Da ist was faul, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Nach Angaben der Zahnärzte-Organisationen leiden immer mehr Kinder unter frühkindlichen Zahnschäden. Milchzahnschäden sind „die häufigste Erkrankung von Kleinkindern“, sagt Wolfgang Eßer, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. „Das macht mir Sorgen.“ 10 bis 15 Prozent der Kleinkinder seien bereits betroffen, Tendenz steigend.

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Bereits bei Zwei- und Dreijährigen müssten Milchzähne gezogen und Wurzeln gefüllt werden, so Christian Spieth, Präsident der Deutschen Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde. Hauptursache für Karies sei das permanente Saugen vieler Kleinkinder an der Nuckelflasche, gefüllt mit Saft oder gesüßtem Tee. Aber auch fehlende Zahnhygiene haben die Ärzte als wichtige Ursache ausgemacht. In manchen Familien würden die Zähne gar nicht oder nur unregelmäßig geputzt.

Kinder zeigen Zahnschäden wie häufige Raucher

Die Zähne können sogar so stark geschädigt sein, dass das Gebiss eines Kleinkindes dem eines starken Rauchers ähnelt. Unförmige, schwarze Stümpfe zeigen sich da, wo eigentlich eine weiße Kauleiste zu sehen sein sollte. Für die Betroffenen bedeutet dies nicht nur mit ständigen Zahnschmerzen leben zu müssen, sondern oftmals auch Diskriminierung durch die Altersgenossen. Ein Kind habe sich beispielsweise nicht mehr getraut, beim Lachen den Mund zu öffnen, weil es den Spott der Spielgefährten fürchtete.

Vor allem in sozialen Trennpunkten sei die Zahl der Karies-Erkrankungen hoch. Bis zu 40 Prozent der Vorschulkinder würden hier Zahnschäden zeigen, berichtet Christian Spieth. Sonst lägen die Raten bei 10 bis 15 Prozent. "Karies wird zunehmend zu einer sozialen Erkrankung", urteilt auch Wolfgang Eßer.

Oftmals würden Jahre vergehen, bis die Eltern mit ihren Kindern zum Arzt gehen. Für die Kinder hat das bittere Konsequenzen. Schon für Erwachsene sei es unangenehm, wenn mehrere Zähne gezogen oder gefüllt werden müssten, sagt Dietmar Oestreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, der Süddeutschen. „Für kleine Kinder aber ist es eine Tortur. Weil sie den Schmerz nicht gut verarbeiten und nicht lange genug still sitzen können, ist eine Vollnarkose bei ihrer Zahnbehandlung meistens unumgänglich“. Und Vollnarkose bei Kleinkindern bedeutet wiederum ein zusätzliches Gesundheitsrisiko.

Forderung nach zeitigerer Vorsorge

Um Karies bei Kleinkindern vorzubeugen, fordern die Zahnärzte eine bessere Aufklärung und zeitigere Untersuchungen zur Prophylaxe. Bisher sind Kinder in Deutschland 30 Monate alt, wenn Eltern den ersten Anspruch auf Vorsorge beim Dentisten haben. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Kinderärzte zuständig. Die Zahnarztverbände halten den Erstkontakt für viel zu spät: in den Kindermündern zeigen sich dann mitunter schon schwarze Stummel, Fisteln und Abszesse. Sie fordern, dass ab dem 06. Monat eine Untersuchung möglich ist, also nach dem Durchbruch des ersten Zahnes.

"Karies ist für die betroffenen Kleinstkinder oft sehr schmerzhaft", sagte Splieth. "Der frühzeitige Verlust von Milchzähnen beeinträchtigt das Kauvermögen, behindert die Sprachentwicklung und Entwicklung der bleibenden Zähne." Umso wichtiger sei eine zahnärztliche Betreuung vom ersten Milchzahn an.

Der Dachverband der Krankenkassen reagierte mit Unverständnis auf den Vorstoß der Zahnarztverbände. Karies sei nicht mehr so verbreitet wie früher und die Fälle bei Kindern und Jugendlichen sogar in den vergangenen 20 Jahren stark zurückgegangen. Das liege auch an Aufklärung in Kindergärten und Schulen. Es gebe keine alles verändernde Maßnahme, um frühkindliche Karies zu reduzieren, sagte eine Sprecherin des Verbandes. Kinder- und Zahnärzte sollten vielmehr besser zusammenarbeiten.

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Unterstützung bekommen die Zahnärzte dagegen vom Deutschen Hebammenverband. "Nach der Geburt interessieren sich Mütter besonders stark für Informationen, die die Gesundheit ihrer Babys betreffen", sagte Susanne Steppat, Präsidiumsmitglied des DHV. "Die Erfahrungen der Hebammen zeigen jedoch, dass die Mütter dabei zu selten an die Mundhygiene denken."

Süddeutsche Zeitung

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