Solvabilität ist die aufsichtrechtlich geforderte Fähigkeit von Versicherungsunternehmen, die dauernde Erfüllbarkeit der eingegangenen Verpflichtungen jederzeit durch ausreichende Solvabilitätsmittel sicherzustellen. Im Rahmen von Solvency II, als Projekt der EU-Kommission zur grundlegenden Reform des Versicherungsaufsichtsrechts in Europa, sprach Frank Grund zum Status Quo. Da bei der Neuregelung insbesondere Fragen der Finanzaufsicht, des Risikomanagement und der Finanzberichtserstattung von Versicherungsunternehmen diskutiert werden, ist die BaFin Auskunftgeber Nummer 1. Ziel sei es, ein weitgehend wettbewerbsneutrales Aufsichtssystem zu schaffen. Die tatsächliche Risikolage des Versicherers soll so umfassend und realistisch beschrieben werden. Im Weiteren soll das neue Aufsichtssystem bei den Versicherungsunternehmen Anreize setzen, unternehmensinterne Risikomanagementsysteme zu implementieren. Solvency II, so Grund, wird allerdings erst dann tragende Erfahrungen bringen, soabld das „Day-one-Reporting“ (20. Mai 2016) da ist. Nach Einschätzung von Grund könne man derzeit davon ausgehen, dass die Unternehmen und auch die BaFin gut vorbereitet sind, sich zum gegebenen Zeitpunkt mit den Daten zu beschäftigen.

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Künstliche Volatilität

Problematisch sieht Herr Grund die Modelle zur künftigen Volatilität in Sachen der sich daraus ableitenden Zukunftsfortschreibungen. Dies insbesondere für die Fälle, bei denen eigene, vorhandene Risiken modellweise überzeichnet werden. Fehlerraten könnten dann, so Grund, in beide Richtungen passieren. In Zeiten des Aufschwungs zeigen Marktwerte die ökonomische Realität tendenziell zu positiv, in Zeiten des Abschwungs tendenziell zu negativ an. Diese künstliche Volatilität galt es zu vermeiden. Nach Meinung von Herrn Grund ist dies mit den sogenannten LTG Maßnahmen gelungen. Unter LTG versteht man das Testing mehrerer Berechnungsalternativen, in welchen verschiedene Möglichkeiten und Instrumentarien verankert wurden. Grund gibt zu, dass sich die Praxisfähigkeit der LGT Maßnahmen in den nächsten Jahren erst noch zeigen müsse. Im Gegensatz zu allen Übergangsmaßnahmen werde die Solvency End-Position der Unternehmen dennoch deutlich volatiler werden. Dies sei in den Fällen, wo die Volatilität auf eine tatsächliche Veränderung der Risikosituation des Unternehmens zurückzuführen ist auch gerechtfertigt, so Grund. Die Frage sei dann nicht, wie diese Volatilität regulatorisch noch weiter reduziert werden kann, sondern vielmehr wie man damit in der Kommunikation innerhalb der Unternehmen, mit Maklern und Vertrieben, umgeht.

ORSA - unternehmenseigene Solvabilitätsbeurteilung

Eine zentrale Rolle in der Kommunikation könnte die vom Unternehmen durchzuführende eigene Risikoeinschätzung, im Rahmen des "Own Risk and Solvency Assessment" (ORSA) darstellen. Dabei handelt es sich um eine unternehmenseigene Solvabilitätsbeurteilung. Unternehmen müssen im Rahmen von ORSA sicherstellen, dass ihre Beurteilungen auch mittel- und langfristige Perspektiven umfassen. Dabei werden sich die Unternehmen auch damit auseinander zu setzen haben, welche Schwankungen im ökomischen Ist und Soll zukünftig zu erwarten sind. Dies sei der Kern der Volatilität und zeige, wie Versicherungsunternehmen die kontinuierliche Einhaltung der Kapitalanforderung, auch im Hinblick auf die Volatilität, mittel- und langfristig sicherstellen können. In der Regel führen solche Betrachtungen zu etwas höheren Deckungshöhen. Für die Höhe des zusätzlichen Puffers, der eine kontinuierliche Einhaltung des SCR auch bei volatileren Anforderungen sicherstellt, könne von der BaFin keine pauschale Festlegung getroffen werden. Was hier angemessen ist, hängt nach Herr Grund sehr stark vom individuellen Risikoprofil des jeweiligen Unternehmens ab. Hier gelte es in der Praxis die Anwendung des neuen Regimes auszuprobieren.

Transparenz und Klarheit in der Kommunikation des Versicherungsunternehmen nach außen

In der Konsequenz bedeutet das eine transparente Kommunikation nach außen für Vertriebe und Analysten. Es sei in der vertrieblichen Kommunikation wichtig, mit dieser neuen Volatilität offen umzugehen.

