Die Bonus-Malus-Systeme, mit denen Rechtsschutzversicherer ihre Kunden zu billigen Vertragsanwälten lotsen, könnten schon bald der Vergangenheit angehören. Nach Informationen der Financial Times Deutschland wird derzeit vor dem Bundesgerichtshof (BGH) eine Klage der Rechtsanwaltskanzlei München gegen den Versicherer HUK-Coburg verhandelt.

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Experten sehen gute Chancen, dass das oberste Zivilgericht es den Versicherern untersagen wird, ihren Kunden finanzielle Nachteile aufzuerlegen, falls sie keinen Vertragsanwalt aufsuchen.

Vorinstanz entschied bereits: Die Vertragsklauseln sind rechtswidrig!

Viele Rechtsschutzversicherer bieten ihren Kunden Vergünstigungen, wenn sie einen billigen Vertragsanwalt in Anspruch nehmen. Aber bereits in der Vorinstanz hatte das Oberlandesgericht Bamberg entschieden, dass die entsprechenden Klauseln in den Rechtsschutzpolicen unzulässig sind (Az.: 3 U 236/11). Der Grund: Die Klauseln schränken das Recht auf freie Anwaltswahl ein. „Das Urteil wird wohl vor dem BGH bestehen bleiben“, sagt Ulrich Vorspel-Rüther, Versicherungsexperte bei Brandi Rechtsanwälte, gegenüber der FTD.

Anlass für den Rechtsstreit ist ein Rechtsschutztarif der HUK Coburg. Ein Neukunde muss im Schadenfall eine Eigenbeteiligung von 150 Euro zahlen. Wenn er mehrere Jahre keinen Rechtsstreit führt, entfällt der Selbstbehalt. Aber die Eigenbeteiligung kann gleichsam bis auf 400 Euro pro Fall steigen, wenn der Versicherungsnehmer seine Rechtsschutzversicherung oft in Anspruch nehmen muss. Entscheidet er sich hingegen für einen vom Versicherer empfohlenen Anwalt, gilt der Vertrag als schadenfrei und die Eigenbeteiligung erhöht sich nicht.

Die Rechtsanwaltskammer München sieht bei diesem Tarif das Recht auf freie Anwaltswahl eingeschränkt – und setzte sich bereits in zweiter Instanz durch. Das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg argumentierte, dass der Kunde keine finanzielle Schlechterstellung akzeptieren müsse, wenn er einen Anwalt seiner Wahl aufsucht. Weder zum Vorteil noch zum Nachteil des Verbrauchers dürfe das Recht auf freie Anwaltswahl eingeschränkt werden. Die HUK-Coburg legte daraufhin Revision ein, so dass der Fall nun vor dem Bundesgerichtshof landete.

Urteil könnte gängige Rechtsschutzpraxis kippen

Ein Urteil zugunsten des Klägers würde eine gängige Rechtsschutzspraxis zukünftig unmöglich machen. Denn viele Versicherer bedienen sich derartiger Anreizsysteme, um ihre Kunden zu Vertragsanwälten zu lotsen. Und das nicht ohne Grund: Die Assekuranz kann mit ihren Vertragsanwälten Gebühren vereinbaren, die weit unter der gängigen Vergütung liegen. Laut FTD erhalten die Juristen bei einem komplizierten außergerichtlichen Rechtsstreit schon einmal 50 Prozent weniger Honorar als üblich.

Derartige Rabattverträge nutzen also den Versicherern – Aber nutzen sie auch dem Kunden? Der Verdacht liegt nahe, dass sich nur solche Rechtsanwälte auf die Dumping-Verträge einlassen, die sich sonst auf dem Markt nicht behaupten können. „Diese Situation lässt befürchten, dass sich nicht vorrangig die fachlich kompetenteren, spezialisierten Anwälte einem solchen Anwaltsnetzwerk anschließen werden“, sagt Versicherungs-Fachanwalt Klaus Schneider der Financial Times. Zudem bestehe die Gefahr, dass Kooperationsanwälte bei teuren Rechtsstreitigkeiten Rücksicht auf die Interessen der Versicherung nehmen und ihrem Mandanten von einer Klage abraten.

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Laut Financial Times will sich die Branche bisher nicht zum Rechtsstreit äußern. Doch hat die Klage vor dem Bundesgerichtshof Erfolg, dann müssen nicht nur unzählige Rechtsschutz-Tarife neu kalkuliert werden. Auch die Kooperation der Rechtsschutzversicherer mit Anwaltskanzleien steht zur Debatte. Ganz verschwinden werden Sondervereinbarungen aber selbst ohne das Bonus-Malus-System nicht. Anwaltskooperationen der Versicherer seien zukünftig nicht verboten. Nur dürfen keine finanziellen Anreize an den Kunden weitergegeben werden, damit er sich für einen bestimmten Anwalt entscheidet.

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