Der Notlagentarif ist kein regulärer Tarif im Sinne der privaten Krankenversicherung, sondern eine gesetzlich vorgeschriebene Minimalabsicherung für Versicherte, deren Vertrag wegen Zahlungsrückständen ruht (§ 193 Abs. 6 VVG). Er greift automatisch, wenn Beiträge trotz Mahnungen nicht mehr gezahlt werden. Der ursprüngliche Vertrag bleibt zwar bestehen, wird aber faktisch „eingefroren“, bis alle Rückstände beglichen sind.
Anders als der Basistarif, der einkommensschwachen Versicherten einen regulären Schutz bietet, erfüllt der Notlagentarif eine reine Schutzfunktion des Existenzminimums. Er soll verhindern, dass säumige Versicherte völlig ohne Absicherung bleiben. Die Leistungen beschränken sich auf das Notwendigste – Behandlung akuter Erkrankungen, Schmerzzustände, Schwangerschaft und Mutterschaft, Palliativversorgung sowie Impfungen bei Kindern. Keine Leistungen gibt es etwa für Vorsorgeuntersuchungen, Zahnersatz oder Reha.
Wann der Notlagentarif greift – und was dann passiert
In der Praxis ist der Weg dorthin klar geregelt – mit kurzen Fristen. Gerät der Versicherungsnehmer mit mindestens zwei Monatsprämien in Rückstand, mahnt der Versicherer erstmals; pro angefangenen Rückstandsmonat fällt ein Säumniszuschlag von einem Prozent an. Bleibt der Rückstand (inklusive Zuschläge) zwei Monate nach Zugang der ersten Mahnung höher als eine Monatsprämie, folgt die zweite Mahnung mit Hinweis auf das Ruhen. Ist der Rückstand einen Monat nach Zugang der zweiten Mahnung weiterhin höher als eine Monatsprämie, ruht der Vertrag ab dem ersten Tag des Folgemonats – der Notlagentarif greift.
Für die Betroffenen bedeutet das meist einen drastischen Einschnitt: Sie bleiben zwar formal krankenversichert, aber nur noch auf Sparflamme. Der Versicherungsschutz reduziert sich auf die reine Notversorgung; individuelle Vertragsbedingungen wie Selbstbehalte, Risikozuschläge oder Zusatzpolicen verlieren während dieser Zeit ihre Wirkung. Mit der vollständigen Zahlung der Rückstände tritt der ursprüngliche Vertrag automatisch wieder in Kraft.
Eine Ausnahme bleibt: Wer nachweislich hilfebedürftig im Sinne des Sozialrechts (SGB II oder XII) ist, darf gar nicht erst in den Notlagentarif abrutschen. In solchen Fällen springt der Sozialhilfeträger ein und übernimmt die Beiträge ganz oder teilweise – damit der volle Versicherungsschutz erhalten bleibt.
Steigende Zahlen – ein Warnsignal für die Branche
Dass die Zahl der Versicherten im Notlagentarif 2024 erneut gestiegen ist, gilt in der Branche als Warnsignal. Denn sie zeigt, dass immer mehr Privatversicherte ihre Beiträge zeitweise nicht mehr aufbringen können – ein Hinweis auf finanzielle Engpässe, insbesondere bei Selbstständigen und Kleinunternehmern. Anders als beim Basistarif, in den man bewusst wechseln kann, markiert der Notlagentarif den unfreiwilligen Verlust des regulären Versicherungsschutzes.
Steigende Notlagentarif-Bestände belasten nicht nur das Image der privaten Krankenversicherung, sie werfen auch Fragen nach sozialer Balance und Vertriebspraxis auf. Denn je nach Struktur der Kundschaft oder nach Art der abgeschlossenen Tarife kann das Risiko von Zahlungsausfällen stark variieren. Besonders bei kleineren Anbietern mit begrenztem Bestand wirken schon wenige säumige Verträge statistisch überproportional – was die Unterschiede zwischen den Gesellschaften zusätzlich vergrößert.
Die höchsten Quoten im Notlagentarif
Gemessen am Bestand der Vollversicherten zeigt sich, dass der Notlagentarif in der Regel nur eine kleine Gruppe betrifft. Die Quoten liegen bei den meisten Versicherern unter einem Prozent. Auffällig sind jedoch einzelne Anbieter mit überdurchschnittlich hohen Anteilen – oft bedingt durch kleine Bestände oder strukturelle Kundengruppen mit erhöhter Zahlungsausfallquote.
Die Auswertung der Daten für 2024 zeigt diese zehn Unternehmen mit dem höchsten Anteil ihrer Vollversicherten im Notlagentarif:
- Mecklenburgische: 150 ÷ 3.095 = 0,04849 → 4,85 Prozent
- Nürnberger: 992 ÷ 38.203 = 0,02597 → 2,60 Prozent
- Generali: 5.599 ÷ 287.198 = 0,01949 → 1,95 Prozent
- R+V: 1.063 ÷ 72.525 = 0,01465 → 1,47 Prozent
- DKV: 9.480 ÷ 666.346 = 0,01423 → 1,42 Prozent
- Münchener Verein: 879 ÷ 62.959 = 0,01396 → 1,40 Prozent
- Provinzial: 190 ÷ 15.306 = 0,01241 → 1,24 Prozent
- Allianz: 6.664 ÷ 554.166 = 0,01202 → 1,20 Prozent
- Signal Iduna: 6.984 ÷ 621.337 = 0,01124 → 1,12 Prozent
- DEVK: 16 ÷ 1.544 = 0,01037 → 1,04 Prozent
Daten für den Notlagentarif nicht vollständig
In absoluten Zahlen betrifft der Notlagentarif in der Branche jedoch nur einen Bruchteil der Versicherten – ein Indikator dafür, dass die meisten PKV-Kunden ihre Verträge stabil bedienen können. Allerdings ist die Datenlage nicht vollständig. Acht Gesellschaften – Axa, Bayerische Beamten, Continentale, HanseMerkur, Gothaer, UKV, Landeskrankenhilfe und Arag – haben keine Werte zum Notlagentarif veröffentlicht. Damit bleibt unklar, wie hoch die tatsächliche Zahl der Betroffenen im Markt insgesamt ist.
Hintergrund: Die zugrunde liegenden Kennzahlen stammen aus der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift für Versicherungswesen (ZfV). Dort finden sich neben den Angaben zu den Sozialtarifen auch weitere Kennzahlen zur privaten Krankenversicherung – etwa zur Beitragsentwicklung, zu den Leistungsaufwendungen und zu Bestandsveränderungen in der Voll-, Zusatz- und Pflegeversicherung. Die vollständige Analyse ist in der ZfV, Heft 10/2025, erschienen und über die Webseite des Fachverlags kostenpflichtig abrufbar.