Wie die Lehrerin ihrer Schülerin zur Seite sprang

Wie sehr die Argumente der Unfallkasse außerdem die Realität des Homeoffice verfehlten, zeigt die Argumentation der Englischlehrerin. Denn die Englischlehrerin wurde zu einer wichtigen Zeugin vor Gericht. Dies betrifft insbesondere die Frage, ob über Distanz ein regulärer Unterricht aufrecht erhalten kann – die Unfallkasse schien dies im eigenen Interesse anzuzweifeln. Was jedoch falsch ist:

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  • So besteht während des Distanzunterrichts Anwesenheitspflicht – wie bei einer regulären Schulstunde auch. Da die Lehrerin sieht, welche Schüler sich einloggen, kann sie die Anwesenheit auch kontrollieren.
  • Die Lehrerin achtet während des Distanzunterrichts auch darauf, alle Schüler aufzurufen – hierdurch hat sie Kontrolle über die Mitarbeit.
  • Es ist normal, dass während der Lösungszeit die Zahl der Schüler online kurz abnimmt, die sich dann zur Auflösung der Aufgaben wieder einloggen. Dies bedeutet jedoch keine Abwesenheit, sondern die Schüler bearbeiten in der gegebenen Zeit die Aufgaben und loggen sich danach wieder ein.
  • Durch ein Feedback zum Ende des Unterrichts, das von den Schülern verlangt wird, ist aber auch eine konstante Teilnahme über die gesamte Zeit des Distanzunterrichts garantiert.

Diesbezüglich stellte die Lehrerin auch heraus, dass es sich bei der Schülerin um eine engagierte und fleißige Schülerin handelt, die sich stets an den Aufgaben beteiligt. All diese Punkte sprechen dagegen, den Status des regulären Unterrichts anzuzweifeln oder sogar daran zu zweifeln, dass die Beteiligung am Unterricht ursächlich für den Unfall war.

Der Gesetzgeber ist eigentlich deutlich

Dass die Unfallkasse die Leistung verweigert, erstaunt aber auch durch einen anderen Punkt, auf den das Sozialgericht München hinwies. Denn die Verbreitung des Homeschoolings, aber auch des Homeoffice schuf eine Rechtsunsicherheit bezüglich des Versichertenstatus, auf die der Gesetzgeber bereits mit einer Neuregelung in Paragraf 8 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII) reagierte – dem Paragrafen zum Arbeitsunfall. In Absatz 1 Satz 3 des Paragrafen heißt es: "Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte."

Ein Satz, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Die Änderung trat zusammen mit dem am 18.06.2021 in Kraft getretenen Betriebsrätemodernisierungsgesetz (BRMG) in Kraft. Und so urteilt auch das Münchener Sozialgericht in aller Deutlichkeit: "Eine klare Grenzziehung dergestalt, dass der Schutzbereich der Schülerunfallversicherung an der eigenen/elterlichen Wohnungstür endet, ist mit der Neuregelung in Paragraf 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nicht mehr vereinbar. (...) Auch das Gericht empfindet es daher als sachgerecht, den Unfallversicherungsschutz an diese veränderten Lebensumstände anzupassen."

Für "synchronen" Unterricht muss die gesetzliche Unfallversicherung leisten

Letztendlich grenzt das Gericht zwei Unterrichtsformen ab: Den synchronen und den asynchronen Unterricht. Synchron bedeutet hierbei, "dass Lehrperson und Schüler gleichzeitig in einem fest definierten Zeitraum... an einer Lehrveranstaltung teilnehmen". Und um einen solchen handelt es sich auch beim Online-Englischunterricht:

"Beim Online-Englisch-Unterricht handelte es sich um synchrone Lehre, da der Unterricht in einem fest definierten Zeitraum mit fixem Start- und Endzeitpunkt stattgefunden hat. Eine beidseitige Kommunikationsmöglichkeit mittels Ton- und Bildübertragung hat jederzeit bestanden, da grundsätzlich von Seiten der Lehrerin und der Schüler Kontaktaufnahme möglich gewesen ist. Die Schüler und die Lehrerin hätten sich jederzeit per Kamera und Audio hinzuschalten können. Dass die Kameras und Mikrofone zwischenzeitlich ausgeschaltet waren, ist datenschutzrechtlichen und organisatorischen Gründen geschuldet und für den Versicherungsschutz hier unschädlich."

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Aus diesem Grund gelangt das Gericht auch "zusammenfassend zur Überzeugung, dass der notwendige sachliche Zusammenhang zwischen Schulbesuch und unfallbringender Verrichtung gegeben ist. Nach alledem war der Klage im Hinblick auf die Anerkennung des Ereignisses (...) als Versicherungsfall stattzugeben." Anders gesagt: Beim Unfall der Schülerin handelt es sich laut Sozialgericht München um einen Arbeitsunfall, so dass die gesetzliche Unfallversicherung hierfür aufkommen muss. Das Urteil ist online verfügbar.

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