte weisen drei öffentliche Versicherer auf: Die Öffentliche Braunschweig mit durchschnittlich 6,3 Jahren Stornohaftungszeit, die Öffentliche Oldenburg mit 6,2 Jahren und die VGH/ÖVB, ein Zusammenschluss öffentlicher Versicherer mit Schwerpunkt Hannover und Bremen, mit 6,1 Jahren Stornohaftungszeit.

Doch ein öffentlicher Versicherer steht auch am anderen Ende der Skala. Die im Durchschnitt kürzeste Stornohaftungszeit wurde bei der Provinzial Münster mit 5,2 Jahren beobachtet. Es folgt die DEVK mit durchschnittlich 5,4 Jahren Stornohaftung und die Stamm-Organisation der Ergo (5,5 Jahre).

Ein Blick auf die einzelnen Anbieter zeigt, wie groß die Spanne bei einem einzelnen Versicherer sein kann: Wobei die Stornohaftungszeit auch von Faktoren wie Vertragsart, Laufzeit etc. abhängen kann. Für die Allianz haben beispielsweise 333 Vertreter geantwortet. 3,9 Prozent der Allianz-Vertreter geben eine Stornohaftungszeit von unter fünf Jahren an: Was theoretisch einen Rechtsbruch bedeuten würde. Die große Mehrheit nennt eine Stornohaftung von genau fünf Jahren (78,4 Prozent). Eine Stornohaftung von sechs bis neun Jahren wollen 9,3 Prozent der Allianz-Vertreter beobachten, zehn und mehr Jahre Stornohaftung immerhin noch 8,4 Prozent.

Ein ähnliches Bild bei der Ergo Ausschließlichkeitsorganisation (ERGO AO), die mit 136 Stimmen die zweitmeisten Stimmen aller abgefragten Versicherer auf sich vereint. 4,4 Prozent der Ergo-Vertreter beobachten eine Stornohaftungszeit von unter fünf Jahren, 71,3 Prozent von genau fünf Jahren, 8,8 Prozent von sechs bis neun Jahren und sogar 15,4 Prozent von zehn Jahren und mehr.

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Die Studie BVK-Strukturanalyse 2022/23 hat 168 Seiten im Format DIN A4 und wird angeboten als E-Book im PDF-Format, für 494 Euro inklusive Mehrwertsteuer im E-Mail-Versand. Sie kann beim Verlag VersicherungsJournal hier bestellt werden.

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