Ein Ziel von Solvency II war die Vereinheitlichung von Regeln für alle 28 EU-Staaten, trotz deren unterschiedlicher Märkte und ihren bislang spezifischen nationalen Aufsichtssystemen. Die Umsetzung der neuen Regeln wird deshalb eine hochkomplexe Aufgabe sein, die durch das historisch niedrige Zinsniveau nicht eben begünstigt wird. Doch verschiedene Übergangsregelungen (Transitionals) sollen den Prozess erleichtern, wie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft GDV berichtet.

Solvency II: Katastrophen erkenen und abwenden

Mit dem neuen Solvency II sollen Katastrophen abgewendet werden, indem Risiken frühzeitig sichtbar gemacht werden und von den Unternehmen gegenüber den Risiken angemessene Vorsorge betrieben wird. Vorsorge heißt, Versicherer müssen soviel Kapital auf der Kante haben, dass sie Negativereignisse, wie sie statistisch betrachtet nur einmal in 200 Jahren auftreten, von selbst abfangen können. Negativereignisse diesen Ausmaßes sind beispielsweise Großschäden durch Naturkatastrophen oder extreme Verwerfungen an Aktien- und Anleihemärkten.

Verpflichtung zu ausreichenendem Eigenkapital

Die Verpflichtungen und Risiken, die ein Unternehmen mit seinem Geschäftsmodell und/oder seiner Kapitalanlagestrategie eingeht, geben Auskunft darüber, in welcher Höhe er seine Kapital- bzw. Eigenmittelausstattung aufstocken muss. So errechnet man die Eigenmittel aus den Vermögenswerten eines Unternehmens abzüglich seiner Verpflichtungen. Ganz entscheidende aufsichtsrechtliche Sollgrößen für den geforderten Kapitalpuffer sind die Solvenzkapitalanforderung (SCR) und die Mindestkapitalanforderung (MCR).

Wenn es einem Unternehmen nicht gelingt, mit seinen Eigenmitteln der Solvenzkapitalanforderung zu entsprechen, obliegt es der Aufsichtsbehörde, die Ergreifung geeigneter Maßnahmen vom Versicherungsunternehmen zu fordern. Das Unterschreiten der Mindestkapitalanforderung kann schlimmsten Falles den Entzug der Versicherungslizenz bedeuten. Die sogenannte Bedeckungsquote sagt dabei aus, wie hoch die Eigenmittel des Unternehmens gegenüber der SCR sind, dabei ist selbstverständlich eine Quote von über 100 Prozent optimal.

Governance und Risikomanagement

Um einen Crash wirksam abzuwenden, wird es künftig unabdingbar sein, auch die zweite Säule von Solvency zu erfüllen. Hier wird gefordert, dass Versicherer über eine Mannschaft verfügen, die ihr Handwerk beherrscht und die alle Risiken jederzeit unter Kontrolle hat.

Das Leitmotiv ist das „Prudent Person Principle“: Nach diesem Prinzip dürfen Unternehmen allein in Vermögenswerte investieren, deren Risiken sie verstehen und steuern können. In der zweiten Säule außerdem zentral ist das „unternehmenseigene Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung“ – kurz ORSA (für „own risk and solvency assessment“). ORSA zwingt Unternehmen dazu, sich stetig mit ihrer Risiko- und Finanzlage auseinanderzusetzen, und das mindestens einmal pro Jahr.

Die Ergebnisse werden dann der Aufsicht überstellt. Jeder Versicherer muss für die vier sogenannten Schlüsselfunktionen: Risikomanagement, Compliance, Versicherungsmathematik und die Interne Revision eine verantwortliche Person vorweisen. Somit ist Verantwortung nicht mehr diffus und namenlos, sondern benennbar und belangbar.

Die Fähigkeit und das Können involvierter Personen wird mit Solvency II also viel stärker gefordert. Qualitative Eignungsvorgaben („Fit & Proper") sollen fortan europaweit verbindlich werden und auf das gesamte Personal mit Schlüsselfunktionen ausgeweitet werden. Durch diese zweite Säule also will man europaweit hohe Standards für Unternehmensführung und Unternehmensorganisation setzen und zu größerer Stabilität auf dem europäischen Versicherungsmarkt beitragen.

Berichtspflichten

Rechenschaft von Unternehmen über ihre Finanzlage, Risiken und wesentliche Geschäftsbereiche wird mit Solvency II nicht nur gegenüber der Aufsichtsbehörde verbindlich, sondern auch gegenüber der Öffentlichkeit. Die sogenannten Berichtspflichten werden in der dritten Säule von Solvency II angeführt.

Durch die Offenlegung relevanter Information wächst das Vertrauen, so die Hoffnung, zudem fördert die europaweite Harmonisierung der Berichtspflichten eine bessere Vergleichbarkeit zwischen in- und ausländischen Versicherungsunternehmen. Ab Januar müssen Unternehmen und Unternehmensgruppen der BaFin vierteljährlich und jährlich alle wesentliche Kennzahlen und Entwicklungen mitteilen. Mittels eines standardisierten elektronischen Meldeformulares („Quantitative Reporting Templates“) informieren sie über aktuelle Entwicklungen der Finanz- und Vermögenslage, insbesondere über die Solvenzkapitalanforderungen.

Die Auswertung und Analyse der länderübergreifend vergleich- und verfügbaren Daten sollen drohende Risiken europaweit früh genug sichtbar machen. Noch ein bisschen mehr Arbeit kommt mit einer weiteren Forderung auf die Unternehmen zu. Denn neben der Übermittlung aller Daten an die Bafin wird es auch erforderlich, regelmäßig Berichte zu erstellen.

In den Berichten sollen neben wesentlichen Daten und Kennzahlen auch qualitative Einschätzungen stehen, die sich beispielsweise auf die aktuelle Marktsituation beziehen oder auf die Lage des Unternehmens und seiner internen Entwicklungen, beispielsweise im Hinblick auf wichtige Personalentscheidungen.

Informationen auch für die Öffentlichkeit

Kunden, Investoren und der interessierten Öffentlichkeit wird außerdem mittels des Financial Condition Report (SFCR) ein Bericht über Solvabilität und Finanzlage vorliegen, den die Unternehmen stets nach Ablauf des Geschäftsjahres veröffentlichen. Im SFCR fixiert werden sollen die wesentlichen wirtschaftlichen Ergebnisse, wichtige Ereignisse des vergangenen Geschäftsjahres und die aktuelle Solvenzsituation des Unternehmens. Mit dem SFCR also wurde auch der Forderung nach öffentlich zugänglichen umfangreichen und standardisierten Informationen zur Beurteilung der Risikolage des Versicherungsunternehmens entsprochen.

Nicht öffentlich hingegen sind die Information des „Regular Supervisory Report“ (RSR), dieser ist ausschließlich an die Aufsichtsbehörde adressiert und entspricht in seiner Struktur des Berichts über Solvabilität und Finanzlage. Zusätzlich enthält er aber im Vergleich zum SFCR noch um einiges detailliertere Erläuterungen, beispielsweise zur Geschäftsentwicklung, zum Risikoprofil oder auch zur Bewertung von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten. Abweichend vom SFCR beinhaltet er zudem Aussagen über absehbare künftige Geschäftsentwicklungen. Dieser Aufsichtsbericht ist regelmäßig, mindestens alle drei Jahre fällig, wobei die Aufsicht den Turnus unternehmensindividuell festsetzt.

GDV.de