Kapitalanlagebereich: Anlagenfreiheit

Der Wegfall der Anlageverordnung gebe Versicherungunternehmen einerseits einen erheblich größeren Spielraum bei der Auswahl ihrer Kapitalanlagen. Für Unternehmen und Aufsicht ist dieser Bereich damit andererseits individueller und intellektueller geworden. Die nunmehr grundsätzlich bestehende Anlagenfreiheit, gehe mit einer hohen Eigenverantwortung der Unternehmen einher. Die Einhaltung des Grundsatzes der unternehmerischen Vorsicht (Prudent Person Principle) bildet hier einen wichtigen Bestandteil dieser Eigenverantwortung und sei das Korrektiv zur grundsätzlich bestehenden Anlagefreiheit. Im Vordergrund stehe dabei ein Verhaltensstandard und nicht die bisher eindeutige Orientierung an quantitativen Regeln. Die Anlagefreiheit geht daher mit einem umfassenden, anspruchsvollen Kapital-Anlage-Risikomanagement einher. Anstelle der Anlageverordnung ist der interne Anlagekatalog getreten, der sich durch einen unternehmensindividuellen Charakter auszeichne. Zum Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht gehöre nunmehr auch, dass das Unternehmen die Anlagen Fonds- und Indexgebundener Verträge im besten Interesse der Versicherungsnehmer sowie unter Berücksichtigung etwaiger strategischer Ziele auswählt. Die aufsichtsrechtlichen Aufforderungen an Fonds- und Indexgebundene Verträge sind damit gestiegen. Die Versicherer müssen mögliche Ziel- bzw. Interessenkonflikte zwischen den eigenen Interessen und denen der Versicherungsnehmer identifizieren, einem fairen Ausgleich zuführen und transparent kommunizieren. Solvency II liege schließlich ein prinzipienbasierter Ansatz zugrunde.

Engagement in Staatsanleihen

Seit 2013 ist der Bestand an Staatsanleihen im Sicherungsvermögen der deutschen Unternehmen von rund 165 Milliarden Euro auf rund 225 Milliarden Euro gestiegen. Das seien nach Grund Zahlen aus dem dritten Quartal 2015. Ein Großteil der Versicherer habe so bis zu 25 Prozent der Kapitalanlagen in Staatsanleihen investiert. Bei der Eigenmittelberechnug mit Hilfe des Standardmodells werden Staatsanleihen allerdings derzeit nicht erfasst. Diese sogenannte Risikolosigkeit von Staatsanleihen wird national- und international immer wieder kritisch begutachtet. So widme sich Solvency II in der zweiten Säule dieser Risikolosigkeit. Die Unternehmen müssen ihren angestrebten Grad an Sicherheit erfassen und diesen sicherstellen. Dabei muss das Finanzmarktumfeld berücksichtigt werden. Hier erwarte die Aufsicht eine umfassende Bewertung des Kreditrisikos, sofern ein Versicherer einen nicht unerheblichen Teil an Staatsanleihen im Bestand hat.So sei für das Jahr 2016 noch ein Kapitalanlagesymposium für diesen Themenbereich geplant, auch im Hinblick auf eine erneute Überarbeitung der Regeln, die dann in Solvency III führen würden.

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Trotz Solvency II solle man das HGB nicht vergessen, dass weiterhin eine sehr wichtige Rolle einnehme.

BaFin: Dr. Grund begrüßt die Beibehaltung des Höchstrechnungszins in der Lebensversicherung

Geht es um Solvency II, so kommt man weder um das HGB herum, noch um das Thema Höchstrechnungszins bei der Lebensversicherung (seit 01.01.2016 bei 1,25 Prozent). Auf dem Vorlesungstag der Universität Leipzig gestand Frank Grund, dass er in diesem Zusammenhang die Beibehaltung eines Zinssatzes überhaupt begrüßt. Gerade am Anfang von Solvency II wäre wohl die Gefahr eines voluminösen Wettbewerbes in höhere Garantien zu groß gewesen. Allerdings müsse man im Laufe des Jahres 2016 überprüfen, inwieweit der Rechnungszins an die neuen Marktgegebenheiten angepasst werden muss. Eine mögliche Änderung wäre dann wohl zum 01.01.2017 zu erwarten.

Im Rahmen der Evaluierung des LVRG werde überprüft, ob und in welcher Form ein Höchstrechnungszins als Instrument weiterhin erforderlich sein sollte. Dies finde dann in Zusammenhang mit Solvency II statt, so Grund.

