Ein Sonderfall in der Bewertung von Solvenzquoten sind Lebensversicherer, die sich vollständig auf die Abwicklung bestehender Altverträge konzentrieren – sogenannte interne Run-offs. Diese Gesellschaften nehmen kein Neugeschäft mehr an, sondern verwalten große, oft garantielastige Bestände über Jahrzehnte hinweg. Das macht sie bilanziell besonders anspruchsvoll: Es fehlt an entlastenden Effekten durch margenstärkere Verträge, gleichzeitig steigen die Kapitalanforderungen mit zunehmendem Alter der Bestände.
Ein Beispiel für diese Konstellation ist die Ergo Lebensversicherung AG, die innerhalb der Munich Re-Gruppe die klassischen Lebensversicherungen der früheren Hamburg-Mannheimer betreut. 2024 sinkt die Basisquote auf 115,0 Prozent, nach noch 180,7 Prozent im Vorjahr. Trotz Bestandsabbaus bleibt das Prämienvolumen mit rund 1,46 Milliarden Euro hoch – das entspricht Rang 16 am Markt. Der Bestand ist deutlich von der betrieblichen Altersversorgung geprägt: Rund 48 Prozent entfallen auf das Kollektivgeschäft, dazu kommen 21 Prozent Rentenversicherungen und 20 Prozent Kapitalversicherungen. Die hohe Dichte an Altgarantien schlägt sich spürbar in der Solvenzquote nieder – ein typisches Muster für Run-off-Gesellschaften.
Wesentlich günstiger stellt sich die Lage bei der Schwestergesellschaft Ergo Vorsorge Lebensversicherung AG dar, die das Neugeschäft der Gruppe verantwortet. Mit einer Basisquote von 625,0 Prozent belegt sie Rang 8 unter allen Anbietern – und gehört damit zu den kapitalstärksten Gesellschaften im Markt. Die Bruttobeiträge steigen auf 1,27 Milliarden Euro (Rang 20), was die Bedeutung des Neugeschäfts unterstreicht. Zwar ist der Kapitalversicherungsanteil mit 47 Prozent auffallend hoch für ein modernes Portfolio, doch überwiegen insgesamt strukturelle Vorteile: Nur 12 Prozent entfallen auf Rentenversicherungen, lediglich 6 Prozent auf Kollektivgeschäft. Fondsgebundene Verträge und Risikoversicherungen machen zusammen 35 Prozent des Bestands aus – ein Mix, der vergleichsweise geringe Kapitalunterlegung erfordert.
Eine dritte Konzerntochter – die Victoria Lebensversicherung AG – zeigt, wie stark auch ein ehemals solvenzstarker Abwickler unter Druck geraten kann. Bereits 2010 aus dem Neugeschäft ausgestiegen, zählt sie zu den frühesten internen Run-offs der Branche. 2024 liegt die Basisquote bei 140,4 Prozent (nach 214,8 Prozent im Vorjahr), das Prämienvolumen beläuft sich auf rund 436 Millionen Euro. Auch hier dominiert ein klassisch geprägter Bestand mit 41 Prozent Kapitalversicherungen und 39 Prozent Rentenversicherungen. Der Anteil an Risiko- und fondsgebundenen Verträgen bleibt marginal. Das schlägt sich in einer Solvenzquote nieder, die zwar oberhalb der Mindestanforderungen liegt – aber weit entfernt ist von den Werten kapitalmarktnaher Anbieter.
Zusammen machen die drei Gesellschaften einen Marktanteil von 3,50 Prozent aus. Ihre unterschiedliche Ausrichtung innerhalb der Gruppe verdeutlicht, wie stark sich Solvenzquoten je nach Funktion unterscheiden können – auch bei gleichem Eigentümer und vergleichbarer Kapitalstärke im Konzern.
Hintergrund: Die Daten zu Solvenzquoten und Beitragseinnahmen stammen aus dem MAP-Report Nr. 939 von Franke und Bornberg. Der Report analysiert die SFCR-Berichte der Lebensversicherer für das Geschäftsjahr 2024 und enthält umfangreiche Zeitreihen sowie Kennzahlen zur Kapitalausstattung von 2015 bis 2024. Zur Einordnung der Quoten wurden ergänzend Bestandsdaten aus dem Branchenmonitor Lebensversicherung der V.E.R.S. Leipzig (Stand: 2023) herangezogen. Diese liefern strukturierte Marktübersichten zur Vertrags- und Beitragsentwicklung der Lebensversicherer und sind auf der Website von V.E.R.S. Leipzig kostenpflichtig bestellbar. Eine belastbare Risikobewertung setzt stets die Betrachtung weiterer Kennzahlen voraus – der Beitrag bietet daher einen ersten Einblick in die Spannbreite der Solvenzquoten. Der MAP-Report Nr. 939 ist auf der Webseite von Franke und Bornberg ebenfalls kostenpflichtig erhältlich.