Versicherungsbote: Frau Conrads, Sie sind seit eineinhalb Jahren im Vorstand der Allianz Lebensversicherung. In der Zeit haben sich die Rahmenbedingungen für Lebensversicherer teils drastisch verändert: Die Niedrigzinsphase ist vorbei, die Inflation stieg und belastet die finanzielle Situation der Deutschen. Wie haben Sie auf diese Situation reagiert? Musste die Allianz Leben umdenken?

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Heinke Conrads: Man kann es so formulieren: Der Zins ist plötzlich wieder da, damit sind wir nach so vielen Jahren von Niedrig- und Nullzins in einer neuen Epoche der Lebensversicherung angekommen. Wir sehen, dass viele Menschen verunsichert sind. Sie möchten für die Zukunft vorsorgen, aber können sich mit Blick auf Inflation und wirtschaftliche Unsicherheit derzeit nicht entscheiden.

Wir haben die vergangenen Jahre genutzt, um moderne, kapitalmarktnahe Produkte zu entwickeln, digitaler und flexibler zu werden. Die Umstellung auf Produkte ohne 100%-Beitragsgarantie gibt uns die Möglichkeit, verstärkt in alternative Anlagen zu investieren, die sich durch eine hohe Inflationssicherheit und gute Renditen auszeichnen. Und es zeigt sich, dass unsere kapitalmarktnahen Produkte auch unter den veränderten Bedingungen bestens performen, sie werden von den Kundinnen und Kunden am häufigsten nachgefragt.

Mussten Sie auch Ihre Anlagestrategien an das sich ändernde Marktumfeld anpassen? Wo setzen Sie aktuell Schwerpunkte bei der Anlage der Kundengelder?

Die Basis unserer Vorsorgekonzepte ist das Sicherungsvermögen, in dem wir Kapital breit gestreut anlegen. Und zwar neben festverzinslichen Anlagen auch in chancenorientierte Substanzwerte wie Aktien und nicht-börsengehandelte alternative Anlagen, also etwa Erneuerbare Energien, Infrastruktur, Immobilien oder Private Debt. Damit bieten wir eben auch in turbulenten Zeiten Sicherheit und können auf die lange Sicht attraktive Renditen erwirtschaften. Und gerade die alternativen Anlagen stehen für Inflationsschutz, weil bei konkreten Anteilen an Unternehmen, Projekten oder Gebäuden auch eine steigende Inflation nichts an ihrem Wert ändert.

Zudem sind bei festverzinslichen Anlagen die Nominalwerte entscheidender als die Zeitwerte. Weder die Zinszahlung auf diese Papiere, noch die Rückzahlung zum Nennwert sind durch den gesunkenen Zeitwert beeinflusst. Gleichzeitig profitiert die Wiederanlage im Sicherungsvermögen vom gestiegenen Zinsniveau.

Wie bewerten Sie aktuell die Situation der deutschen Lebensversicherer? Wo sehen Sie Chancen - wo Risiken?

Wir sehen es schon beim Konsum, dass Verbraucherinnen und Verbraucher derzeit zurückhaltend sind. Das setzt sich in vielen Bereichen und Branchen fort und wirkt sich nicht zuletzt auch beim Vorsorgesparen aus. Zugleich hat der plötzliche und durchaus drastische Zinsanstieg das Werben um Anlegerinnen und Anleger wiedererweckt. Bei der Geldanlage, also aus Versicherer-Sicht für Einmalbeiträge, können die Banken aktuell mit guten Konditionen punkten, zugleich locken ETF-Angebote mit günstigen Konditionen – auch wenn es bei beiden Formen um Kapitalanlage und nicht um Vorsorge geht. Und das zeigt auch schon die Pluspunkte, die wir als Lebensversicherer im Werben um Vorsorgesparerinnen und Vorsorgesparer haben: Wir können echte Zukunftsvorsorge organisieren, ein zusätzliches, lebenslanges Einkommen im Alter. Wir stehen für langfristigen Vermögensaufbau mit attraktiven Renditechancen und Sicherheitselementen, um Verlustrisiken zu begrenzen, und verbinden diesen mit kollektiven Risikovorsorgeelementen wie z. B. Arbeitskraftabsicherung oder lebenslangen Rentenzahlungen.

Wie gesagt, es herrscht derzeit Zurückhaltung bei der Vorsorge, aber zugleich sehen wir weiterhin viel Geldvermögen auf Giro- und Sparkonten. Parallel wirkt sich die derzeitige rentenpolitische Diskussion bei aller Kritik auch positiv auch, weil sie den Fokus wieder auf die Altersvorsorge lenkt.

In Deutschland ist die Lebensversicherung zunehmend umstritten, obwohl mit mehr als 82 Millionen Verträgen noch immer das vielleicht wichtigste Instrument der privaten Altersvorsorge. Die Allianz ist unangefochtener Marktführer. Was entgegnen Sie Verbraucherverbänden wie dem BdV, die von Lebensversicherungen als Altersvorsorge abraten?