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„Im Rahmen der LVRG-Evaluierung wird man sich darauf verständigen müssen, ob man sich in Sachen Rechnungszins in der Lebensversicherung auf die Wirksamkeit des Prinzipienbasierenden Solvency II verlassen möchte.“

Dieser Aussage entgegnete Gastgeber und Professor Fred Wagner, Vorstand am Institut für Versicherungswissenschaften e.V. an der Universität Leipzig, mit der Frage, ob Grund bzw. der Gesetzgeber hier selbst Zweifel haben. Darauf antwortete Grund klar, dass es eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung gewesen sei. Ein Hauptpunkt, die Manndeckung in der Lebensversicherung, beziehe sich noch nicht auf Solvency II, sondern auf die HGB-Welt. Dies sei auch dadurch bedingt, dass man die ersten Solvency II Werte erst im Mai/Juni bekomme. Unternehmen müssen sich an dieser Stelle der Mindestzuführungsverordnung und der Zinszusatzreserve stellen. Daher wäre im Moment noch immer die HGB-Sicht Schwerpunkt und nicht die neuen Solva-Vorschriften. Die Zinszusatzreserve, so Grund, ist ein wichtiges und richtiges Thema. Sie hilft die passiven stillen Lasten zu bewältigen. Stille Lasten entstehen durch das auseinander klaffen von garantieverzinsten Zinsverbindlichkeiten und den aktuellen Niedrigzinsen. Indem stille Reserven aufgelöst werden, müssen die Zinszusatzreserve nicht aus laufenden Erträgen gespeist werde, sondern werden aus Erträgen der Zukunft finanziert. Nach Grund sei diese Belastung für die Branche im Moment aber vertretbar. Nichtsdestotrotz wird diese Entwicklung von der BaFin bei der Manndeckung fortlaufend beobachtet.

In der Solvency II Welt haben rund 50 Lebensversicherungsunternehmen in Deutschland, welche auch etwa 50 Prozent des Marktanteils ausmachen, sogenannte Rückstellungstransitionals („Transitional Measures“) als Übergangsmaßnahmen in Anspruch genommen. Grund findet es nicht richtig, Unternehmen im Wettbewerb zu stigmatisieren. Über die dritte Säule „Offenlegung“ sprach er dabei nicht.

Ein kleines Lob an die Branche

In Folge der Manndeckung sei positiv zu erwähnen, so Grund, dass bei einigen Unternehmen etwas zur Stärkung der finanziellen Situation geschehen sei. So seien an dieser Stelle, die Veränderung im Produkt Portfolio, Kostenmaßnahmen oder auch das Einstellen des Neugeschäftes im traditionellen Geschäft lobend zu erwähnen.

Grund sprach außerdem über Maßnahmen im Verbraucherschutz und den Höchstzillmersatz. Die Möglichkeit diesen bilanziell geltend machen zu können wurde mit Inkrafttreten des LVRG von 40 auf 25 Promille abgesenkt. Damit einhergehend werden den Unternehmen keine Vorgaben zur Höhe der Abschlusskosten oder gar zur Höhe der Abschlussprovision gemacht. Allerdings sollten die Abschlusskosten in der Lebensversicherung weiter sinken. Die Botschaft sei aber schon breitflächig angekommen. Mit diesem Thema fand Grund den Bogen zur IDD, die den Provisionsvertrieb weiterhin erlaubt und die Offenlegung konkreter Provisionshöhen nicht fordert. Doch soll die Vergütung im Kundeninteresse liegen und auch die Art der Vergütung sollte überdacht werden. „Nach meiner Einschätzung werden Versicherungen heute immer noch eher verkauft statt gekauft.“ Mit einem Wegfall des provisionsbasierten Vertriebes könne der Verbreitungsgrad des notwendigen Versicherungsschutzes zurückgehen. Aus der Sicht von Herrn Grund sei dies ein Argument dafür, den Provisionsvertrieb zumindest im Kern zu erhalten. Regelungen für den Honorarvertrieb sollten allerdings geschaffen werden. Auch das Provisionsabgabeverbot sprach er in diesem Zusammenhang an.

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BaFin goes International

Neuland aber auch eine Herausforderung seien die Aktivitäten und der Austausch der BaFin mit der EIOPA (European Insurance and Occupational Pensions Authority) - der europäischen Aufsichtsbehörde. Grund ist Mitglied im obersten Entscheidungsgremium der EIOPA. Die BaFin habe innerhalb EIOPA einen exzellenten Ruf, beteuerte er. Eng angebunden sei man auch mit der IAIS (International Association of Insurance Supervisors), was der weltweite Standard-Setter sei, so der BaFin Beauftragte Grund. Hier werden weltweite, globale Kapitalstandards definiert. Derzeit diskutierte man hier ob und inwiefern es überhaupt systemrelevante Versicherer gibt.

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