Die Lebensversicherung ist mit privater Rentenversicherung und betrieblicher Altersversorgung für eine stabile Altersvorsorge für die Menschen in Deutschland unabdingbar. Jedes Jahr zahlen die deutschen Lebensversicherer 85 Milliarden Euro aus. Allein die Allianz Lebensversicherung hat 2022 fast 20 Milliarden Euro an Leistungen für Ihre Kundinnen und Kunden erbracht.

Lebensversicherer schaffen Werte für die Kunden – in Form von Rendite und Vermögensaufbau, von Sicherheit und Risikoabsicherung für sich selbst und für die Familie, mit professioneller Kapitalanlage. Sie ist flächendeckend für alle da und sichert zuverlässig ein lebenslanges zusätzliches Einkommen. Lebenslang – auch das ist ein starkes Asset der Lebensversicherung, weil eben nicht in den letzten Jahren des Lebens das gesparte Geld auszugehen droht.

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Wir stellen uns gerne der Kritik, und arbeiten hart daran, unsere Angebote weiterzuentwickeln. Aber wer von der Lebensversicherung abrät, der sollte auch eine wirkungsvollere, eine zuverlässige und leistungsfähige Alternative aufzeigen. Die sehe ich nicht.

Ausbleibende Riester-Reform: "Verlorene Jahre, die man nicht wieder aufholen kann"

Die gesetzliche Rentenversicherung wird seit Jahren mit einem signifikanten Bundeszuschuss über Wasser gehalten. Wie sehen Sie die Entwicklungen der gesetzlichen Rente oder frei nach Norbert Blüm: Ist die Rente noch sicher?

Ich denke, wir sollten die Vorsorge ganzheitlich sehen: Wir haben mit den drei Säulen gesetzlich, betrieblich und privat in Deutschland ein weltweit einmaliges System der Altersvorsorge. Dabei ist die gesetzliche Rentenversicherung eine wichtige Basis der Altersvorsorge und würdigt die Lebensleistung der Menschen mit einer Rente. Sie steht aufgrund der Umlagefinanzierung natürlich mit dem demografischen Wandel besonders unter Druck, gerade wenn in den kommenden Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. In den meisten Fällen wird die Versorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung nur als Grundversorgung ausreichen. Zum Sichern eines angemessenen Lebensstandards sind die Menschen auf zusätzliche Vorsorge angewiesen.

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Diese Herausforderung müssen wir anpacken, jetzt gilt es, das System weiterzuentwickeln und zu reformieren. Wir müssen die betriebliche und die private Säule stärken und damit möglichst vielen Menschen in Deutschland Zugang zu verschiedenen Formen der Vorsorge bieten.

Die FDP will eine Aktienrente installieren. Was halten Sie von kapitalbasierten Komponenten in der Sozialversicherung?

Lassen Sie uns an diese Frage aus dem Blickwinkel der Kundinnen und Kunden herangehen: Die Menschen wollen für ihr Alterseinkommen nicht allein auf den Aktienmarkt angewiesen sein! Wichtig ist, nicht alles auf eine Karte zu setzen, wie wir auch bei der Energieversorgung gesehen haben. An der Börse geht es nicht immer nur aufwärts – und das trifft dann besonders hart, wenn man zu einer ungünstigen Zeit Geld fürs Alterseinkommen braucht.

Aber grundsätzlich kapitalmarktbasierte Elemente in der gesetzlichen Rentenversicherung einzuführen, das kann und muss Teil der Weiterentwicklung unseres Systems der Vorsorge sein, da eine reine Umlagefinanzierung schon lange an ihre Grenzen gestoßen ist.

Die Riester-Rente hat einen mindestens schweren Stand. Zum Teil ist dies durch zu hohe Kosten eigenverschuldet. Auf der anderen Seite kann die geförderte Altersvorsorge für viele Verbraucher sehr sinnvoll sein. Was halten Sie von der ursprünglichen Idee von Walter Riester und deren Umsetzung?

Die Fakten sprechen für sich: Riester hat über 16,7 Millionen Menschen erreicht, mit Riester wurden insgesamt über 150 Milliarden Euro angespart! Riester war und ist der Einstieg für junge Leute zur zusätzlichen Vorsorge, ein wirkungsvoller Zugang für Frauen zu einem zusätzlichen Alterseinkommen und ein wesentlicher Baustein zur Vorsorge für Menschen mit niedrigem Einkommen.

Und gerade deshalb hätten wir längst eine Reform auf den Weg bringen oder ein starkes Nachfolge-Angebot einführen müssen. Derzeit ziehen sich Anbieter zurück und es schließen weit weniger Menschen neue Verträge ab. Das heißt: Sie verlieren wertvolle Jahre der Vorsorge. Verlorene Jahre, die man nicht wieder aufholen kann.

Eine Arbeitsgruppe des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hat ein Konzept für eine neue staatlich geförderte Altersvorsorge ausgearbeitet. Was kann die Bürgerrente, was die Riester-Rente nicht kann und warum kann dieses Modell den Ansatz einer staatlich geförderten Altersvorsorge retten?

Im Vorschlag der Bürgerrente ist das umgesetzt, was wir bei Riester hätten verbessern sollen: Die Bürgerrente ist einfach und schlank aufgebaut, mit niedrigerer Beitragsgarantie vereint sie Sicherheit mit Renditechancen und ist verbunden mit einer leicht verständlichen Förderung. Das Konzept der Bürgerrente ist von den Bedürfnissen der Menschen her gedacht. Genau das ist eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen einer staatlich geförderten Altersvorsorge, egal ob nun Bürgerrente oder ein anderer Vorschlag: Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger für eine moderne Basis-Vorsorge wirklich gewinnen.

"Ein externer Verkauf von Beständen steht derzeit nicht zur Diskussion"

Die Allianz Leben hat das Einmalbeitrags-Geschäft in den letzten Jahren zum Teil zurückgefahren. Viele Jahre entfiel das Wachstum im Neugeschäft auf Einmalbeiträge. Welche Rolle haben diese Policen aktuell in der Strategie der Allianz Leben? Wird aus Ihrer Sicht die Bedeutung des Einmalbeitrags-Geschäfts eher zu- oder abnehmen?

Die Vorsorge gegen Einmalbeiträge ist rückläufig, aber wie Sie ja andeuten: Ein Rückgang von überaus hohem Niveau aus. Und die Entwicklung hat viel mit der aktuellen Situation zu tun, in der viele Menschen bei ihren Entscheidungen zurückhaltend sind. Das sieht man ja zuallererst am rückläufigen Konsum in Deutschland.

Einmalbeiträge werden aber weiter eine tragende Rolle spielen, das zeigt schon ein Blick auf die Demografie: Wenn jetzt die geburtenstarken Jahrgänge noch Lücken in der Vorsorge schließen, dann tun sie das mit Einmalbeiträgen. Bei der Allianz haben wir die Konditionen dafür deutlich verbessert, indem wir zum Bespiel die eigenen Überschussanteilssätze angepasst haben und jetzt auch die Mindest-Aufschubdauer auf bis zu zwei Jahre verkürzen.

Übrigens: Das Neugeschäft gegen laufenden Beitrag, die biometrische Absicherung und generell die betriebliche Altersversorgung entwickeln sich positiv.

Aber müsste sich nicht der Druck auf die Unternehmen durch hohe Kosten und lahmende Konjunktur auch negativ auf die bAV auswirken? Sparen Unternehmen nicht als erstes an diesen Leistungen on top?

Die größte Sorge bereitet den Unternehmen heute der Fachkräftemangel. Und das heißt auch, dass ich als Betrieb alles dafür tun muss, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten und mich für Gesundheit und Leistungsfähigkeit alternder Belegschaften zu engagieren. Unternehmen wollen mit der betrieblichen Altersversorgung und der betrieblichen Krankenversicherung Benefits für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bieten. Das heißt für uns als Anbieter: Wir sprechen mit unseren Firmenkunden zunächst nicht über Produkte und Angebote. Wir sprechen mit ihnen über Benefit-Strategien.

Die Allianz hat sich sehr zeitig von „klassischen“ Garantien in der LV verabschiedet und stärker auf den Kapitalmarkt gesetzt. Mit dem steigenden Zinsniveau könnten garantiegebundene Produkte wieder eine Rolle spielen. Ist ein Comeback aus Ihrer Sicht realistisch? Wird vielleicht sogar die Allianz wieder auf „klassische“ Produkte setzen?

Eine Renaissance der klassischen Lebensversicherung sehe ich nicht. Und zwar ganz einfach, weil die kapitalmarktnahen Angebote weit attraktiver sind. Werfen wir einen Blick auf die Vorsorgekonzepte der Allianz: Wir können darin Sicherheiten und Garantieelemente so mit Renditechancen und Freiheitsgraden in der Kapitalanlage abstimmen, wie es zum individuellen Bedarf der Kundinnen und Kunden passt. Die angepassten Garantien haben hier für eine höhere Flexibilität gesorgt, die bei volatilen Märkten ihre Wirkung zeigt. Und die Entwicklung der Nachfrage zeigt ganz deutlich, dass diese Angebote von unseren Kundinnen und Kunden sehr gut angenommen werden.

Im März gingen am Markt Gerüchte um, die Allianz könnte deutsche Leben-Bestände in den Run-off geben: die Allianz hat dementiert. In anderen Staaten hat sich die Allianz allerdings bereits von Leben-Beständen getrennt. Wie positionieren Sie sich grundsätzlich zum Thema Run-off? Erleichtern steigende Zinsen es den Versicherern nicht, die Verträge zu halten?

Fakt ist, dass die Allianz weltweit kontinuierlich Maßnahmen zur Optimierung der Kapitaleffizienz evaluiert. Allianz Leben ist nachhaltig positioniert, finanzstark und innovativ, mit über 10 Millionen Kundinnen und Kunden der größte Lebensversicherer in Deutschland, ist wachstumsorientiert und bietet eine attraktive Kapitalrendite. Ein externer Verkauf von Beständen steht seitens Allianz Leben derzeit nicht zur Diskussion.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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